Vertrieb der Versicherer oft nicht gesetzeskonform

Wie Versicherer trotz falsch beantworteter Risikofragen im Schadensfall voll leisten müssen

 

Versicherungsnehmer (VN) können ungestraft bei den Risikofragen ihren künftigen Versicherer (VR) anlügen. Dazu muss man sich nur einen Versi­cherer suchen, der dumm genug ist, seine Geschäfte nicht gesetzeskonform abzuwickeln. Solche Versicherer, auch größere, können dann wegen angebli­cher Anzeigepflichtverletzung weder den Rücktritt erklären, noch beispiels­weise kündigen, § 19 Versicherungsvertragsgesetz (VVG). Eine Alternative dazu wäre es, mit dem Leistungsantrag als VN 10 Jahre abzuwarten, denn dann ist selbst die Anfechtung des VR ausge­schlossen (BGH, Urteil vom 25.11.2015, Az. IV ZR 277/14).

 

Online-Vertrieb fördert sanktionslose Kundenlügen

 

Die üblichen Vertriebsplattformen von Versicherern – und einigen Maklern – im Internet berücksichtigen seit Jah­ren nicht, dass die Fragen des Versicherers in Textform zu stellen sind, § 126 b BGB. Die Antragsfragen müssen dazu dem künftigen VN auf einem dauer­haften Datenträger vorliegen. Zudem muss die Erklärung (gut) lesbar sein, und es muss die Person des Erklärenden genannt werden – bei Fragen vom VR und Antworten vom (künftigen) VN haben wir es mithin mit zwei gesetzlich zu benennenden Personen zu tun. Bei den Online-Portalen fehlt mithin die unabdingbare Sicherstellung, dass der elektronische Text (beider Seiten!) sich auf einem dauerhaften Datenträger befindet, damit dieser aufbewahrt oder gespeichert werden kann, zugänglich bleibt, und unverändert wiedergegeben werden kann. Ohne Einhaltung der gesetzlichen Textform gelten die Fragen des VR als nicht gestellt – daher bleiben schlicht erstunkene und erlogene Antworten des VN sanktionslos. Versicherungsmakler könnten die Daten online auch für jene Kunden einpflegen, mit denen sie vorher eine gesonderte Courtage für die Online-Produkte-Vermittlung vereinbart hatten.

 

Versicherer kennen das Risiko – der Versicherungsvertrieb schätzt es offenbar als gering ein

 

Mancher Kunde ist bereits so krank, dass er nirgends mehr eine für sich passende PKV finden würde. Kunden, die bei der Beantwortung von Gesundheitsfragen nicht gut aussehen, sollten sich einen Online-VR suchen, der ihnen die Gesundheitsfragen online stellt. Er sollte sie auch nicht später nochmal per Textform schicken; auf die Bitte hin, die Antworten nochmal zu bestätigen.

Viele VN werden es für eine Zumutung halten, nach der raschen Online-Beantwortung dann alles nochmal gründlich lesen zu sollen. Online-VR werden dann realisieren, dass VN sie bewusst in die Falle gehen lassen. Und wenn sie es des­halb ändern, wird dies ihren FinTech-Erfolg hindern.

Was macht jemand, der eine Pizza Salami mit Mozzarella bestellt, wenn daraufhin der Koch erscheint und fragt „Sind Sie sicher, dass Sie bei uns eine Pizza Salami mit Mozzarella essen wollen?“

 

Noch dümmere Versicherer verlassen sich auf den Maklerfragebogen

 

Die Fragen nach Gefahrenumständen gemäß § 19 VVG hat der VR zu stellen. Um solche handelt es sich jedoch nicht, wenn diese der Makler auf seinem Formular stellt. Die Falschbeantwortung war dann folgenlos (OLG Hamm, Urteil vom 03.11.2010, Az. I-20 U 38/10). Die Chance, über Formfehler bei Gericht zu stolpern, ist groß. Wann hätte sich ein VR die Fragen des Maklers zu eigen gemacht, und wie will er dies später beweisen – eingeschlossen die Beleh­rung über Folgen einer Anzeigepflichtverletzung, § 19 V 1 VVG?

Eine Generalbelehrung des Versicherungsmaklers durch den VR für alle gegenwärtigen und künftigen Fälle sowie VN wäre ebenfalls ein untauglicher Ver­such des VR, sich die Arbeit nicht gesetzeskonform zu vereinfachen.

Schlauen Maklern stehen damit Tür und Tor offen, den wenigen dummen Versicherern möglicherweise jedes x-beliebige Risiko zu vermitteln.

Noch dümmer dürfte die Praxis weniger VR sein, in der Police eine Maklerklausel selbst aufzunehmen, nach welcher die (Doppel-)Nichtigkeit der zu umfassenden Maklervollmacht (mit Maklerauftrag) durch Rechtsdienstleistungen (Schadensabwicklung, treuhänderisches Maklerinkasso) ohne Zulassungen erzeugt wird, § 134 BGB (vgl. BGH, Urteil vom 14.01.2016, I ZR 107/14).

 

Hoffnungsvolle Professoren setzen auf den Live-Chat im Vertrieb

 

Mancher bessere Berufsschullehrer weis, dass in schöner Regelmäßigkeit der „Ver­sicherungswert 1914“ in der Wohngebäudeversicherung nur wenigen Fachleuten bei eigenen Objekten bekannt und verständlich ist – in der Masse haben Versicherungsvermittler aller Art dafür zu sorgen, dass der Wert sachverständig zur Vermeidung einer Unterversiche­rung ermittelt wird, § 6 VVG (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 30.03.2011, Az. 3 U 192/10). Der Live-Chat verspricht hier genauso wenig Abhilfe, wie beim Versuch damit Lügen auf Antragsfragen zu verhindern. Antragsfragen ohne Textform erleiden das gleiche Schicksal – wie es der Papst den massenhaft ungültigen Ehen zuschreibt, wenn die Betroffenen nicht wissen was sie sagen – der Unwirksamkeit.

 

Download-Option oder Download-Zwang als Lösungsansatz?

 

Der Gesetzgeber hat eine genaue Reihenfolge bei der Vermittlung vorgegeben, § 62 VVG. Betreffend §§ 7-9 VVG, insbesondere betreffend jene Dokumente die in der Verordnung zu § 7 VVG aufgelistet sind, darf sowieso im Hinblick auf § 62 VVG zeitlich zuvor gar keine Vertragserklärung (früher Antrag auf Versicherungsdeckung genannt) abgegeben werden.

Narren unter den Juristen glauben, es handele sich um eine Bringschuld des VR: In Wirklichkeit kommt es gar nicht darauf an, ob die Informationen des VR nebst Dokumentation des Agenten bzw. Maklers gebracht, abgeholt oder zugeschickt wurde. Vielmehr ist der rechtzeitige Ein­gang beim VN (der Jurist spricht vom Zugang nach § 130 BGB) zeitlich vor der Vertragserklärung, jederzeit beweisbar zu dokumentieren.

 

Dafür aber müsste das Online-Portal des VR schon Tools wie beispielsweise X-Keystore, oder anderes Spielzeug der Geheimdienste einsetzen – denn auch Zwangsdownloads könnten im temporären Speicher des Computers landen, damit nicht dauerhaft sein, und nach dem Herunterfahren des Computers schlicht verschwunden sein.

Unproblematisch ist hingegen das SEPA-Lastschriftmandat, welches ebenfalls in Textform erteilt werden kann, aber nicht den Anforderungen des § 19 VVG entsprechen muss. Wer als Vertriebschef mit dieser Unterscheidung überfordert ist, sollte vielleicht alsbald seinen Hut nehmen dürfen?

 

Noch dreister lügt mancher kriminelle Vermittler

 

Häufig füllt der Vermittler den Bogen mit den Antragsfragen für den Kunden unzutreffend aus – gelegentlich beim Strukturvertrieb verbunden mit gekonntem Nach­ahmen der VN-Unterschrift. Seit einem BGH-Urteil vom 11.11.1987 (BGHZ 102, 194) wird die Kenntnis seines Vertreters bei der Antragsaufnahme „als Auge und Ohr“ dem VR als bei ihm bekannt zugerechnet, § 166 BGB. Mit einem vom Vermittler ausgefüllten Fragebogen kann der VR die Falschbeantwortung des VN nicht beweisen (BGHZ 107, 322). Der Beweis könnte allenfalls über den Versicherungsagenten als Zeugen zu führen sein, der angibt jede Frage tatsächlich vorgelesen zu haben, und der sich ebenfalls noch daran konkret erinnert, was jeweils die VN-Antwort gewesen war, und dass selbige jeweils vollständig im Formular gelandet ist.

Dann folgt die Fangfrage am Ende der Zeugenvernehmung: „Bei Ihrem brillanten Gedächtnis, können Sie mir auch bestimmt sagen, was Sie mittags gegessen hatten – einschließlich Beilagen?“.

 

von Dr. Johannes Fiala und Dipl.-Math. Peter A. Schramm

 

mit freundlicher Genehmigung von Versicherungbote Verlag

(veröffentlicht am 24.10.2016 im Versicherungsbote, Ausgabe 02/2016, Seite 24-25)

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Über den Autor

Dr. Johannes Fiala Dr. Johannes Fiala
PhD, MBA, MM

Dr. Johannes Fiala ist seit mehr als 25 Jahren als Jurist und Rechts­anwalt mit eigener Kanzlei in München tätig. Er beschäftigt sich unter anderem intensiv mit den Themen Immobilien­wirtschaft, Finanz­recht sowie Steuer- und Versicherungs­recht. Die zahl­reichen Stationen seines beruf­lichen Werde­gangs ermöglichen es ihm, für seine Mandanten ganz­heitlich beratend und im Streit­fall juristisch tätig zu werden.
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