Britische Haftungsfallen

Die Vergangenheit holt viele Vermittler regelmäßig wieder ein: Hebelgeschäfte mit britischen Lebensversicherungspolicen werden noch häufig vor Gerichten verhandelt. portfolio international sprach darüber mit Rechtsanwalt Johannes Fiala.
Das Thema kreditfinanzierte britische Lebensversicherungen war im vergangenen Jahr ein hoch brisantes Thema. Sind die Vermittler drei Jahre nach dem Ende der Baisse beziehungsweise nach drei guten Aktienjahren aus dem Schneider? Nein, es gibt noch jede Menge Klagen auf Rückabwicklung. Der Bundesgerichtshof hatte 1997 in einer denkwürdigen Entscheidung festgestellt, dass ganz erhebliche Verlustpotenziale und ein dementsprechend großer Aufklärungsbedarf bei den Kunden bestehen. Angestoßen werden die Schritte der Kunden durch zwei Umstände. Einmal schmerzen die hohen Zinsen, die sie für die kreditfinanzierten Anlagen zu bezahlen haben, zum anderen sehen Anleger auf jedem Kontoauszug, den sie bekommen, dass die ursprünglichen, optimistischen Prognoserechnungen sich schlicht ins Gegenteil verwandelt haben. Solche Kombigeschäfte treiben viele Verbraucher in die überschuldung. Insofern ist es naheliegend, dass der Investor nach einem Schuldigen sucht, der Schadenersatz leistet. Oft kommt aber der Anstoß von außen, also von der Bank, die zusätzliche Tilgungsleistungen verlangt oder aber zusätzliche Sicherheiten.
Von wann stammen die meisten Klagen auf Rückabwicklung, und wie lang sind die Verjährungsfristen? Es ist sicherlich so, dass der Berg der kreditfinanzierten Hebelgeschäfte im vergangenen Jahrzehnt getätigt wurde. Aber auch in den letzten drei bis fünf Jahren wurden solche Geschäfte angeboten. Die Verjährung der Haftung ist im neuen Schuldrecht seit Anfang 2002 so geregelt, dass Schadenersatzansprüche grundsätzlich nach zehn Jahren verjähren, allerdings mit der Einschränkung, dass die Verjährung mit einer dreijährige Frist läuft, sobald der Verbraucher vom Schaden und vom Schädiger Kenntnis erlangt. Dann hat er also nur drei Jahre Zeit.
Wie definieren Gerichte den Terminus „Kenntnisnahme“? Darüber urteilt natürlich immer der Richter im Einzelfall, aber man kann grundsätzlich sagen, dass die grob fahrlässige Unkenntnis einen gleich hohen Rang hat wie die Kenntnis. Wer seine Kontoauszüge also nicht liest, ist selber schuld.
Wie stark haben sich die Klagen auf Rückabwicklung in den letzten Jahren gesteigert? Aus unserer Beobachtung ist es eine kontinuierliche Entwicklung. Allerdings sieht man eine zunehmende Zurückhaltung der Banken in der Kreditvergabepraxis im Zuge der Einführung von Basell II, und das hat insgesamt dazu geführt, dass die Banken vorsichtiger geworden sind. Ich denke, viele Banken werden das Gespräch suchen, um den Kunden zu sanieren und dem Vermittler den Schaden zu ersparen.
Seit drei Jahren sind die Börsen auf Erholungskurs. Da müssten doch auch einige der betroffenen Portfolios saniert worden sein. Das ist sicherlich richtig, da die gute Aktienentwicklung sich in den fondsgebundenen Policen widerspiegelt. Es besteht aber keine Sicherheit, wie hoch der Fälligkeits- oder Schlussbonus ausfallen wird. Darüber lässt sich zwar spekulieren, aber das ist keine werthaltige Kreditsicherheit für die finanzierende Bank. Prognoserechnungen und ein ungewisser Fälligkeitsbonus zu einem festgelegten Termin sind für die Bank nicht beleihungsfähig, da sie nicht wissen kann, wie die Börse läuft und wie viel Geld der Kunde tatsächlich bekommt.
Hat der Vertrieb aus dem Debakel der Anleger gelernt, oder wird am Markt noch immer mit übertrieben optimistischen Prognoserechnungen opereriert? Die Krux an solchen Produkten ist, dass schlimmstenfalls nur jeder zweite Vertrag bis zur Fälligkeit bestehen bleibt. Da stellt sich zunächst die Frage, ob immer das richtige Produkt an den richtigen Kunden vermittelt wurde. Ein vorsichtiger Finanzplaner würde eine britische Police eher wie einen Aktienfonds einstufen und wird dann auch schauen, dass er nicht alles auf eine Karte setzt. Allerdings ist das Provisionsinteresse hoch. Ich rate Vermittlern, darauf zu achten, dass der Kunde nicht sein ganzes Geld in so ein Produkt steckt, schon gar nicht mit einem zehnfachen Hebel. Die Qualität der Fondspolicen ist im Grundsatz gut, es kommt darauf an, dass sie optimal vertrieben werden, und zwar im Sinne einer Aufklärung des Kunden und der Risikostreuung.
Aber der Vertrieb muss mit Prognoserechungen arbeiten, weil Kunden eine Renditeschätzung verlangen. Was kann er dem Kunden überhaupt noch an Rendite in Aussicht stellen? Eine Prognoserechnung muss einen entsprechend langen Anlagehorizont voraussetzen. Schließlich ist es ja nicht zwingend, dass ein Produkt, das in der Vergangenheit sieben oder acht Prozent pro Jahr erwirtschaftet hat, auch in der Zukunft kurzfristig so laufen wird. Manche Versicherer müssten mitbekommen haben, dass einige ihrer Vertriebspartner mit Renditen von zehn, elf oder zwölf Prozent werben. Die Versicherer sind bei der entsprechenden Einstellung ihrer Beratungssoftware vorsichtiger geworden. Für den Vermittler ist es eine Gratwanderung: Die Versicherer versuchen sich mit dem Hinweis auf die Unverbindlichkeit der Prognoserechnung aus der Verantwortung zu ziehen. Der Vermittler muss sicherstellen, dass der Kunde auch wirklich verstanden hat, dass es sich bei der Beispielrechnung nur um eine unverbindliche Prognose handelt. Die Renditeprognosen lösen als solche keinen Haftungsfall aus. Auf keinen Fall dürfen solche Policen als sicheres Investment dargestellt werden, und auch das Wesen der Garantien, die gegeben werden, muss erklärt werden. Was aber viel zu wenig beachtet wird, ist, dass auch die Versicherer in der Verantwortung dafür stehen, was der Vertrieb macht.
Wie realistisch sind die Chancen der Anleger, aus solchen Verträgen herauszukommen? Bei Hebelgeschäften, die häufig auch unter so Bezeichnungen wie „Spar-Rente“, „Euro-Plan“ oder „Sofortrente“ laufen, ist die Aufklärungspflicht für den Vermittler kaum erfüllbar. Mir ist jedenfalls kein Fall bekannt, in dem die Anforderungen der Rechtsprechung umgesetzt worden sind. Das ist auch ein Schulungsverschulden von Vertriebsorganisationen, die den Vermittlern oft nicht ausreichend mit Dokumentationsund Fragebögen ausstatten, so dass eine ordnungsgemäße und vollständige Beratung weitestgehend haftungsfrei umsetzbar wäre. Das zweite Einfallstor ist die negative Presseberichterstattung, über die der Vermittler Kenntnis zu haben hat. Es gab schon in den 90er Jahren höchst kritische Berichte in der Fachpresse zu den Risiken von Aktienpoolprodukten. Das ist für die meisten Anleger heute das effektivste Einfallstor, um gegen den Vertrieb vorzugehen und die Rückabwicklung der Policen zu erreichen.
Steht der Vermittler diesen Klagen allein gegenüber, oder kann auch der Versicherer in die Haftung genommen werden? Um die Dimensionen zunächst einmal klar zu machen: Es werden in Deutschland jährlich 20.000 bis 30.000 Vermittler verklagt. Es gibt darüber hinaus eine weit größere Anzahl von außergerichtlichen Einigungen. Jährlich dürfte es nach meiner Einschätzung rund 100.000 Haftungsfälle bei Vermittlern geben. Der Vermittler hat eine relativ gute Chance, den Versicherer mit ins Haftungsboot zu holen. Zum einen sind die Vermittler in der Regel Erfüllungsgehilfen, gewissermaßen also der verlängerte Arm des Versicherers. Insofern ist auch der Versicherer ein Ansprechpartner bei Schadenersatzklagen der Anleger. Zum anderen hebt der kluge Vermittler seine ganzen Schulungsunterlagen und Mitschriften auf, die er vom Versicherer bekommt. Ein Vermittler tut sich leicht, die Hebelgeschäftshaftung auf den Versicherer unter dem Aspekt des Anleitungs- beziehungsweise Schulungsverschulden abzuwälzen. Wenn es eine Veranstaltung gab, auf der der Versicherer so ein Konzept beschönigt hat, dann kann der Vermittler auf Haftungsfreistellung klagen.
Wie sieht die Praxis aus? Die Versicherer sind in aller Regel klüger als die Banken und streben sehr oft eine außergerichtliche Einigung an, wenn der Vermittler eine glaubwürdige Dokumentation über Schulungsverschulden der Vertriebssteuerung des Versicherers vorlegen kann. Es besteht dann in der Regel kein Interesse beim Versicherer, dass ein Richter das Verschulden in ein Urteil gießt, das durch die ganze Branche getragen wird.
Was raten Sie Vermittlern, denen die Haftungsfalle droht und die schlecht abgesichert sind? Der Vermittler könnte sich an Kollegen wenden und sich dort mit Unterlagen munitionieren. Es gibt auch im Internet entsprechende Serviceportale. Es gibt bei der Vermögenschadenhaftpflicht- Versicherung (VSH) die so genannte Claim-made-Versicherung, eine Rückwärtsversicherung, zu günstigen Konditionen. Dafür braucht man aber einen guten Versicherungsmakler, der auf den VSH-Bereich spezialisiert ist. Soche Maßnahmen stoßen allerdings an ihre Grenzen, wenn ein kriminelles Verhalten vorliegt. Ein Vermögensdelikt wie Anlage- oder Beratungsbetrug ist ein großes Hemmnis für die Restschuldbefreiung. Der Vermittler sollte generell darauf achten, dass ihn der Versicherer mit Beratungsprotokollen ausstattet, die einer rechtlichen Prüfung standhalten. Das größte anzunehmende Unglück im Gerichtssaal ist es, wenn der Kunde sagt: „Ja, wir haben darüber gesprochen, aber ich habe es nicht verstanden.“
Müsste der Vermittler mit dem Kunden bei Investmentthemen nicht generell viel mehr über das Thema Risiko sprechen? Die Parameter Risiko und Rendite sind elementare Bestandteile der Portfoliotheorie, wie sie Harry Markowitz zur Optimierung von Risiko und Ertragschancen formuliert hat. Durch eine Optimierung der Asset Allocation kann für den Kunden die Frage nach zu viel Risiko und zu wenig Ertrag fein justiert werden. Der Blick in die Vergangenheit kann schon sehr aufschlussreich mit Blick auf die Volatilität einer Anlage sein. Eine breite Diversifizierung kann die optimale Mischung für die Kundenportfolios bringen.
Die meisten Berater-Tools müssten Markowitz berücksichtigen, das Problem ist häufig, dass es der Kunde nicht versteht und am Ende der Beratung fragt: „Wie viel Prozent kommen dabei heraus … Ich rate dem Vermittler trotzdem zu einem Ansatz, der den Kunden aufklärt. Zumal die Neukundengewinnung zehnmal mehr kostet, als einen bestehenden Kunden weiter zu pflegen. Wenn der Bestandskunde merkt, dass er angeschwindelt wurde, dann ist die Geschäftsbeziehung erheblich beeinträchtigt.
Das Interview führte Ali Masarwah
(portfolio international 1/2006, 12)
Mit freundlicher Genehmigung vonhttp://www.portfolio-international.de/>www.portfolio-international.de.

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Über den Autor

Dr. Johannes Fiala Dr. Johannes Fiala
PhD, MBA, MM

Dr. Johannes Fiala ist seit mehr als 25 Jahren als Jurist und Rechts­anwalt mit eigener Kanzlei in München tätig. Er beschäftigt sich unter anderem intensiv mit den Themen Immobilien­wirtschaft, Finanz­recht sowie Steuer- und Versicherungs­recht. Die zahl­reichen Stationen seines beruf­lichen Werde­gangs ermöglichen es ihm, für seine Mandanten ganz­heitlich beratend und im Streit­fall juristisch tätig zu werden.
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