Gericht untersagt Erschwerung von PKV-Tarifwechsel durch „Tarifstrukturzuschlag”

Auch Beitragsanpassungsklausel der Allianz Krankenversicherung unwirksam?

 

Bestrafung von Altkunden als Tarif-Wechsler durch Prämienzuschlag

Seit Einführung der neuen Aktimed- Tarife erhob Allianz von allen Wechslern aus den Alttarifen einen zusätzlichen pauschalen Zuschlag, den sogenannten Tarifstrukturzuschlag.

Dadurch verminderten sich die möglichen Einsparungen der Wechsler aus Alttarifen der Allianz, die tendenziell einen schlechteren Gesundheitszustand als die Neukunden der Aktimedtarife aufweisen.

Die Wechsler mussten diese Mehrkosten nach dem Wechsel über den pauschalen Zuschlag alleine bezahlen, wodurch die Beiträge für Neukunden in den Aktimedtarife günstig gehalten werden konnten.

 

Neues Urteil des Bundesverwaltungsgerichts

Für Allianz angeblich überraschend hat das Bundesverwaltungsgericht am 23. Juni 2010 (AZ.: 8 C 42/09) entschieden, dass dieser pauschale Zuschlag unzulässig ist. Allianz hat daraufhin angekündigt , dass der Zuschlag aufgehoben wird und bereits gezahlte Zuschläge zurückerstattet werden.

 

Prämiensteigerung für Neukunden zu erwarten

Folge wird nun aber sein, das die Neuzugangsbeiträge in den Aktimed -Tarifen allgemein so angehoben werden müssen, dass sie die wegfallenden Tarifstrukturzuschläge ausgleichen. Mehr noch: auch wird es nun erst recht zu vermehrten Wechseln aus den oft wegen der dort versicherten schlechteren Risiken teureren Alttarifen in die Neutarife kommen, die dann dort höhere Kosten als derzeit kalkuliert verursachen.

Wenn die pauschalen Zuschläge nun wegfallen, müssen die daraus finanzierten Leistungen aus den allgemeinen Beiträgen der Neutarife selbst finanziert werden, was deren Prämie erhöht. Eine Neukalkulation wäre bereits zum 01.01.2011 möglich. Die Unternehmen sind verpflichtet , mindestens einmal jährlich die Notwendigkeit von Beitragsanpassungen zu prüfen , und dies bis Ende April dem Treuhänder vorzulegen.

Es wurde aber wohl ab April 2010 bei Allianz noch unter der Voraussetzung zulässiger Tarifstrukturzuschläge festgestellt, dass in den Aktimed -Tarifen keine Beitragserhöhungen zum Jahresanfang 2011 erforderlich sind – daraufhin hat Allianz eine Beitragsgarantie für die Aktimedtarife bis 01.01.2012 gegeben. Für bestehende damit bereits geworbene Kunden kann diese wohl nicht widerrufen werden. Umso höher würden dann aber die Anpassungen zum 01.01.2012 ausfallen.

 

Prämiensteigerungen von Bestandskunden rechtens?

Allerdings ist es rechtlich fraglich , ob Bestandskunden überhaupt mit der Begründung der wegfallenden Tarifstrukturzuschläge zusätzlich angepasst werden dürfen . Denn Beitragsanpassungen erfolgen wegen gestiegener Krankheitskosten und Veränderungen anderer Rechnungsgrundlage – ein gerichtlich verbotener Tarifstrukturzuschlag könnte also womöglich keinen zulässigen Grund für eine zusätzliche Beitragsanpassung hergeben.

Doch kommt für Allianz ein weiteres Problem hinzu – denn es gibt Zweifel, ob die Beitragsanpassungsklausel der Allianz überhaupt wirksam ist – damit könnten auch Beitragsanpassungen der vergangenen Jahre bei Allianz unwirksam sein.

 

Gerichtliche Zweifel an Rechtmäßigkeit von PKV-Beitragsanpassungen

Bei einer Verhandlung am 4.03.2010 äußerte sich die auf Versicherungsrecht spezialisierte 12. Kammer des Landgerichts München I dahingehend, dass viele Beitragsanpassungen durch private Krankenversicherer unwirksam sein könnten.

Grundlage der Ausführungen des Gerichts war die Klage eines Versicherungsnehmers, der in seinen Vertragsbedingungen (AVB) auf eine Klausel gestoßen war, welche entgegen eines Urteils des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 2004 (Az. IV ZR 117/02 = NJW 2004, 2679) gestattete, die Beiträge in seiner „Beobachtungseinheit Männer“ auch dann anzupassen, wenn der insoweit maßgebliche „Auslösende Faktor“ z.B. nur bei der „Beobachtungseinheit Frauen“ die vereinbarte Grenze von 10 % bzw. 5 % überschritten hatte:

„… Ergibt die Gegenüberstellung bei mindestens einer Beobachtungseinheit eine Abweichung von mehr als diesem Vomhundertsatz, so werden die Tarifbeiträge aller Beobachtungseinheiten überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst. Bei einer Abweichung von mehr als 5 % können die Beiträge aller Beobachtungseinheiten des Tarifs vom Versicherer überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst werden. …“.

Tatsächlich ergab seine Nachfrage beim Versicherer, dass in den Jahren 2003 und 2004 der Auslösende Faktor nur bei anderen Beobachtungseinheiten als die des Klägers die erforderlichen Grenzen überstieg und trotzdem eine Prämienerhöhung erfolgte.

Hierauf angesprochen bot der Versicherer generös 377 Euro an, da eine entsprechende Beitragssteigerung ja spätestens bei der nächsten Überprüfung erfolgt wäre.

 

PKV-Kunde klagt auf Rückzahlung und Feststellung unwirksamer Klausel

Hiermit gab sich der Versicherte jedoch nicht zufrieden und klagte nicht nur auf Rückerstattung der infolge der seines Erachtens unberechtigten Erhöhungen auch schon in 2001 und 2002 zu viel gezahlten Beiträge bis zur Klagezustellung, sondern auch auf Feststellung der Unwirksamkeit der zwischenzeitlich geänderten Klausel in den Versicherungsbedingungen sowie der Bedingungsanpassung.

Im Rahmen der Güteverhandlung deuteten die Richter an, dass sie dem klägerischen Vortrag weitgehend folgen. So seien nach vorläufiger Einschätzung sämtliche Beitragsanpassungen zwischen 2001 und 2004 unwirksam, da entweder der Auslösende Faktor nur bei einer anderen Beobachtungseinheit die Grenze von 10 % überschritten hatte oder aber bei der Beobachtungseinheit des Klägers nur zwischen 5 und 10 % lag.

Dies genügte angesichts der Unwirksamkeit der Klausel jedoch nicht für eine Prämienerhöhung, da somit die gesetzliche Grenze von mindestens 10 % galt. Genauso hatte es auch der Kläger vorgebracht. Das Gericht äußerte sich jedoch noch weitergehend:

Die Wirksamkeit der Klausel stehe nicht nur deshalb in Frage, weil in der alten Fassung keine – vom BGH geforderte – Trennung zwischen den Beobachtungseinheiten erfolgte , sondern auch deshalb, weil der Versicherer die gesetzliche Möglichkeit der Vereinbarung eines niedrigeren Prozentsatzes mit einer im Gesetz gar nicht vorgesehenen Kann-Bestimmung verband.

Dies eröffne ihm in bedenklicher Weise die Möglichkeit zu tun und zu lassen, was er will. So könnte er bei einem Auslösenden Faktor zwischen 5 und 10 % etwa bei Kostensteigerungen die Beiträge stets erhöhen, im Falle von Senkungen aber zu Lasten der Versicherten von Prämienreduzierungen absehen.

Dieser weitere vom Gericht gesehene Grund für eine mögliche Unzulässigkeit der Klausel betrifft nun aber auch die meisten Tarife der Allianz Private Krankenversicherung, da auch deren Bedingungswerke eine derartige Kann-Bestimmung für eine gegenüber der gesetzlichen Grenze von 10 % verminderte Grenze in Höhe von 5 % beinhalten.

Dagegen kam eine unzureichende Trennung zwischen den Beobachtungseinheiten in den (deshalb unwirksamen) AVB in der Branche nur vereinzelt vor.

Eine Bedingungsanpassung zum 1.01.2005 wegen Klauselunwirksamkeit aufgrund des BGH- Urteils erachteten die Richter ebenfalls für unwirksam, da eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung hierfür keine Berechtigung bietet , weil an die Stelle der unwirksamen Klausel – einschl. der 5 % Grenze für den Auslösenden Faktor – einfach das Gesetz tritt, das nur eine 10%-Grenze kennt.

Das Verfahren vor dem LG München I endete schließlich mit einem Vergleich , wonach sich der Versicherer verpflichtete , den von seinem Kunden geltend gemachten Betrag zu bezahlen, und der Versicherungsnehmer die geänderte streitgegenständliche Klausel sowie den aktuellen Beitrag im Hinblick auf künftige Beitragsanpassungen als wirksam anerkannte. Die Richter hatten zuvor auf die mit einer Entscheidung verbundenen wirtschaftlichen Probleme hingewiesen.

 

Rückforderungsansprüche der Versicherten wegen unwirksamer Beitragsanpassung
Sollte nun Allianz die Kann-Regelung bei Abweichung von mindestens 5 % (aber unter 10 %) – wie man vermuten kann – in der Vergangenheit genutzt haben, so würde sich jede betreffende Beitragsanpassung bei Allianz als unwirksam herausstellen.

Dies freilich könnte Allianz dann weit teurer kommen als das Verbot des Tarifstrukturzuschlags. Bei Allianz Krankenversicherte sollten die Regelungen zu Beitragsanpassungen in den Bedingungswerken zu ihren Verträgen (auch frühere Fassungen) darauf hin durchsehen, ob ggf. nicht hinreichend zwischen den Beobachtungseinheiten unterschieden wurde und Kann-Bestimmungen enthalten sind.

Ist dies der Fall, so sollten beim Versicherer die Höhen der Auslösenden Faktoren erfragt werden, da sich nur anhand dieser feststellen lässt, ob Beitragsanpassungen in der Vergangenheit bis heute eventuell unwirksam sind , was durchaus häufig der Fall sein kann.

Ergeben sich hiernach Anhaltspunkte für die Unzulässigkeit von  Prämienerhöhungen empfiehlt sich eine rechtliche und versicherungsmathematische Begutachtung durch Anwalt bzw. Aktuar.

Da es sich bei der Rückforderung von Prämien aus unzulässigen Beitragsanpassungen um einen Anspruch wegen ungerechtfertigter Bereicherung handelt, verjährt dieser Anspruch auch für weit ältere Beitragsanpassungen erst frühestens 10 Jahre nach dem Jahr, in dem die überhöhten Beiträge gezahlt wurden. Seit der Deregulierung 1994 bis heute ist es den Versicherern nicht gelungen, die gesetzlichen Bestimmungen richtig umzusetzen – die Nachbesserungen seit dem BGH- Urteil von 2004 blieben nur unvollkommenes Stückwerk und waren zudem Großteils unwirksam.

So stützen sich Krankenversicherer bis heute auf unwirksame Beitragsanpassungsklauseln in vielen Tarifen und für einen großen Teil der Versicherten, was weiter zu unwirksamen Beitragsanpassungen führen kann.

 

von Dr. Johannes Fiala und Dipl.-Math. Peter A. Schramm

 

mit freundlicher Genehmigung

von www.juraforum.de (veröffentlicht am 30.06.2010)

und

www.pt-magazin.de (veröffentlicht im pt-magazin.de, 12.07.2010)

und

www.handwerke.de (veröffentlicht in Computern im Handwerk, Ausgabe 07-08/2010, Seiten 5-6 unter der Überschrift: PKV-Tarifwechsel: Gericht untersagt Erschwerung durch “Tarifstrukturzuschlag”)

und

www.handwerkermarkt.de (veröffentlicht am 03.07.2010 unter der Überschrift: Gericht untersagt die Erschwerung von PKV-Tarifwechsel zu “Tarifstrukturzuschlag”)

und

veröffentlicht im Elektropratiker 07/2010

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Über den Autor

Dr. Johannes Fiala Dr. Johannes Fiala
PhD, MBA, MM

Dr. Johannes Fiala ist seit mehr als 25 Jahren als Jurist und Rechts­anwalt mit eigener Kanzlei in München tätig. Er beschäftigt sich unter anderem intensiv mit den Themen Immobilien­wirtschaft, Finanz­recht sowie Steuer- und Versicherungs­recht. Die zahl­reichen Stationen seines beruf­lichen Werde­gangs ermöglichen es ihm, für seine Mandanten ganz­heitlich beratend und im Streit­fall juristisch tätig zu werden.
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