Kürzung der Bewertungsreserven bzw. Überschussbeteiligungen

Das Landgericht Stuttgart (LG Stuttgart, Urteil vom 20.12.2017, Az. 16 O 157/17) verurteilte einen Versicherer (VR) dem Versicherungsnehmer (VN) einer Lebensversicherung (KLV) die „zum Stichtag 01.11.2014 entfallenden Bewertungsreserven (Überschussbeteiligung) auszubezahlen“.

 

Am Stichtag endete der Vertrag über die KLV. Dem Einbehalt der Bewertungsreserven stand nicht das Fehlen eines „Sicherungsbedarf“ entgegen, sondern dass der VR sich auf diesen wegen gleichzeitiger Gewinnabführung an die Muttergesellschaft nicht berufen könne.

 

Verteilung der Bewertungsreserven gemäß LG Stuttgart

Bis zum Inkrafttreten des Lebensversicherungsreformgesetzes (LVRG) am 07.08.2014 wurden die Bewertungsreserven aus Wert- und Kursgewinnen der Kapitalanlagen hälftig zwischen VR und VN geteilt, § 153 III 2 Hs.1 VVG.

Diese Hälfte für den VN reduzierte sich seither nur bei den festverzinslichen Papieren, soweit ein gesetzlich formelmäßig vorgegebener „Sicherungsbedarf“ aufgrund von der Bundesbank festgestellten gefallenen Zinsniveaus bestand. Dies wurde auch von vielen Gerichten teils nach Einholung von versicherungsmathematischen Gerichtsgutachten bestätigt. Beim LG Stuttgart indes scheiterte eine entsprechende „Ausschüttungssperre“ daran, dass ein Gewinnabführungsvertrag bestehe und damit nach Ansicht des LG faktisch doch ein Gewinn an Aktionäre ausgeschüttet wird (§ 56a III VAG a.F., seit 01.01.2016: § 139 III VAG). Daher könne trotz Sicherungsbedarf und obwohl die Muttergesellschaft dann für (spätere) Verluste haftet (§ 302 I AktG) der VR sich für die Ausschüttungssperre der Bewertungsreserven auf diesen Sicherungsbedarf nicht mehr berufen.

 

Verfassungsgemäße Regelung des LVRG

Dem Gesetzgeber kommt „ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu“, so daß das LVRG nicht verfassungswidrig ist (BGH, Urteil vom 27.06.2018, Az. IV ZR 201/17). Das LVRG sei „Reaktion auf die seit Jahren infolge der Finanzmarkt- und Staatsschuldenkrise andauernde Niedrigzinsphase“; was einige Volkswirte kausal anders beurteilen mögen. VN werden gegenüber Aktionären nicht benachteiligt, denn eine Gewinnausschüttung eines Bilanzgewinns an die Aktionäre ist bei einer gleichzeitigen Ausschüttungssperre der Bewertungsreserven gesetzlich verboten. Über einen Gewinnabführungsvertrag werden indes Gewinne bereits vorher abgeführt, so dass es gar nicht erst zu einem Bilanzgewinn kommt. Nachweislich wollte der Gesetzgeber diese ihm bekannte Möglichkeit nicht ausschließen.

 

Primäre Darlegungslast und Beweislast

Zunächst ist der VN „darlegungs- und beweispflichtig für seine Behauptung, die ihm vom VR bei Vertragsende ausgezahlte Bewertungsreserve sei zu gering und er habe Anspruch auf einen höheren Betrag“. Sodann trifft den VR die sekundäre Darlegungslast, dass ein entsprechender Sicherungsbedarf bei Ende des KLV-Vertrages bestanden hat, § 153 III VVG, § 56a III, IV VAG a.F.

Dass die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) den Sicherungsbedarf nicht beanstandet hatte, ist bedeutungslos – da es eine bloße Missstands- und keine Rechtsaufsicht ist.

Nachdem die Bewertungsreserven nicht willkürlich gekürzt werden dürfen, haben VN einen Anspruch, diese Frage durch ein Zivilgericht klären zu lassen (BGH a.a.O.), insbesondere mit Blick auf die Effektivität des Grundrechtsschutzes.

 

Doppelter Verstoß gegen die Denkgesetze – oder Gleichheit im Unrecht ?

Vom Ansatz her setzt das LG Stuttgart – wenn auch wohl unrichtig – die direkte Ausschüttung an Aktionäre gleich mit der (mittelbaren Ausschüttung an eine Muttergesellschaft des VR) über einen Gewinnabführungsvertrag, denn der Gesetzgeber habe „ungerechtfertigte Mittelabflüsse“ stets verhindern wollen. Damit wäre jedoch bereits zwar nicht der Gewinnabführungsvertrag selbst illegal, aber seine Erfüllung – und die Frage nach einer (späteren) Pflicht zur Übernahme etwaiger Verluste könnte dahinstehen, § 302 I AktG.

Wenn objektiv ein Sicherungsbedarf beim VR besteht, trifft die gesetzliche Ausschüttungssperre den VN, dessen Bewertungsreserven vom VR erst mal zu kürzen sind – um diesen Vorgang sodann mathematisch im Rahmen der sekundären Darlegungslast aufzuklären und mit gerichtlichem versicherungsmathematischen Sachverständigengutachten auch zu beweisen.

Indes hatte der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages (Gewinnabführungsverträge im Versicherungsaufsichtsrecht, WD 4 – 3000 – 106/17, vom 30.01.2018) zur Rechtslage festgestellt: „Soll in die Ausschüttungssperre die Bedienung von Gewinnabführungsverträgen mit einbezogen werden, so müsste diese Begrenzung in § 139 Abs. 2 Satz 3 VAG eingefügt werden.“. Auch nach dem Wortlaut des § 139 VAG sind Gewinne derzeit aufgrund Gewinnabführungsverträgen an Muttergesellschaften abzuführen. Damit – und selbst wenn Gewinne widerrechtlich an die Aktionäre ausgezahlt würden –  steht es aber dennoch nicht im Belieben des VR, den Anteil des VN an den Bewertungsreserven zu kürzen, sondern er ist dazu weiter gesetzlich verpflichtet.

 

Höhe des Sicherungsbedarfs entscheidend

Nach der Vorgabe des Gesetzgebers handelt es sich beim nach vorgegebenen Formeln versicherungsmathematisch ermittelten Sicherungsbedarf um eine Größe, die sich absolut unabhängig davon ermittelt, wer sie trägt, und sich nicht vermindert, wenn etwa Aktionäre sich an der Sicherung der Erfüllbarkeit der Versicherungsverträge beteiligen.

Zudem wird die Ausgangsbasis der gesamten für die Beteiligung der Kunden maßgeblichen Bewertungsreserven (nur von festverzinslichen Papieren) um diesen Sicherungsbedarf gekürzt, so dass die VN hier den Sicherungsbedarf ohnehin alleine tragen.

Daher handelt es sich bei der Ausschüttungssperre für Dividenden um eine ergänzende Maßnahme als Beitrag der Aktionäre zur Stabilisierung des Versicherers, damit auch diese und nicht nur die Kunden herangezogen werden. Dies dient indes aber gar nicht direkt irgendwie einer Finanzierung eines Sicherungsbedarfs, vermindert ihn rechnerisch nicht, und führt auch nicht zu einer Erhöhung der Beteiligung der VN an den Bewertungsreserven.

 

Ausschüttungssperre wegen Sicherungsbedarf trotz Gewinnabführung

Das LG hat zutreffend erkannt, dass es darum geht, „ob die Beklagte dem Kläger im Rahmen der Berechnung der Überschussbeteiligung einen Sicherungsbedarf entgegen halten durfte“. Es ist dafür jedoch nicht maßgeblich, ob der VR eine Gewinnabführung durchführte – der Sicherungsbedarf ändert sich dadurch gerade nicht. Daher kann dies eine Verurteilung kaum rechtfertigen.

Die Ausschüttungssperre wegen Sicherungsbedarf – sowohl beim Bilanzgewinn wie bei den Bewertungsreserven – ist eine gesetzliche Pflicht, auf die sich der VR nicht einfach nur nach seinem Gutdünken „berufen darf“, sondern die er einhalten muss. Ein Gesetzesverstoß an einer Stelle führt nicht dazu, dass man nun auch das Gesetz an anderer Stelle nicht mehr einhalten muss. Erst recht nicht, wenn es sich – wie bei den Gewinnabführungsverträgen – um zulässige Gestaltungen handelt.

 

Finanzminister kündigte das LVRG an – und hielt Wort

Die Marktrendite lag bereits 2013 unter der Höhe der von VR garantierten Verzinsung des Sparanteils bei Lebensversicherungen. Zugleich mussten immer höhere Beteiligungen an den Bewertungsreserven an gekündigte und abgelaufene Verträge ausgezahlt werden. Dies gefährdete die Erfüllbarkeit der langfristig weiter bestehenden Verträge. Der damalige Finanzminister kündigte u.a. an, dass die Überschüsse fairer zu verteilen sind, zwischen zeitnah und erst in Jahrzehnten fälligen Verträgen. Durch das LVRG wurden dann die Kosten zu hoher Garantieverzinsung gerechter verteilt. Und zwar zwingend, und nicht nur als Option, auf die sich ein VR nach Belieben berufen kann, oder zu seinem augenblicklichen Wettbewerbsvorteil zum langfristigen Nachteil der VN auch nicht. Genau letztere Umgehungsmöglichkeit würde aber das LG Stuttgart legal eröffnen.

 

von Dr. Johannes Fiala und Dipl.-Math. Peter A. Schramm

 

mit freundlicher Genehmigung von

www.experten.de (Veröffentlicht am 27.09.2018)

 

Link: https://www.experten.de/2018/09/27/kuerzung-der-bewertungsreserven-bzw-ueberschussbeteiligungen/#prettyphoto/0/

 

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Über den Autor

Dr. Johannes Fiala Dr. Johannes Fiala
PhD, MBA, MM

Dr. Johannes Fiala ist seit mehr als 25 Jahren als Jurist und Rechts­anwalt mit eigener Kanzlei in München tätig. Er beschäftigt sich unter anderem intensiv mit den Themen Immobilien­wirtschaft, Finanz­recht sowie Steuer- und Versicherungs­recht. Die zahl­reichen Stationen seines beruf­lichen Werde­gangs ermöglichen es ihm, für seine Mandanten ganz­heitlich beratend und im Streit­fall juristisch tätig zu werden.
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