Riskante Unwissenheit

Neben einer aktuellen Studie bestätigt auch der procontra-Praxistest, dass Berater die VVG-Reform bislang überwiegend ignorieren.
Dr. Johannes Fiala, Rechtsanwalt „Eine detaillierte Dokumentation kann hervorragende Werbung in eigener Sache sein.“
Seit Jahresbeginn gilt das reformierte Versicherungsvertragsgesetz (VVG). Doch so richtig warm scheinen Berater und Vermittler mit der neuen Verordnung noch nicht geworden zu sein. Zum einen misst der Großteil der Maklerschaft der Reform nur einen geringen Nutzen bei. Zum anderen sind die Berater schlecht auf den VVGAlltag vorbereitet. Das ergab die VVG-Studie des Forschungs- und Beratungsinstituts psychonomics AG. Die mäßige Vorbereitung bestätigte auch der Beratungstest, den procontra-Redakteure stichprobenartig unter Maklern, Mehrfachagenten und Generalagenturen durchführten. Gerade Letztere begingen dabei schwere Beratungsfehler und liefen Gefahr in Haftungsfallen zu treten. Ausschließlichkeiten mit Wissenslücken. Freitagnachmittag. Ich erkundige mich am Telefon, ob ich heute noch zu einer Beratung vorbeikommen könne. Der freundliche Vertreter der HanseMerkur bejaht dies und eine Stunde später stehe ich in seinem Büro. Neben dem Eingang platziere ich mich an einen kleinen Tisch. „Ich bin gleich bei Ihnen“, ruft es hinter einer großen Yucca-Palme hervor. Herr Bader* (Name geändert) setzt sich mit ein paar Zetteln in der Hand zu mir an den Tisch. Bereits am Telefon hatte er meinen Namen, mein Alter sowie den Grund für meinen Beratungsbedarf erfragt. Eine private Krankenvollversicherung soll es sein. Am Laptop werden mir die verschiedenen Möglichkeiten gezeigt. Also eigentlich nur ein einzelner Tarif, den Herr Bader für mich netterweise vorher rausgesucht hat. Je nach Leistungsbausteinen ergebe sich dann der Monatsbeitrag, lasse ich mich belehren. In der Erwartung meiner Zustimmung verschränkt Bader die Arme hinter dem Kopf und lehnt sich zurück. Jetzt ist es ganz ruhig geworden. Ich überfliege die Leistungsmerkmale erneut. „Das klingt doch alles ganz gut“, sage ich eher unentschlossen. Eine Initialzündung für Bader. „Na, das meine ich nämlich auch“, stimmt er zu. „Soll ich den Antrag rausholen?“… So wie das Gespräch bislang gelaufen ist, verstößt der Vertreter bereits gegen zwei Punkte der VVG-Reform. Zum Einen gegen die Informationspflicht. Diese erfordert, dass dem Kunden vor Antragstellung sämtliche Vertragsbestimmungen sowie die Verbraucherinformationen ausgehändigt werden. Beides tat Bader auch nach der Antragstellung nicht. Zum Anderen wurde die Beratungs- und Dokumentationspflicht nicht erfüllt. Zu einer umfassenden Beratung gehört in jedem Fall das Erfragen der finanziellen Situation und der Bedürfnisse des Kunden. Dies muss auch dokumentiert werden, zusammen mit einer Empfehlung sowie deren Begründung. Nichts davon war der Fall, wodurch Bader in Haftungsschwierigkeiten kommen könnte. Haftungsfalle Nummer drei lauert im Antrag selbst: die Gesundheitsfragen. „Sind Sie gesund? Hatten Sie in letzter Zeit irgendwelche Krankheiten?“, fasst er die rund zehn Fragen inhaltlich zusammen. Topfit sei ich und kann mich auch an keine schwerwiegenden Krankheiten in der Vergangenheit erinnern, antworte ich ihm. Daraufhin kreuzt er sämtliche Fragen mit einem „nein“ an. Wieder ein Beratungsfehler. Die Regelung der vorvertraglichen Anzeigepflicht besagt, dass der Kunde nur noch die Umstände anzeigen muss, nach denen er ausdrücklich und in Textform gefragt wurde. Vor allem die Gesundheitsfragen sollten Berater daher penibel abfragen. Für die Offenlegung der Courtagen gilt
Heinz-Gerhard Wilkens, HanseMerkur „Ich bezweifle, dass alle Vermittler die Informationen zur VVG gelesen haben.“
noch eine übergangsfrist bis zum 1. Juli dieses Jahres. Ausgerechnet hier zeigt sich Bader schon jetzt auskunftsfreudig. „Zwischen 200 und 300 Euro Provision verdiene ich an diesem Vertrag“, antwortet er auf meine Nachfrage. Ein guter Stundenlohn, denn bereits nach 15 Minuten verlasse ich samt Antrag wieder das Büro. Als wir der Unternehmensleitung den Gesprächsabriss vorlegen, reagiert diese verständnislos: „Diese Vorgehensweise kön- nen wir uns nicht erklären. Mit einer solchen Beratung geraten wir in erhebliche Haftungsprobleme“, so ein überraschter Heinz-Gerhard Wilkens von der HanseMerkur. Und auch wenn es ohne Beratungsprotokoll zu keiner Policierung gekommen wäre, wie Wilkens betont, sei es nicht nachzuvollziehen, in welcher Qualität beispielsweise die Gesundheitsfragen bearbeitet wurden. Unabhängig von gesetzlichen Neuerungen könne man ein komplexes und beratungsintensives Thema wie eine Krankenvollversicherung nicht bei einem einzigen Termin abhandeln, ergänzt Wilkens. Das hätte Bader wissen müssen. „Im Vorfeld der Reform gingen Informationsmaterialien an die Vertriebe. Darüber hinaus wurden vor Ort Schulungen speziell zu diesem Thema durchgeführt“, versichert Wilkens. Anscheinend war Berater Bader zu diesem Termin selbst nicht vor Ort. Zugegeben, dieses Gespräch setzte in unserem Test den Maßstab im negativen Sinne. Doch ein Einzelfall blieb er nicht. Auch die getesteten Generalvertreter der R+V Versicherung, der Allianz, der HUK Coburg oder der DBV-Winterthur drückten den Notenschnitt nach unten (siehe Testergebnis). So verzichtete eine Beraterin der HUK Coburg darauf, die Verbraucherinformationen vor der Antragstellung auszuhändigen. Sie tat es auch nicht, als der Antrag komplett ausgefüllt war. Die Gesundheitsfragen handelte sie ähnlich fahrlässig ab wie Vorgänger Bader. Auch die Wünsche und Bedürfnisse des Kunden blieben unerfragt, eine Dokumentation wurde nicht angefertigt. Konfrontiert mit diesem Fall beteuert ein HUK-Sprecher: „Wir haben alle betroffenen Vertriebswege mit der Umsetzung der VVG-Reform über die Veränderungen ausführlich informiert. Auch die einzelnen Verfahren wurden vorgestellt. Insofern sind alle Vertriebswege in die Lage versetzt, die gesetzlichen Anforderungen im Kundeninteresse zu erfüllen.“ An der Aufklärungsbereitschaft der Versicherer scheint es also nicht zu liegen. Stellt sich die Frage, ob die Berater bereits ausreichend für das Thema der VVG-Reform sensibilisiert sind. Wilkens selbst bezweifelt, dass die umfangreichen Informationen, ausgedruckt auf tonnenschweren Papierbögen, von allen Vertretern gelesen werden. In der Praxis ist der Vermittler so ständig einer Haftungsgefahr ausgesetzt. Kommt es vermehrt zu Verstößen und Beschwerden, droht nach Bußgeldern der Lizenzentzug. Maklervertriebe als Testsieger. Vom Lizenzentzug waren die getesteten Maklervertriebe weit entfernt. Besonders lobenswert war die Erfüllung der Beratungspflicht. Ohne Anmeldung klingele ich an der Tür der OVB-Vermögensberatung. Nach kurzer Wartezeit schildere ich dem Berater mein Interesse an einer Krankenvollversicherung. Er nennt keine konkreten Versicherer oder Tarife. Zunächst macht er sich ein Bild über mich. Er notiert sich die Versicherungen, die ich bereits habe und den Betrag, über den ich monatlich frei verfügen kann. Ich zeige mich abschlusswillig. Und dennoch: „Ich würde Ihnen jetzt ein paar Tarifvarianten heraussuchen und sie Ihnen in einem zweiten Termin vorstellen“, schlägt der Finanzberater vor. Ich willige ein und erscheine eine Woche später an selber Stelle. Zwei Tarife von verschiedenen Anbietern hat er vorbereitet. Ich entscheide mich für den günstigeren. In schadenfreudiger Erwartung, dass er gleich in die Falle der Informationspflichten stolpert, erwähnt er doch noch die Verbraucherinformationen. Und zwar VVG-konform vor der Antragsstellung. Er lässt mir die Wahl, ob ich sie in ausgedruckter Form oder auf einer CD-ROM haben will. Ich entscheide mich für die digitale Variante. Akkurat liest er die Gesundheitsfragen vor. Einzig über seine Provision hält er sich bedeckt und belächelt meine Nachfrage. Ab Juli muss er diese Frage aber beantworten können. Zum guten Gesamtergebnis der Makler trug auch die auf Akademiker spezialisierte MLP-Vermögensberatung bei. Als Bonus bezifferten hier die getesteten Berater auch die Höhe ihrer Provision. Aus der Not eine Tugend machen. Die fehlende umfassende Beratung stellte sich im Test als Hauptfehler heraus. Auch Kunden mit einem konkreten Beratungswunsch müssen komplexer beleuchtet werden. Bereits vorhandene Versicherungen, Vorsorgeprodukte oder Rücklagen müssen erfragt werden. Ein Praxisproblem scheint auch der Zeitpunkt der Dokumentation zu sein. Sicherlich bleibt auch nach dem Kundengespräch genügend Zeit zur Nachbearbeitung, allerdings sieht der Gesetzgeber vor, eine Dokumentation spätestens zur Antragstellung anzufertigen. Diesen Zeitpunkt verpassten fast alle Berater. Dabei ist eine sorgfältige Dokumentation auch eine Absicherung. Bei späteren Haftungsansprüchen dient sie als Nachweis, dass die einstige
Dr. Johannes Fiala, Rechtsanwalt „Eine detaillierte Dokumentation kann hervorragende Werbung in eigener Sache sein.“
Beratung umfassend war und die Empfehlungen zur Lebenssituation des Kunden passten. „Für den Vermittler entsteht ohne Frage ein Mehraufwand durch die neue Verordnung. Doch er sollte diese oft lästige Pflicht in ein eigenes positives Marketing umwandeln“, empfiehlt Rechtsanwalt und Haftungsexperte Dr. Johannes Fiala. Eine detaillierte Dokumentation kann hervorragende Werbung in eigener Sache sein, fügt er hinzu. Erstaunlicherweise erfuhren wir in fast allen Testgesprächen die Höhe der Provisionen, die der Verkäufer durch einen Abschluss verdienen würde. Kurios deshalb, da zum Einen dieser Punkt in der eingangs genannten Studie von 74 Prozent der Maklerschaft als besonders kritisch beurteilt wurde. Zum Anderen, weil für diesen VVGPunkt noch eine übergangsfrist gilt. Die Offenlegung der Provisionen wird erst ab dem 1. Juli 2008 zur Pflicht. mhu
Text: Dr. Johannes Fiala
(procontra 2/2008, 72)
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Über den Autor

Dr. Johannes Fiala Dr. Johannes Fiala
PhD, MBA, MM

Dr. Johannes Fiala ist seit mehr als 25 Jahren als Jurist und Rechts­anwalt mit eigener Kanzlei in München tätig. Er beschäftigt sich unter anderem intensiv mit den Themen Immobilien­wirtschaft, Finanz­recht sowie Steuer- und Versicherungs­recht. Die zahl­reichen Stationen seines beruf­lichen Werde­gangs ermöglichen es ihm, für seine Mandanten ganz­heitlich beratend und im Streit­fall juristisch tätig zu werden.
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