Neuer Milliarden-Nachschlag für Versicherte wegen falscher Umsetzung von BGH-Urteilen
Aktuelles Urteil des OLG Köln: Versicherer müssen Leistungen bei Kündigung und Beitragsfreistellung nochmals neu berechnen.
Ein aktuelles Urteil des Oberlandesgerichts Köln vom 05.02.2010 (Az. 20 U 80/08) stellt fest, dass Lebensversicherer bisher die BGH-Urteile zum Mindestrückkaufswert und zur Unwirksamkeit des Stornoabzugs zu ihren Gunsten falsch umgesetzt haben.
In eindrucksvoller und besonders klarer Weise ergibt sich aus dem Urteil, dass den Kunden aufgrund der einschlägigen BGH-Urteile nochmals weitere Milliarden an Rückforderungen aus von 1995 bis Mitte 2001 abgeschlossenen und zwischenzeitlich oder künftig gekündigten oder beitragsfrei gestellten Verträgen zustehen. Damit bestätigt das OLG Köln die von Versicherern bisher bestrittene Auffassung von Verbraucherschutz, Anwälten und versicherungsmathematischen Sachverständigen über die Berechnung von Mindestrückkaufswerten und die Unzulässigkeit von Stornoabzügen.
Versicherer haben Kunden Milliarden vorenthalten
Die Versicherer wähnten, dass sie den Stornoabzug vornehmen dürfen, solange sie wenigstens den Mindestrückkaufswert nach BGH leisten. Nun sagt das OLG Köln, dass der Stornoabzug auf jeden Fall unzulässig ist.
Daran haben sich die meisten Versicherer bisher jedoch nicht gehalten. Kunden, die in der Vergangenheit schon eine Rückforderung wegen Mindestrückkaufswert erhalten haben, sollten daher nun nochmals eine weitere Nachforderung stellen, wenn seinerzeit nur der Mindestrückkaufswert gezahlt, aber der Stornoabzug nicht herausgerechnet wurde.
Dazu sind auch Kunden betroffen, bei denen der Versicherer keine Nachzahlung leistete, weil er feststellte, dass der Mindestrückkaufswert bereits durch den ausgezahlten Rückkaufswert erreicht wurde.
Damit müssen auch in bereits sehr lange bestandenen, kurz vor Ablauf gekündigten Verträgen die unzulässigen Stornoabzüge nachgezahlt werden. Da die Versicherer hier bisher oft den Stornoabzug einbehalten haben, sollten diese Kunden nun ausdrücklich mit Bezugnahme auf das Urteil zusätzlich konkret auch die Rückerstattung des Stornoabzugs verlangen.
Nachforderung auch für beitragsfreie Verträge
Auch Kunden mit in der Vergangenheit – selbst noch bis kurz vor Ablauf – beitragsfrei gestellten Lebensversicherungen können eine Neuberechnung verlangen. Selbst wenn der Versicherer inzwischen wegen des Mindestrückkaufswertes schon eine Korrektur vorgenommen hat und eine höhere beitragsfreie Summe festlegte, kann der Kunde nun darüber hinaus eine weitere Erhöhung dieser Summe und der daraus resultierenden Rückkaufswerte infolge der Unzulässigkeit vorgenommener Stornoabzüge bei Beitragsfreistellung verlangen.
Mindestrückkaufswerte regelmäßig zu niedrig
Darüber hinaus hat das OLG Köln die branchenweit in der Vergangenheit übliche Berechnung des Mindestrückkaufswertes aus der Hälfte des ungezillmerten Deckungskapitals als nicht mit der BGH-Rechtsprechung vereinbar bezeichnet. Die Versicherer haben nämlich eine falsche Auffassung davon gehabt, was denn das ungezillmerte Deckungskapital eigentlich sei.
Sie haben bisher die zu Vertragsbeginn durch Zillmerung erhobenen Abschlusskosten bei ihrer falschen Berechnung des ungezillmerten Deckungskapitals gar nicht völlig herausgerechnet, wie es laut OLG Köln aufgrund der BGH-Urteile zum Mindestrückkaufswert erforderlich gewesen wäre.
Vielmehr haben sie diese lediglich auf die Laufzeit verteilt. Insofern wurden bei der Berechnung des Mindestrückkaufswertes bisher unzulässigerweise vorab zeitanteilig Abschlusskosten abgezogen. Dies ist laut OLG Köln nicht mit den Urteilen des BGH vereinbar: die Abschlusskosten müssen vollständig herausgerechnet werden.
Neuberechnung und Nachschlag verlangen
Bis zu 10 Mio. betroffene Kunden können daher auch wegen dieser Vorgaben zur Umsetzung der BGH-Urteile zum Mindestrückkaufswert einen weiteren Nachschlag verlangen, selbst wenn sie in der Vergangenheit schon einen – üblicherweise falsch berechneten – Mindestrückkaufswert erhalten haben.
Auch Kunden, bei denen der Versicherer schon eine Nachzahlung wegen angeblich bereits erreichten Mindestrückkaufswertes abgelehnt hatte, sollten nochmals eine Neuberechnung entsprechend dem Urteil des OLG Köln verlangen.
Neuberechnung auch für beitragsfreie Verträge
Betroffen sind wegen dieses Fehlers der Versicherer auch die beitragsfrei gestellten Verträge, bei denen der für die Beitragsfreistellung relevante Mindestrückkaufswert regelmäßig falsch berechnet wurde. Auch diese Kunden sollten im Hinblick auf die Vorgaben des OLG Köln eine weitere Neuberechnung der beitragsfreien Summe und der beitragsfreien Rückkaufswerte verlangen.
Ansprüche auch bei fondsgebundenen und britischen Versicherern
Des weiteren hat das OLG Köln klargestellt, dass auch Verträge, bei denen von Beginn an stets schon ein Teil der Prämien zur Kapitalanlage verwendet wurde – weil z.B. nur 45% der Beiträge der ersten Jahre für Abschlusskosten verrechnet wurden – unter die BGH-Rechtsprechung zu Mindestrückkaufswerten bei gezillmerten Verträgen fallen.
Auch hier ist ein Mindestrückkaufswert entsprechend der BGH-Rechtsprechung zu zahlen bzw. beitragsfreie Summen entsprechend zu erhöhen und im übrigen auch ein vorgenommener Stornoabzug zurückzugewähren. Bei fondsgebundenen Versicherungen und britischen Policen haben sich die Versicherer zu Unrecht darauf berufen, es liege gar keine Zillmerung vor und die BGH-Rechtsprechung zu den Mindestrückkaufswerten sei daher nicht anwendbar. Kunden solcher Versicherer können jetzt unter Bezugnahme auf das Urteil des OLG Köln eine Nachzahlung verlangen.
Bis zu mehr als 10 Mrd. E zusätzliche Nachzahlung
Insgesamt steht den Kunden aufgrund falscher Berechnung der Mindestrückkaufswerte und unzutreffender Rechtseinschätzung der Versicherer zum Stornoabzug eine ca. zweistellige Milliardensumme an zusätzlichen Nachzahlungen zu. Dazu kommen mögliche Rückforderungen wegen fehlender Effektivzinsangabe bei Verträgen mit Ratenzuschlägen bei Halb-/Vierteljahres- oder monatlicher Zahlung, weil diese Verträge als Verbraucherkredite anzusehen sind. Damit können Verbraucher regelmäßig den überwiegenden Teil ihrer Ratenzuschläge zurückverlangen.
Verjährungsfrage zur Revision offen
Das OLG Köln ist zwar der Ansicht, dass bei gekündigten Verträgen die 5jährige Verjährungsfrist am Ende des Jahres der ursprünglichen Auszahlung des Rückkaufswertes beginnt. Es hat jedoch ausdrücklich die Revision zum BGH zugelassen. Dort haben die Versicherer aber bisher nicht einmal eine mündliche Verhandlung riskiert und vorher lieber freiwillig gezahlt.
Bei beitragsfrei gestellten Verträgen beginnt dagegen mit der Beitragsfreistellung gar keine Verjährungsfrist – hier kann daher auf jeden Fall eine Neuberechnung der beitragsfreien Leistungen – gemäß BGH-konformem Mindestrückkaufswert laut OLG Köln und Wegfall des unzulässigen Stornoabzugs bei der Beitragsfreistellung – verlangt werden.
Vollständiger Widerruf
Kunden mit seit 2002 abgeschlossenen Verträgen, bei denen Ratenzuschläge für unterjährige Zahlung vereinbart waren, können ihre bereits gekündigten oder abgelaufenen Verträge wegen der fehlenden Aufklärung über das Widerrufsrecht bei Verbraucherkrediten jetzt noch widerrufen und komplett alle Beiträge zuzüglich üblicher Kapitalmarktzinsen zurückverlangen.
Damit bietet sich für Verbraucher die Chance, ihre Lebensversicherung – selbst wenn sie bereits gekündigt und „ausbezahlt“ wurde – rückwirkend in ein anständig verzinsliches Sparbuch zu verwandeln. Und dies ohne Belastung mit Abschluss- und Verwaltungskosten, denn der Versicherer hat dann seine Nutzung des vom Kunden angesparten Kapitals ordentlich zu entschädigen. Alleine für die bis heute gekündigten Verträge aus diesen Jahren kann sich die Nachforderung auf bis zu mehr als 40 Mrd. Euro belaufen.
Widerrufsrecht auch bei Ratenzuschlägen
Der deutsche Gesetzgeber hatte mit Wirkung zum 01.01.1991 die EG-Verbraucherkredit- Richtlinie (87/102/EWG vom 22.12.1986) umgesetzt. Ein unbefristetes Widerrufsrecht bei fehlerhafter Widerrufsbelehrung enthielt diese Umsetzung jedoch nicht.
Allerdings hat der EuGH (Az. C-481/99, Urteil vom 13.12.2001) zu einer anderen Verbraucherschutz- EG-Richtlinie entschieden, dass ein Verbraucher, der „nicht über sein Widerrufsrecht belehrt wurde, dieses Recht nicht durch Zeitablauf verliert“, auch wenn es der deutsche Gesetzgeber anders geregelt hat. Weitere Urteile des EuGH (Az. C- 177/88 und C-473/00) belegen, dass jedwede Befristung eines Widerrufsrechts dem Gebot effektiven Verbraucherschutzes widerspricht.
Auch von daher hat der Rat der EU am 07.04.2008 eine Änderung der Verbraucherkredit-Richtlinie beschlossen. Es spricht viel dafür, dass nicht nur die seit 2002, sondern sogar alle seit 1991 abgeschlossenen Versicherungen, die Ratenzuschläge für den gestundeten Jahresbeitrag vorsahen, heute noch widerrufen werden können, weil die Widerrufsbelehrung für Verbraucherkredite regelmäßig unterblieb. Dann erhält der Kunde einen noch weit höheren Nachschlag als er sich wegen des Urteils des OLG Köln schon ergibt.
von Dr. Johannes Fiala und Dipl.-Math. Peter A. Schramm
mit freundlicher Genehmigung von
www.handwerke.de (veröffentlicht in Computern im Handwerk, Ausgabe 04/2010, Seiten 5-6)
und
www.Tabakzeitung.de (veröffentlicht in Die Tabakzeitung, Ausgabe 13/2010)
und
www.handwerkermarkt.de (Veröffentlicht am28.02.2010)
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Über den Autor
PhD, MBA, MM
Dr. Johannes Fiala ist seit mehr als 25 Jahren als Jurist und Rechtsanwalt mit eigener Kanzlei in München tätig. Er beschäftigt sich unter anderem intensiv mit den Themen Immobilienwirtschaft, Finanzrecht sowie Steuer- und Versicherungsrecht. Die zahlreichen Stationen seines beruflichen Werdegangs ermöglichen es ihm, für seine Mandanten ganzheitlich beratend und im Streitfall juristisch tätig zu werden.
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