Neutralität des Notars – Grundpfeiler und Pflichten
Notare sind gesetzlich zur Unparteilichkeit verpflichtet. § 14 Abs. 1 Satz 2 BNotO bestimmt: „Er hat nicht eine Partei zu vertreten, sondern die Beteiligten unabhängig und unparteiisch zu betreuen.“ Wichtig ist die Abgrenzung: Unparteilichkeit bedeutet nicht „Neutralität“ im Sinne völliger Zurückhaltung. Ein Notar muss vielmehr im Einzelfall die strukturell schwächere oder weniger rechtskundige Partei aktiv schützen und aufklären. Nur Mediatoren haben strikt neutral zu sein. Der Notar dagegen ist verpflichtet, auf Ungleichgewichte hinzuweisen, Wissensvorsprünge auszugleichen und sicherzustellen, dass keine Seite übervorteilt wird.
Zu den Kernpflichten des Notars aus der Neutralität ergeben sich insbesondere:
- Unabhängigkeit von Weisungen: Ein Notar darf sich nicht von einer Partei oder Dritten „steuern“ lassen. Selbst wenn z.B. ein Käufer den Notar bezahlt (üblich beim Immobilienkauf), arbeitet der Notar nicht für ihn allein. Er unterliegt keinem Weisungsrecht der Beteiligten, sondern nur dem Gesetz.
- Offene Kommunikation: Alle relevanten Informationen, die der Notar einer Partei gibt, muss er im Grunde auch der anderen zugänglich machen, soweit es das Geschäft betrifft. Z.B. wenn der Notar merkt, dass eine Vertragsgestaltung für den Käufer nachteilig ist, muss er dies im Beisein beider Seiten ansprechen – nicht etwa nur heimlich den Verkäufer darauf hinweisen und den Käufer im Dunkeln lassen.
- Vermeidung des Anscheins der Parteilichkeit: Schon der Eindruck von Parteilichkeit ist zu vermeiden. Ein Notar sollte z.B. nicht seine Büroräume innerhalb einer Firma haben, die er häufig beurkundet; das könnte aussehen, als sei er Teil des Unternehmens. Ebenso sollte er keine Urkundsgeschäfte vermitteln (Verbot in § 14 Abs. 4 BNotO), denn das vermischt Rollen.
Verstößt ein Notar gegen diese Pflichten, kann er sich haftbar machen. Denn die Neutralität ist nicht nur Berufsethik, sondern echte Rechtspflicht. Insbesondere wenn aus einer einseitigen Beratung oder Informationsvorenthaltung ein Schaden für eine Partei entsteht, liegt eine Amtspflichtverletzung vor.
Interessenkollisionen in der Praxis – Beispiele
1. Einseitige Vertragsgestaltung bei Grundstücksteilungen
Beispiel:
Zwei Miteigentümer teilen ein Grundstück in zwei Hälften. Der Notar wird vom dominanteren Teil beauftragt, den Vertrag auszuarbeiten. Dieser möchte zügig die Teilung, um seinen Anteil gewinnbringend zu verkaufen, und drängt auf Klauseln, die dem anderen Nachteile bringen (etwa Wegerechte ungünstig regeln oder Pflichten ungleich verteilen). Der Notar übernimmt weitgehend die Vorstellungen dieses Auftraggebers, ohne den anderen Teil gleichwertig zu beraten.
Verstoß:
Hier verletzt der Notar seine Pflicht, beide Seiten unabhängig zu betreuen. Er fungiert faktisch als Interessenvertreter des einen. Wenn der benachteiligte Teil später erkennt, dass er z.B. ohne Not auf Rechte verzichtet hat oder finanzielle Mehrbelastungen trägt, kann er den Notar haftbar machen. Im konkreten Fall könnte das bedeuten: Schadensersatz für Wertminderungen oder Kosten, die entstanden sind, weil der Notar ihn nicht neutral beraten hat. Das Landgericht Kiel entschied etwa in einem Fall einer Grundstücksteilung, dass der Notar haften musste, weil er eine Partei nicht auf ein Zustimmungserfordernis hingewiesen hatte, was zu hohen Kosten führte – ein Hinweis darauf, dass ein Notar immer beide im Blick haben muss, gerade bei solchen Teilungen.
Folge:
Der Notar muss ggf. den Vertrauensschaden ersetzen – also den Nachteil, der durch das blinde Vertrauen auf seine unparteiische Amtsführung entstanden ist. Denkbar sind auch Anfechtungen des Vertrages wegen Irrtums oder arglistiger Täuschung, aber da der Notar kein Vertragspartner ist, richten sich Ansprüche in der Regel direkt gegen den Notar (und dessen Versicherung).
2. Rollenvermischung bei GmbH-Gründung
Beispiel:
Ein Anwalt berät eine Gruppe von Gründern bei der GmbH-Gründung und tritt zugleich als Notar für den Gesellschaftsvertrag auf. Angenommen, dieser Anwalt-Notar hat zuvor einen Hauptgesellschafter in anderen Angelegenheiten vertreten. Bei der Beurkundung berücksichtigt er vor allem die Interessen dieses Mandanten (z.B. Gestaltungen, die dessen Einfluss sichern), ohne die anderen Gründer gleich intensiv aufzuklären.
Problem:
Hier liegt eine personelle Interessenkollision vor. Berufsrechtlich dürfte ein Rechtsanwalt nicht in derselben Sache erst als Anwalt und dann als Notar tätig werden – tut er es doch, ist der Anwaltsvertrag wegen Verstoßes gegen das Verbot widerstreitender Interessen nichtig. Für die Beteiligten kann das bedeuten: Die von ihm entworfenen Klauseln könnten anfechtbar sein, und wenn jemand Schaden nimmt (etwa ein Mitgründer, der Rechte verliert oder unfaire Nachschusspflichten unterschreibt), haftet der Notar für die mangelhafte unparteiische Beratung.
Folge:
Der benachteiligte Gründer könnte z.B. Schadensersatz verlangen, als ob er ordnungsgemäß aufgeklärt worden wäre. Das kann einschließen, ihn so zu stellen, als hätte er der kritischen Klausel nie zugestimmt (Rückabwicklung oder finanzieller Ausgleich). In Extremfällen macht sich der Notar auch strafbar (Parteiverrat nach § 356 StGB), wenn er bewusst zum Nachteil einer Seite agiert hat, obwohl er beiden verpflichtet war. Das ist selten, aber die Schwelle für Parteiverrat kann bei Notaren erreicht sein, wenn sie vorsätzlich eine Seite bevorzugen.
3. „Gefälligkeiten“ für Stammkunden
Beispiel:
Ein Notar beurkundet regelmäßig für einen Bauträger Immobilienverkäufe. Um diesem das Geschäft zu erleichtern, unterlässt er bestimmte Hinweise an Käufer, die er eigentlich geben müsste (z.B. dass eine Zahlungsabsicherung fehlt oder dass eine Fertigstellungsbürgschaft ratsam wäre). Schließlich will er den Deal nicht gefährden und dem Bauträger gefallen. Die Käufer unterschreiben in Unkenntnis der Risiken.
Pflichtverletzung:
Das ist ein klarer Neutralitätsverstoß. Der Notar hat seine Beratungs- und Belehrungspflicht gegenüber den Käufern vernachlässigt, um dem Verkäufer zu dienen. Die Rechtsprechung betont, dass Notare gerade in solchen Dreiecksverhältnissen streng neutral bleiben müssen; sie dürfen sich nicht zum verlängerten Arm eines Vertragspartners machen lassen. In unserem Beispiel könnten die Käufer später den Notar in Anspruch nehmen, wenn ihnen ein Schaden entsteht (z.B. Bauträger geht insolvent, und sie haben Vorauszahlungen geleistet, weil der Notar nicht auf ein sicheres Zahlungsverfahren bestanden hat).
Folgen:
Die geschädigten Käufer erhalten unter Umständen Schadenersatz vom Notar – etwa die verlorene Vorauszahlung plus Zinsen. Zudem drohen dem Notar disziplinarische Maßnahmen von der Notarkammer (Geldbußen) oder im Wiederholungsfall sogar Amtsenthebung. Für die Käufer wesentlich: Die Berufshaftpflichtversicherung des Notars wird typischerweise einspringen, sofern kein Vorsatz vorliegt. Das Haftungsprivileg des Notars (nach § 19 BNotO haften Notare bei Fahrlässigkeit mit Versicherung, und der Staat haftet subsidiär, bei grober Fahrlässigkeit nur, wenn anderweitig kein Ersatz zu erlangen ist) sorgt dafür, dass die Geschädigten auch tatsächlich Geld sehen, selbst wenn es hohe Beträge sind.
Praxisbeispiele aus der Rechtsprechung (zur Illustration)
Die Rechtsprechung ist reich an Entscheidungen, die verdeutlichen, wie streng die Unparteilichkeitspflicht des Notars zu verstehen ist. Einige illustrative Beispiele:
- BGH, Beschl. v. 09.06.2016 – III ZR 387/15
Der BGH bestätigte die Haftung eines Notars, weil er eine Partei nicht hinreichend über wirtschaftliche Risiken aufgeklärt hatte, die sich aus einer Vertragsklausel ergaben. Besonders betont wurde, dass der Notar bei erkennbaren Wissensdefiziten einer Seite aktiv eingreifen muss.
- OLG Köln, Urt. v. 22.03.2018 – 19 U 40/17
Das Gericht verurteilte einen Notar wegen unzureichender Belehrung bei einer Grundstücksübertragung. Eine Partei war deutlich unerfahrener; der Notar hätte pflichtgemäß die Konsequenzen der Regelungen erläutern müssen.
- OLG München, Urt. v. 14.10.2020 – 34 U 1816/20
Ein Notar wurde haftbar, weil er in einer Gesellschaftervereinbarung einseitig Formulierungen des dominanten Geschäftspartners übernommen hatte, ohne die anderen Beteiligten auf deren Tragweite aufmerksam zu machen.
- BGH, Urt. v. 07.02.2013 – III ZR 121/12
Der BGH stellte klar, dass der Notar nicht nur gleichmäßig informieren, sondern auch aktiv etwaige Fehlvorstellungen korrigieren muss – insbesondere bei unerfahrenen Beteiligten.
Diese Entscheidungen zeigen: Die Pflicht zur Unparteilichkeit ist nicht passiv. Ein Notar muss aktiv eingreifen, wenn er erkennt, dass eine Partei Schutz oder zusätzliche Aufklärung benötigt.
Ansprüche der geschädigten Partei(en)
Wenn ein Notar seine Neutralitätspflicht verletzt, wer kann dann was verlangen? In vielen Fällen sind beide Parteien geschädigt – oft die weniger informierte mehr als die andere. Denkbar ist:
- Schadensersatz aus Amtspflichtverletzung: Nach § 19 BNotO haftet der Notar für Vermögensschäden, die durch vorsätzliche oder fahrlässige Amtspflichtverletzung entstehen. Die benachteiligte Partei kann Ersatz des konkreten Schadens verlangen. Beispiel: Wegen fehlender neutraler Beratung unterschreibt ein Teil einen Vertrag, den er so nicht unterschrieben hätte – der Schaden kann dann z.B. in zusätzlichen Zahlungsverpflichtungen oder einem schlechteren Geschäft bestehen. Er wird mit Vergleich gerechnet: Was wäre bei unparteiischer Aufklärung anders gelaufen?
- Vertragsrückabwicklung in Sonderfällen: In seltenen Konstellationen, wenn die Neutralitätsverletzung so weit ging, dass der ganze Vertrag als nichtig angesehen wird (etwa weil der Notar bewusst beide Seiten täuschte, um einem zu helfen), könnten die Parteien die Rückabwicklung des Geschäfts anstreben. Allerdings richten sich Ansprüche dann meist gegeneinander (Kaufpreis zurück, Immobilie zurück). Gegen den Notar würde man hier zusätzlich wegen der verursachten Kosten und Schäden vorgehen.
- Schmerzensgeld?: Im Zivilrecht gibt es für solche Fälle normalerweise keinen immateriellen Schadensersatz. Denkbar wäre es nur, wenn die Handlung des Notars zugleich ein deliktischer Tatbestand ist, der immateriellen Ausgleich vorsieht (etwa Verletzung des Persönlichkeitsrechts, was hier fernliegt).
- Kostenerstattung: Hat die geschädigte Partei Aufwendungen, um den Schaden zu begrenzen (etwa Anwaltskosten zur Vertragsanfechtung, zusätzliche Zahlungen zur Ablösung schlechter Vertragsklauseln), gehören auch diese Positionen zum ersatzfähigen Schaden.
Wichtig: Wegen der Neutralitätspflicht kann auch die zunächst bevorteilte Partei Ansprüche haben, falls das Geschäft später scheitert oder sie haftbar gemacht wird. Beispiel: Im Grundstücksteilungsfall oben – der bevorteilte Teil könnte vom Notar in Regress genommen werden, weil er z.B. den Vertrag neu verhandeln muss oder Verzögerungen erleidet, nachdem der andere Teil Ansprüche erhebt. Das ist zwar seltener (der „Begünstigte“ profitiert ja erstmal vom Fehlverhalten), aber ausgeschlossen ist es nicht, insbesondere wenn sich das Verhalten des Notars insgesamt als unwürdigt erweist und am Ende allen schadet (etwa der Vertrag wird rückabgewickelt, der Begünstigte verliert Zeit und Zinsen – auch das könnte ein Notarschaden sein).
Jetzt auch lesen:
Notharhaftung bei Immobilienkauf
Beim Immobilienkauf müssen Notare neutral aufklären und für rechtssichere Verträge sorgen. Hier erfahren Sie, wann Notarhaftung greift – etwa bei fehlender Risikoaufklärung, Verstößen gegen § 17 BeurkG oder Beratungsfehlern – und wie Sie sich vor typischen Fehlern bei Immobilienverträgen schützen.
Prävention und Verhaltenstipps
Für Notar-Mandanten: Wie kann man sich schützen?
- Augen auf bei der Notarauswahl: Wenn möglich, wählen Sie einen Notar, der keine offenkundigen Bindungen an die Gegenseite hat. Bei wichtigen Verträgen (Unternehmen, teure Immobilien) können Sie darauf bestehen, einen neutralen Notar zu nehmen, auch wenn z.B. der Projektentwickler lieber „seinen“ Notar hätte.
- Eigene Beratung hinzuziehen: Ein Notar darf keine einseitige Rechtsberatung machen, aber Sie dürfen sehr wohl einen eigenen Anwalt konsultieren. Gerade bei komplexen Urkunden ist das ratsam. Ihr Anwalt kann im Entwurfstadium Bedenken anmelden. Wenn der Notar merkt, dass beide Seiten anwaltlich beraten sind, hält er sich eher strikt neutral.
- Dokumentation von Gesprächen: Sollte Ihnen auffallen, dass der Notar z.B. nur mit der Gegenseite vorab Dinge bespricht, bitten Sie um Protokollierung oder Wiederholung im gemeinsamen Termin. Lassen Sie wichtige Hinweise des Notars ins Protokoll aufnehmen („Der Notar hat darauf hingewiesen, dass…“). So ist später beweisbar, ob er etwas gesagt oder nicht gesagt hat. Bei Parteilichkeit neigen Notare dazu, informelle Gespräche zu führen – bestehen Sie auf Transparenz.
Für Notare selbst: (Kurz, aus Haftungssicht) – Notare sollten konsequent:
- Auftragsmandate ablehnen, wenn eine Interessenkollision droht (z.B. vorherige anwaltliche Beratung in der Sache).
- Bei Stammkunden besonders sorgfältig auch die andere Seite informieren, um nicht in die „Gefälligkeitsfalle“ zu tappen.
- Sicherstellen, dass alle Beteiligten dieselben Entwürfe, Informationen und Erklärungen erhalten – ggf. getrennte Gespräche meiden, oder diese offenlegen.
Fazit
Die Notarpflicht zur Unparteilichkeit – nicht zu verwechseln mit bloßer Neutralität – ist zentral und schützt alle Urkundsbeteiligten. Wenn ein Notar diese Pflicht verletzt – sei es aktiv durch Parteinahme oder passiv durch einseitiges Schweigen –, können erhebliche Folgen eintreten: vom Schadensersatzanspruch bis zur Vertragsnichtigkeit in Extremfällen. Für die Geschädigten steht zum Glück ein Haftungsfonds bereit: § 19 BNotO und die Pflichtversicherung sorgen dafür, dass berechtigte Ansprüche nicht ins Leere gehen.
Für Bürger und Unternehmer heißt das: Vertrauen Sie zwar auf den Notar, aber seien Sie wachsam. Wenn Ihnen etwas komisch vorkommt – etwa der Notar redet auffallend viel nur mit der Gegenseite – haben Sie das Recht, Fragen zu stellen und Gleichbehandlung einzufordern. Im Zweifel ziehen Sie einen eigenen Berater hinzu. Und sollten Sie im Nachhinein den Eindruck gewinnen, benachteiligt worden zu sein, zögern Sie nicht, rechtlichen Rat einzuholen. Notarhaftung mag komplex sein, aber unser Recht lässt Betroffene nicht im Stich: Neutralitätsverstöße werden ernst genommen und entsprechend geahndet.
Benötigen Sie Hilfe? Wenn Sie denken, ein Notar hat in Ihrem Fall seine Neutralitätspflicht verletzt, prüfen wir gern Ihre Möglichkeiten. Wir unterstützen Sie dabei, Ihren Schaden darzulegen und gegenüber dem Notar bzw. seiner Versicherung geltend zu machen – kompetent und vertraulich.