Arbeitszeitguthaben überwiegend ungeschützt

– Weshalb Zeitwertkonten beim Arbeitgeber regelmäßig keinen Insolvenzschutz bieten –

 

Zum 01.09.2009 trat das „Flexi-II-Gesetz“ in Kraft. Dadurch sollte das Wertguthaben aus Arbeitsvorleistung der Mitarbeiter besser gegen Verlust bei Insolvenz des Arbeitgebers geschützt werden. Heute erweist sich dies in mindestens 98% der Betriebe als unzutreffend.

 

Arbeitszeitkonten mehrheitlich ohne Anwendbarkeit des Flexi-II-Gesetz

Überwiegend handelt es sich in der Betriebspraxis um Gleitzeit-, Überstunden- und saisonale Flexikonten mit einem Ausgleich meist schon binnen Jahresfrist. Auf solche Arbeitszeitkonten, aber auch Fälle fehlender schriftlicher Vereinbarung, sowie bei Wertguthaben unterhalb der Bezugsgröße nach § 18 Sozialgesetzbuch (SGB) IV mit im Westen 2.695 Euro (Stand: 2013) oder im Osten 2.275 Euro, ist das Flexi-II-Gesetz für echte Wertguthaben aus Lebensarbeitszeitkonten nicht anwendbar. Damit besteht nicht einmal ansatzweise eine gesetzliche Pflicht zur Insolvenzsicherung, § 7e SGB IV. Ansprüche sind daher schlicht nur gegen die Insolvenzmasse zu richten mit der Hoffnung auf eine geringe Quote.

 

Fehlender Insolvenzschutz gemäß Flexi-II-Gesetz führt zur Durchgriffshaftung

Mitarbeiter, deren Wertguthaben aus Lebensarbeitszeitkonten entgegen § 7e SGB IV nicht gegen Insolvenz gesichert sind, können die entsprechende Vereinbarung mit ihrem Arbeitgeber kündigen und sich das Guthaben sofort auszahlen lassen. Fällt der Arbeitgeber in Insolvenz, bliebe den Mitarbeitern zunächst nur die Möglichkeit ihre Ansprüche beim Insolvenzverwalter zur Tabelle anzumelden. Dabei kommt selten mehr als eine Quote von wenigen Prozent an Erstattung heraus. Faktisch gehen die Mitarbeiter bei Arbeitszeitkonten überwiegend rechtlich und wirtschaftlich ungesichert in Vorleistung.

 

Handelt es sich um echte Lebensarbeitszeitguthaben im Sinne des Flexi-II-Gesetzes führt der fehlende Insolvenzschutz zur Durchgriffshaftung auf das Privatvermögen der Geschäftsführer, § 7e VII SGB IV. Das Bundesarbeitsgericht (BAG, Urteile vom 23.02.2010, Az. 9 AZR 44/09 und 9 AZR 71/09) hatte bisher noch nicht zu klären, ob dies auch bei den spezielleren Altersteilzeitkonten nach § 8a Altersteilzeitgesetz (AltTZG bzw. ATG) der Fall ist.

 

Persönliche Geschäftsführerhaftung als Durchgriffshaftung

Gesichert ist, dass Geschäftsführer persönlich haften, wenn den Mitarbeitern eine Insolvenzsicherheit versprochen wurde, die es gar nicht gab. Gehaftet wird dann wegen unzutreffender Zusicherungen und Nebenpflichtverletzung durch Falschinformation. Selten wird auch Betrug, Untreue oder Vorenthaltung von Arbeitslohn berührt sein.

Wie bei der Beratung zur betrieblichen Altersversorgung, hat die Geschäftsleitung für zur Beratung der Mitarbeiter eingeschaltete Versicherungsvermittler und Bankberater als eigene Erfüllungsgehilfen der unternehmerischen Personalarbeit einzustehen, § 278 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).

 

Seit Inkrafttreten des Flexi-II-Gesetzes zum 01.01.2009 wird fehlende Insolvenzsicherung der Wertguthaben absehbar zur persönlichen Haftung der Geschäftsleitung von Kapitalgesellschaften für einhergehende Verluste führen, wie es die Entscheidungen des BAG vom 23.10.2010 nahelegen.

Demgegenüber besteht für die Geschäftsleitung das Risiko, dass eine lückenhafte oder unwirksame Insolvenzsicherung von der Stange das Geld vor dem Zugriff des Insolvenzverwalters nicht schützt, und es auch dann zu einer persönlichen Haftung kommt. In der Insolvenz stellt sich nämlich regelmäßig heraus, dass der Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung nicht wirksam geschützt worden ist – spätestens dies bringt die gesamte erhoffte Sicherung zum Einsturz.

 

Bundesarbeitsgericht (BAG): Eingeschränkter Insolvenzschutz über Treuhand

Das BAG erkannte durch Urteil vom 18.07.2013 (Az. 6 AZR 47/12) die insolvenzfeste Auslagerung der Rückdeckung für Arbeitszeitguthaben in einem Einzelfall insbesondere nur deshalb an, weil es sich um einen Fall handelte, bei dem eine gesetzliche Pflicht zur Insolvenzsicherung bestanden hatte.

Überwiegend bei Arbeitszeitkonten, aber auch in der betrieblichen Altersversorgung, ist dies gerade nicht der Fall, womit ein Treuhandmodell im Zweifel nach der BAG-Entscheidung unwirksam ist.

 

Hält die Sicherung, etwa eine Verpfändung bzw. Abtretung stand, so steht dem Arbeitnehmer lediglich ein Recht auf Absonderung zu, so dass der Insolvenzverwalter das Vermögen der Rückdeckung zunächst einmal auflöst und zur Insolvenzmasse einzieht, § 166 II Insolvenzordnung (InsO). Davon gehen dann 9% an Feststellungs- und Verwertungskosten ab, §§ 170 f. InsO.

Handelt es sich bei der Rückdeckung um bewegliche Gegenstände, also beispielsweise körperlich vorhandene Wertpapiere, so wird der Insolvenzverwalter sie freihändig verwerten, § 166 I InsO.

Befinden sich Wertpapiere im Depot, so wäre der Treuhänder – allerdings nur bei wirksamer Treuhandvereinbarung – zur Verwertung berechtigt, § 173 I InsO (BAG, Urteil vom 18.07.2013).

 

Arbeitgeberanteile in der Regel nie über Treuhandmodelle insolvenzgesichert

Obgleich der Arbeitgeber im Spezialfall der Altersteilzeit- bzw. Lebensarbeitszeitkonten auch zur Sicherung der Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung verpflichtet ist, wird der gesicherte Arbeitnehmer dafür keinen Anspruch auf Absonderung und Verwertung bzw. Auszahlung zu seinen oder anderer Gunsten haben können. Denn lediglich der anteilige Lohn einschließlich Lohnsteuer und Arbeitnehmeranteil der Gesamtsozialversicherung kann vom Mitarbeiter beansprucht werden, wie das BAG-Urteil feststellt.

Der Rest des Vermögens – abzüglich ggf. Feststellungs- und Verwertungskosten – wird in die Insolvenzmasse fallen und der Sozialversicherungsträger den Arbeitgeberanteil zur Tabelle beim Insolvenzverwalter als Forderung anmelden dürfen. Selbst wenn also die Wertguthaben beim Treuhänder ursprünglich auch die Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung als vermeintlich angeblich insolvenzgeschützt enthielten, sind sie in der Realität bei Insolvenz gar nicht gesichert. Nicht nur bis zur Insolvenz kann die Rentenversicherung die Zeitwertkontenvereinbarung damit als von Anfang an unwirksam erklären, einfach deshalb, weil nämlich tatsächlich nicht auch der Gesamtsozialversicherungsbeitrag vollständig gegen Insolvenz gesichert ist, § 7 e VI SGB IV.

 

Ohne Sicherung der Gesamtsozialversicherungsbeiträge gar keine wirksame Insolvenzsicherung

Nach § 8a AltTZG und § 7d SGB IV hat die Insolvenzsicherung des Arbeitgebers auch den Gesamtsozialversicherungsbeitrag zu umfassen. Anderenfalls wird der Träger der Rentenversicherung nach § 7e VI SGB IV diesen Betrag durch einen Bescheid nach § 28p I 5 SGB IV fällig stellen. Erfolgt dies gegenüber dem Insolvenzverwalter, wird von diesem schon wegen des Grundsatzes gleichmäßiger Gläubigerbefriedigung keine zusätzliche Sicherstellung erfolgen. Arbeitnehmer wie auch Treuhänder haben hinsichtlich der Arbeitgeberanteile ohnehin laut BAG keine Absonderungsansprüche gegen die Insolvenzmasse, so dass auch diese keine Insolvenzsicherung dafür herbeiführen können.

Damit gilt die Wertguthabenvereinbarung nach zwei Monaten automatisch als von Anfang an unwirksam. Folge ist, dass den Ansprüchen des Arbeitnehmers und der Sicherung über Treuhand insgesamt der Boden entzogen wird. Ein Absonderungsrecht gegen den Insolvenzverwalter besteht in Folge dann selbstverständlich auch in keiner Weise mehr – die Wertguthaben fallen sämtlich in die Insolvenzmasse und die Ansprüche des Arbeitnehmers dürfen mit Hoffnung auf eine geringe Quote zur Masse angemeldet werden.

 

Haftung der Geschäftsleiter wegen fehlender Insolvenzsicherung

Die Sozialversicherung wird bei einer GmbH als Arbeitgeberin sodann einen Haftungsbescheid gegen die Geschäftsführer erlassen, § 7e VII SGB IV.

Regelmäßig existiert – selbst wenn wertmäßig zunächst in den treuhänderisch verwalteten Wertguthaben enthalten – keine wirksame zusätzliche Insolvenzsicherung bezüglich des Arbeitgeberanteils zugunsten der Einzugsstelle der Sozialversicherung. Die Sicherungstreuhand nur für den Arbeitnehmer reicht dazu keinesfalls aus. Damit handelt es sich um keinen Fall „gesetzlich vorgeschriebener vollständiger  Insolvenzsicherung“. Also liegt eine zentrale Voraussetzung für eine wirksame Insolvenzsicherung gemäß der BAG-Entscheidung vom 18.07.2013 gerade nicht vor. Dies eröffnet dem Sozialversicherungsträger, die Wertguthabenvereinbarung für unwirksam zu erklären und somit dem Insolvenzverwalter, das gesamte Wertguthaben zur Masse zu ziehen, und dem Träger der Rentenversicherung, frühere Geschäftsleiter persönlich mit einem Haftungsbescheid zu überziehen.

 

Übertragung auf Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV) beim Arbeitgeberwechsel

Überschreitet der Wert eines echten Flexi-II-Guthabens mit Insolvenzschutzpflicht auf dem Altersteilzeitkonto das Dreifache der Bezugsgröße nach § 18 SGB IV, kann der Mitarbeiter anstatt der Übertragung auf den neuen Arbeitgeber auch alternativ vom bisherigen – sofern noch nicht insolventen – Arbeitgeber die Übertragung auf die DRV als Treuhänderin verlangen. Dies soll mit Kosten i.H.v. nur rund 2 Euro pro Monat einhergehen.

In Fällen einer echten gesetzlichen Pflicht zum Insolvenzschutz der Alterszeitguthaben wird ein Insolvenzverwalter lediglich bis zu drei Monate rückwirkend entsprechende Sicherstellungen anfechten und damit rückabwickeln können. Damit ist das verzinslich anzulegende Wertguthaben bei der DRV Bund jedenfalls anders als bei Übertragung auf einen neuen Arbeitgeber gegen Insolvenz geschützt.

 

Vermögen in Arbeitszeitkonten geschäftsführender Gesellschafter gehören zur Insolvenzmasse

Arbeitgeber und geschäftsführende Gesellschafter mit 50% oder mehr an Geschäftsanteilen befinden sich in einer besonderen Haftungssituation. Darlehen des Gesellschafters an seine GmbH, auch darlehensähnliche Geschäfte wie das Stehenlassen von Lohnansprüchen, werden vielfach noch durch eine Kreditsicherheit wie etwa Treuhand oder Verpfändung unterlegt. Dann kann der Insolvenzverwalter jedoch bis 10 Jahre lang jede Tilgung daraus rückwirkend vom geschäftsführenden Gesellschafter zur Insolvenzmasse zurück verlangen, § 135 InsO. Der Bundesgerichtshof (BGH, Urteil vom 18.07.2013, Az. IX ZR 219/11) setzt dafür lediglich noch voraus, dass der Gesellschafter zudem alleinvertretungsberechtigt als Geschäftsführer ist.

 

von Dr. Johannes Fiala und Dipl.-Math. Peter A. Schramm

 

 

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Über den Autor

Dr. Johannes Fiala Dr. Johannes Fiala
PhD, MBA, MM

Dr. Johannes Fiala ist seit mehr als 25 Jahren als Jurist und Rechts­anwalt mit eigener Kanzlei in München tätig. Er beschäftigt sich unter anderem intensiv mit den Themen Immobilien­wirtschaft, Finanz­recht sowie Steuer- und Versicherungs­recht. Die zahl­reichen Stationen seines beruf­lichen Werde­gangs ermöglichen es ihm, für seine Mandanten ganz­heitlich beratend und im Streit­fall juristisch tätig zu werden.
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