Die Beseitigung unwiderruflichen Bezugsrechts durch Widerruf der LV

Fällt ein Lebensversicherungsvertrag in den Nachlass, so handelt es sich zunächst einmal um alle Gestaltungsrechte; wie beispielsweise die Kündigung, den Widerruf eines Bezugsrechts, die Anfechtung des Versicherungsvertrages, sowie den Widerruf des Vertragsabschlusses selbst. Der Rechtsanspruch auf Auszahlung der vertraglichen Versicherungssumme richtet sich gegen den Versicherer (VR), und fällt beim Bezugsberechtigten hingegen gerade nicht in das Nachlassvermögen.

 

Sind „die Erben“ bezugsberechtigt, so behalten sie aber das Bezugsrecht auch bei Erbausschlagung. Wurde „der Ehegatte“ als Bezugsberechtigter eingesetzt, so handelt es sich stets um jenen zum Zeitpunkt der Einräumung des Bezugsrechts – trotz Scheidung (BGH, Urteil vom 14.02.2007, Az. IV ZR 150/05).

 

Lebensversicherungs-Lotterie

Bei einem widerruflichen Bezugsrecht für den Todesfall handelt es sich rechtlich um ein „Nullum“, nicht mal um eine Anwartschaft – zu Lebzeiten kann es stets durch Mitteilung der vorbehaltenen auflösenden Bedingung, gegenüber dem Versicherer widerrufen oder geändert werden. Analog, ein Nullum ist auch ein Vermächtnis, wenn der vermachte Gegenstand sich im Zeitpunkt des Todes nicht mehr im Nachlass befindet, weil er beispielsweise verkauft oder verschenkt wurde.

Regelmäßig ist Grundlage (im sogenannten Valutaverhältnis) für das widerrufliche Bezugsrecht eine Schenkung „für den Todesfall“: Wurde diese Schenkung zwischen Erblasser und Bezugsberechtigtem bereits zu Lebzeiten vereinbart, wird das widerrufliche Bezugsrecht durch Eintritt der aufschiebenden Bedingung des Ablebens entfallen – dafür erwirbt der Bezugsberechtigte einen neuen eigenen Rechtsanspruch gegen den VR auf Auszahlung der Versicherungssumme, §§ 328, 331 BGB.

Kennt der widerruflich Bezugsberechtigte das Bezugsrecht, so liegt darin eine Schenkung, die mit Eintritt des Versicherungsfalls als vollzogen gilt, § 518 II BGB (BGH, Urteil vom 14.07.1993, Az. IV ZR 242/92.). Analog, wenn der Erblasser zu Lebzeiten beispielsweise ein Bankkonto, Wertpapierdepot oder einen Bausparvertrag mit der aufschiebenden Bedingung des (Vor-)Versterbens, einer bestimmten Person als Vertrag zu Gunsten Dritter für den Todesfall zuwendet.

 

Bezugsrecht trotz Rückübertragung der Versicherung von einer Bank an die Erben

Der Bundesgerichtshof (BGH, Urteil vom 18.01.2012, Az. IV ZR 196/10) entschied, dass mit Rückübertragung einer Lebensversicherung auf die Erben durch eine Bank, also der Freigabe einer Kreditsicherheit, der auflösend bedingte Widerruf der Bezugsrechtsbestimmung beendet wurde. Damit erwirbt der widerruflich Bezugsberechtigte den Rechtsanspruch auf die Todesfall-Leistung.

Umgekehrt kann jedoch selbst der unwiderruflich Bezugsberechtigte leer ausgehen, wenn sich der Versicherungsnehmer den Rückkaufswert nach seiner Kündigung vor Ablauf der Versicherung vorbehalten hatte – also letztlich dem Bezugsberechtigten nur die Todesfall-Leistung eingeräumt wurde (BGH, VersR 96, 1089, und VersR 01, 883).

 

Wettlauf zwischen Erben und Bezugsberechtigtem

Weis der Begünstigte bzw. Bezugsberechtigte noch nichts von seinem Glück, muss der Versicherer als Bote des Verstorbenen zunächst einmal das Schenkungsangebot an den Berechtigten übermitteln, der es stillschweigend annehmen kann, §§ 139 II, 153, 151 BGB. Bis es soweit gekommen ist, können die Erben, ein Nachlasspfleger, ein Nachlassverwalter und ein Nachlassinsolvenzverwalter oder ein Testamentsvollstrecker, den Auftrag des Erblassers das Angebot für die Schenkung zu übermitteln, gegenüber dem Versicherer noch widerrufen (BGH, Urteil vom 21.05.2008, Az. IV ZR 238/06).

Ist die Offerte des Versicherers noch unterwegs, können die Erben gegenüber dem Begünstigten direkt den Widerruf erklären, § 130 I 2 BGB. Bis sich Erben durch Erbschein legitimieren können, vergehen oft Wochen oder Monate, manchmal Jahre. Der Begünstigte ist im Vorteil, wenn er sein Wissen um die Schenkung zu Lebzeiten nachweisen kann, etwa durch eine Kopie der Police – denn bei wirksamem rechtzeitigem Widerruf des Schenkungsangebotes fällt die Versicherungsleistung in den Nachlass.

 

Keine Rosinen-Theorie bei (Nachlass-)Insolvenz

Nicht frei von Rechtsirrtum wäre es, das Vermögen des Erblassers als Bezugsberechtigter oder über einen Vertrag zugunsten Dritter für den Todesfall zu erwerben, wenn es dann zur Insolvenz kommt. Der dingliche Erwerb der Versicherungsleistung lässt sich zwar zunächst nicht verhindern, weil er mit dem Todesfall nicht aus der Insolvenzmasse erfolgt, § 91 Insolvenzordnung (InsO). Jedoch kann die dingliche Verfügung zur Erfüllung der Schenkung angefochten werden, § 4 Anfechtungsgesetz (AnfG), § 134 InsO. Dann muss der Rückkaufswert im Zeitpunkt des Todesfalles herausgegeben werden (BGH, Urteile vom 28.04.2010, Az. IV ZR 73/08 und IV ZR 230/08).

Zeitlich ist auf den Anspruchserwerb im Versicherungsfall abzustellen, § 8 AnfG, § 140 I InsO (BGH, NJW 2004, 214 f.). Überdies können die Prämienzahlungen aus den letzten vier Jahren an den Versicherer selbständig als mittelbare Zuwendung angefochten werden. Pflichtteilsberechtigte können zudem vom Erben eine Pflichtteilsergänzung durch Hinzurechnung des Rückkaufswertes per Todestag verlangen (BGH, Urteile vom 28.04.2010, Az. IV ZR 73/08 und IV ZR 230/08). Beim unwiderruflichen Bezugsrecht wird es Jahr für Jahr zur Abschmelzung des Ergänzungsanspruchs i.H.v. 1/10 kommen, § 2325 III BGB.

 

Gestaltungsrechte bleiben beim Versicherungsnehmer

Trotz Einräumung eines Bezugsrechts, verbleiben Gestaltungsrechte wie etwa das Kündigungsrecht beim Versicherungsnehmer, es sei denn dies wurde abweichend geregelt. Jedoch sind solche Gestaltungsrechte nicht isoliert abtretbar und pfändbar (BGH, Urteil vom 02.12.2009, Az. IV ZR 65/09). Übertragbar ist beispielsweise das Kündigungsrecht nur gemeinsam mit dem Recht auf den Rückkaufswert (BGH, Urteil vom 18.06.2003, Az. IV ZR 59/02).

Pfändbar beim Versicherungsnehmer wären jedoch die Gestaltungsrechte gemeinsam mit dem Rückkaufswert – unterlässt es der Pfandgläubiger jedoch die Neben- bzw. Gestaltungsrechte (z.B. Kündigung, Widerruf des Bezugsrechts) ausdrücklich durch (gesonderte) Willenserklärung auszuüben, erwirbt der widerruflich Bezugsberechtigte mit dem Todesfall – und die hoheitliche Pfändung geht ins Leere (OLG Zweibrücken, Urteil vom 14.04.2010, Az. 1 U 183/09; BGH, Beschluss vom 12.10.2011, Az. IV ZR 113/10).

Die Gestaltungsrechte bei einer Lebensversicherung müssen nachweislich und schriftlich gegenüber dem Versicherungsunternehmen ausgeübt werden. Anzeigen über Änderung oder Widerruf des Bezugsrechts müssen vor Eintritt des Versicherungsfalles an den Versicherer geschickt werden – nicht etwa an einen Versicherungsmakler oder durch Niederlegung im Testament (LG Dortmund, Urteil vom 28.02.2008, Az. 2 O 214/07).

Selten wird sich laut Versicherungsschein das Bezugsrecht „aus dem Versicherungsantrag und späteren Verfügungen“ ergeben, sodass der Widerruf auch durch Testament wirksam wäre (OLG Jena, Urteil vom 21.10.2003 Az.: 8 U 410/03). Denn in der Regel ist die Änderung des Bezugsrechts (auch durch Testament) gemäß § 332 BGB durch § 13 der Allgemeinen Lebensversicherungsbedingungen (ALB) nach dem Todesfall ausgeschlossen. Der Erblasser beabsichtigt mit dem Testament keine Änderungsanzeige gegenüber dem Versicherer (BGH, Urteil vom 14.07.1993, Az. IV ZR 242/92).

 

Ewiges Widerrufsrecht des Versicherungsnehmers und der Erben

Häufig, insbesondere betreffend Lebensversicherungen mit Abschluss in den Jahren 1995-2007 haben die Versicherer bei Lebensversicherungen und Rentenversicherungen verabsäumt über das Gestaltungsrecht des Widerrufs nach § 5a VVG a.F. wirksam zu belehren. Dann läuft dieses Recht „ewig“ weiter, beispielsweise wenn die Belehrung irgendwo im Kleingedruckten versteckt steht, oder der Hinweis fehlt, dass rechtzeitige Absendung genügt, oder auf die Option des Widerrufs in Textform nicht hingewiesen worden war.

Dieses Widerrufsrecht unterfällt beispielsweise auch der Verwaltungsbefugnis des Testamentsvollstreckers, §§ 331, 2205 II BGB: Der Erblasser könnte jedoch im Testament anordnen, dass gewisse Gestaltungsrechte nicht ausübt werden sollen. Zahlt der Versicherer trotz wirksamem Widerruf den Rückkaufswert aus, muss er sich das Geld beim vormals widerruflich Bezugsberechtigten wiederholen (BGH, Urteil vom 02.06.2015, Az. XI ZR 327/14), mit dem Risiko der Entreicherung, §§ 818 III, IV, 819 I BGB.

Beim wirksamen Widerruf wird sich der Versicherungsnehmer bzw. der Erbe diese frühere Auszahlung des Versicherers anrechnen lassen müssen und darf sich den Betrag beim Bezugsberechtigten wiederholen. Gleichwohl bietet der Widerruf die Aussicht auf erhebliche Nachzahlungen des Versicherers, weil er weder Abschluss- noch sonstige Kosten oder einkalkulierte Gewinne noch die wirtschaftlichen Vorteile der Kapitalnutzung für sich behalten darf.

Auch wenn aus der Versicherung die Todesfallleistung an den Begünstigten ausgezahlt wurde, muss der Versicherer an die Erben nach Widerruf des Vertrages alle Beiträge zuzüglich aller Nutzungen zurückzahlen, aber die Risikobeiträge abziehen. Da er die Risikobeiträge behalten darf, schuldet der Versicherer zwangsläufig auch die damit bezahlte Todesfallleistung. Auch die kann der den Vertrag widerrufende Erbe aber sich beim Bezugsberechtigten holen, denn durch den Vertragswiderruf ist die Basis für das Bezugsrecht ebenfalls vernichtet.

 

von Dr. Johannes Fiala und Dipl.-Math. Peter A. Schramm

 

mit freundlicher Genehmigung von

www.experten.de (veröffentlicht am 24.08.2016)

 

Link: http://www.experten.de/2016/08/24/die-beseitigung-unwiderruflichen-bezugsrechts-durch-widerruf-der-lv/

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Über den Autor

Dr. Johannes Fiala Dr. Johannes Fiala
PhD, MBA, MM

Dr. Johannes Fiala ist seit mehr als 25 Jahren als Jurist und Rechts­anwalt mit eigener Kanzlei in München tätig. Er beschäftigt sich unter anderem intensiv mit den Themen Immobilien­wirtschaft, Finanz­recht sowie Steuer- und Versicherungs­recht. Die zahl­reichen Stationen seines beruf­lichen Werde­gangs ermöglichen es ihm, für seine Mandanten ganz­heitlich beratend und im Streit­fall juristisch tätig zu werden.
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