Bankenhaftung bei Anlegerschädigung oder Anlegerbeitrag zur Subprime-Krise

Zertifikate und Derivate erfordern bei Verkauf, Beratung bzw. Vermittlung spezielle Aufklärung zur Vermeidung einer Haftung gegenüber Kapitalanlegern. Kreditinstitute verkauften Bankkunden „Garantie“-Zertifikate und ähnliche Konstrukte, beispielsweise der Lehman-Brothers-Bank, als sichere Geldanlage: Auf Bank- und Sparkassenberater warten zahlreiche Haftungsfallen.

 

I. Beraterinkompetenz- und Bedingungs-Falle

Zertifikate sind Inhaberschuldverschreibungen von Banken, die im Insolvenzfall weder durch einen Einlagensicherungsfonds noch durch eine staatliche Garantie geschützt sind. Die bis zu 200 Seiten umfassenden Zertifikatsbedingungen bzw. Verkaufsbroschüren haben die meisten Berater nicht gelesen. So konnten sie Bankkunden bzw. Anlegern auch keinerlei Risiken aufzeigen – selbst Vertriebsleiter und Fachwirte sind hiervon betroffen.

 

II. Prospekt- und Markt-Falle

Wer die Bedingungen der Zertifikate oder Derivate gelesen hat, stellt denn auch immer wieder fest, dass nicht alle Risiken verständlich aufgezeigt wurden. Vor allem können die Emittenten in den allermeisten Fällen gar nicht sicherstellen, dass die Papiere jederzeit gehandelt werden können – dann wird lapidar von „technischen Problemen“ gesprochen.

 

III. Rating-Falle

Kreditinstitute haben sich, wie bei Subprime-Papieren auch, stets auf positive „Ratings“ verlassen, die sich als fehlerhaft erwiesen. So verwundert es nicht, dass Sparkassen und Banken, bis wenige Tage vor dem Zusammenbruch, noch Lehman-Papiere verkauften. In der Regel wurden solche Ratings und Rankings von Fachabteilungen in den Kreditinstituten überhaupt nicht geprüft, soweit man dazu dort überhaupt dazu in der Lage wäre.

 

IV. Marktstörungs- und Liquiditäts-Falle

Immer wieder kommt es vor, dass eine Bank den Anlegern kündigt, aber den NAV (Nettoinventarwert) der Kapitalanlagen nicht genau bestimmen kann oder will. So warten Anleger dann monatelang auf ihr Geld, weil nicht einmal der Emittent den Wert selbst schätzen kann, um die Preisdaten (Quoten) bekannt geben zu können.

Realisiert ein Anleger ausnahmsweise einen Gewinn beim Ausstieg, so kann nach manchen Börsenregularien das Geschäft noch zwei Tage später von der Bank wieder storniert werden – ein System zum Schutz der Kreditinstitute vor Kundengewinnen?

 

V. Quoten-Falle

Der Preis der Papiere ist regelmäßig kompliziert zu ermitteln, weil zahlreiche Daten einfließen; z.B. Aktienkurs, erwartete Dividende bzw. Kursschwankung, Zinshöhe. Jährlich kommt es offenbar über 1000-mal vor, dass keine Quote „gestellt“ werden kann. Kein Anleger bekommt eine nachvollziehbare Berechnung seiner Quote zu Gesicht.

 

VI. Rendite-Falle

Garantie- und Teilschutzprodukte werden dem Anleger überwiegend als sicherheitsorientiert verkauft. Dabei übersehen viele Anleger und ihre Berater, dass Garantien auch ihren Preis haben – durch den Zinseszins-Effekt erscheint es dann oft günstiger, sichere Rentenpapiere mit einem risikolosen Zins zu kaufen. Die meisten Zertifikate zahlen die Dividenden der zugrunde liegenden Baskets oder Indizes nicht aus, was die Rentabilität für den Kunden schmälert. Ebenso sind Renditeeinbußen hinzunehmen, wenn der Kunde vorzeitig sein Geld benötigt, da die ausgesprochenen Garantien nur zum Laufzeitende (meist nach ein paar Jahren) greifen, was den Käufern derartiger Konstruktionen in den seltensten Fällen bekannt ist. Warum wohl?

 

VII. Risiko- und Komplexitäts-Falle

Long- und Shortzertifikate sind pure Spekulation, mit eingebautem Hebel – entwickelt sich der Börsenkurs in die „falsche“ Richtung, gleicht das Ergebnis dem Roulette-Spiel bzw. einem Totalverlust. Eine andere Variante sind Bonuszertifikate, bei denen der Kurs einer Aktie oder eines Index innerhalb einer bestimmten Bandbreite bleiben muss – wenn dies nicht der Fall ist, eine praktische Regel, verliert der Anleger den Anspruch auf die zuvor fest versprochene Rendite und es drohen dem Anleger empfindliche Verluste.

 

Mit hochkomplexen Konstruktionen durch clevere Produkteinheiten, wurde den Beratern und den Kunden vorgegaukelt, die Formel gefunden zu haben, wie man mühelos (ohne Risiko) überdurchschnittliche Erträge erwirtschaften kann. Fakt ist, dass Emittent und Verkäufer gut daran verdienen und sich der Kunde in einer Pseudosicherheit wiegt.

 

Die Auswirkungen von Barrieren, Caps und „Wenn-Dann-Formeln“ sind in den seltensten Fällen nachvollziehbar.

 

Beispielsweise gibt es ein Zertifikat aus einem Basket aus drei Indizes (Euro STOXX 50, Nikkei 225 und dem S&P 500), bei dem der Kunde seinen Einsatz nach einer bestimmten Laufzeit zurück erhalt, wenn keiner der Indizes mehr als 50% seit Auflage des Zertifikates verloren hat. Sollte nur ein Index während des Betrachtungszeitraumes mehr als 50% verlieren, wird am Ende der Laufzeit die Wertentwicklung des schlechtesten Fonds ausgezahlt. Aber es kommt noch besser: Sollten alle Indizes an den Feststellungstagen über ihrem Startwert notieren (was man eigentlich anstreben sollte), erfolgt die vorzeitige Rückzahlung des Kapitaleinsatzes. Welcher seriöse Bankberater hat es nötig, ein derartiges Konstrukt zu verkaufen und welcher Kunde benötigt eine solche Geldanlage wirklich? Es wird mit Wahrscheinlichkeiten gearbeitet, wonach bestimmte Situationen („Glauben Sie dass die Großbank XY Pleite geht?“) angeblich nicht eintreten werden. Die Praxis (der Markt) zeigt jedoch, dass an den Börsen und Kapitalmärkten nicht Alles mit hochkomplexen Zahlenreihen erklärbar ist. Das wäre zu einfach; gelegentlich sollte auch der gesunde Menschenverstand bemüht werden!

 

IX. Versicherungs-Falle

Anleger haben auch die Chance ihren kompletten Einsatz zu verlieren, indem sie eine Lebensversicherung kaufen, die das Geld der Kunden in Zertifikaten anlegt. Dies erscheint ähnlich einem Anleger, der sein Geld für die Altersvorsorge wöchentlich für Lotto-Lose ausgibt – denn dieses Gewinnspiel könnte ja auch gut gehen. Von bedarfsgerechter Vermittlung kann in derartigen Fällen kaum die Rede sein.

 

X. Kosten-Falle

Für so gut wie keinen Anleger oder Berater sind die Kosten transparent, etwa Management- und Handelsprovisionen, versteckte Kosten. Dazu gehört auch der „Spread“, also die Differenz zwischen An- und Verkaufskurs. Hinzu kommen Verwaltungskosten, Depotgebühren, Ausgabeaufschläge bzw. Verkaufsprovisionen, und die Hoffnung auf Kursgewinne – in der Regel bei gleichzeitigem Verzicht auf die Dividenden. Mit Blick auf die Finanzmarktrichtlinie MiFiD könnten Anleger eine Rückabwicklung wegen eines Interessenkonfliktes später fordern.

 

XI. Verwaltungs-Falle

Davon abgesehen haben einige Kreditinstitute und Vermögensverwalter ihren Anlegern solche Papiere auch ohne passenden Kundenauftrag bzw. geeignete Anlagerichtlinien ins Depot gelegt.

 

XII. Sicherheits-Falle

Gerne verkauft werden solche Papiere auch als „Absolute-Return“-Produkte, die dem Anleger als echte Alternative zu Geldmarktanlagen angeboten wurden – nur mit mehr Zins. Der Haken waren später erhebliche und schwer verständliche Werteinbußen – konservativen Anlegern wurden diese Kapitalverlust-Risiken von 25% und mehr oft verschwiegen. Zertifikate wurden nach dem Platzen der Internet-Blase gerade den konservativen Kunden verkauft, denen man vorher schon mit Titeln aus dem Neuen Markt stark zugesetzt hatte und die nun mit gebremstem Schaum erlittene Verluste teilweise wieder aufholen wollten. Die Berater haben das auch ganz offensiv so verkauft: „An den positiven Entwicklungen der Kapitalmärkte teilnehmen und nach unten abgesichert zu sein!“. Warum sind die Deutschen Zertifikate-Weltmeister geworden? Sicherlich nicht, weil die Kunden in den anderen Ländern dümmer waren…

 

XIII. Bonitäts-Falle

Und schließlich spricht der Fachmann vom Emittenten-Risiko, denn Zertifikaten und Derivaten droht Totalausfall – wie beispielsweise bei Lehman-Brothers-Papieren geschehen. Aber auch bei zahlreichen anderen renommierten Emittenten/Herausgebern von Zertifikaten führt eine genaue Analyse zu dem Ergebnis hoher Risiken durch defizitäre Bonität. Der Werbespruch über „Garantien und 100%-Kapitalschutz“ aus den Prospekten greift oft zu kurz.

 

XIV. Steuerbetrugsfalle

Aus dem Wealth-Management stammen Kombinationen von Derivaten mit Darlehen. Diese kreditfinanzierten Derivate werden dann, mit Steuergutachten angeblich renommierter Kanzleien untermauert, als Steuersparmodell selbst von renommierten Kreditinstituten angepriesen. Egal wie die Seitwärtsstrategie-Wette ausgeht, der Anleger soll immer im Plus bleiben. Leider sehen dies jedoch die Finanzämter oft ganz anders und z.B. mangels Verlustverrechnungsmöglichkeit drohen saftige Steuerzahlungen. Bei neuartigen als Steuersparmodell beworbenen Kapitalanlagen bejahte die Rechtsprechung eine Haftung des Vermittlers mangels bestehender Steuerpraxis sogar trotz Vorliegens einer Auskunft des zuständigen Finanzamts – diese war jedoch nicht verbindlich und die Finanzverwaltung änderte später ihre Ansicht.

 

XIV. Fazit

Die aktuelle Krise an den Kapitalmärkten ist nicht die Ursache für den Schiefstand der Derivate und Zertifikate, sondern das Ergebnis aus dem maßlosen Einsatz von derivativen Konstruktionen (wie bei Zertifikaten) und Hebelgeschäften als Provisionsmaschine.

Nur die Volumina der umlaufenden CDS (Credit Default Swaps), mit denen sich Geldgeber für den Fall absichern, dass eine Firma ihre Schulden nicht mehr zurückzahlen kann, hatten im September eine Größenordnung von etwa 55 Billionen Euro erreicht. Das entsprach ungefähr dem jährlichen Bruttosozialprodukt der ganzen Welt!

Der bekannte Investor Warren Buffett hat schon im März 2003 vor diesen Entwicklungen gewarnt: „Mr Buffett argues that such highly complex financial instruments are time bombs and “financial weapons of mass destruction” that could harm not only their buyers and sellers, but the whole economic system.“

Man könnte diese Auswüchse auch mit einem modernen Schneeballsystem vergleichen, das durch die Verschachtelungen sehr gut getarnt war.

Die Autoren sind teilweise bereits seit über einem Jahrzehnt auch als Dozenten bei hochkarätigen Bildungseinrichtungen aktiv und mussten immer wieder feststellen, dass das oben Gesagte den Teilnehmern (meist Wertpapierberater) nicht ansatzweise bewusst war.

 

„Denn sie wussten nicht was sie tun“ scheint eine gute Zusammenfassung der Situation zu sein.

 

PRAXISTIPPS für die Zukunft
Neben den Verkaufsbroschüren müssen die Bedingungen von Zertifikaten und Derivaten dem Vermittler bzw. Berater genau bekannt sein.
Basics, wie „Emittentenrisiko“, Kursfeststellung, nachrangige Absicherung etc. müssen dem Berater mit allen Konsequenzen klar sein und dürfen  nicht unterschätzt werden.
Die Ausgestaltung des Zertifikates, die Aussichten für den Basiswert sowie die Bonität des Emittenten sind die Mindestkriterien zur Beurteilung des Produkts.
Ob Bonus-, Discount- oder andere Zertifikate zu empfehlen sind, hängt zusätzlich von den zu erwartenden Entwicklungen an den Kapitalmärkten ab (seitwärts, stark aufwärts, leicht abwärts etc.). Also ist auch hier wieder die Marktmeinung gefragt, mit der nicht nur der Kunde überfordert ist.
Keinesfalls sollte der Berater bzw. Vermittler sich Ratings zu Eigen machen, die er selbst nicht nachvollzogen hat.
Die Dokumentation der Risikofähigkeit und Eignung solcher Papiere für den Kunden erfordert besondere Genauigkeit.
Im Hinblick auf Anlegern in Aussicht gestellte Steuervorteile sollte stets auf das Vorliegen einer verbindlichen Auskunft der Finanzverwaltung geachtet werden.

 

 

 

von Dr. Johannes Fiala, Martin Dilg und RA Thomas Keppel

 

veröffentlicht in Experten-Report 01/2009, Seite 50-52

 

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Über den Autor

Dr. Johannes Fiala Dr. Johannes Fiala
PhD, MBA, MM

Dr. Johannes Fiala ist seit mehr als 25 Jahren als Jurist und Rechts­anwalt mit eigener Kanzlei in München tätig. Er beschäftigt sich unter anderem intensiv mit den Themen Immobilien­wirtschaft, Finanz­recht sowie Steuer- und Versicherungs­recht. Die zahl­reichen Stationen seines beruf­lichen Werde­gangs ermöglichen es ihm, für seine Mandanten ganz­heitlich beratend und im Streit­fall juristisch tätig zu werden.
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