Die Gesundheitsreform: Verdacht einer verfassungswidrigen Totgeburt und andere Defizite für den Bürger

Die Gesundheitsreform sollte einmal die Kostenbelastung senken, aber das Gegenteil dürfte der Fall sein. Nicht nur die privaten Krankenversicherer, bei denen etwa 10% der Bevölkerung versichert ist, sondern auch andere Beteiligte werden nicht müde, sich zur Gegenwehr auf eine Vielzahl von Rechtsgutachten renommierter Professoren zu berufen:

 

Darin wird der Gesundheitsreform bis in die Gegenwart die Verfassungswidrigkeit bescheinigt. Daneben gibt es jedoch bisher wenig beachtete Defizite, welche den Bürger weiter belasten. Versicherungspflicht für alle? über 200.000 Bundesbürger sind ohne Krankenversicherungsschutz – dies soll sich ändern, indem Jedermann jederzeit berechtigt (aber nicht verpflichtet) ist, sich bei einer Kasse zu versichern. Das Niveau dieses Schutzes für die zur PKV Berechtigten – im sogenannten Basistarif – orientiert sich am heutigen GKV-Niveau – sogar über dem jetzigen Standardtarif in der privaten Krankenversicherung (PKV) nach § 12 VAG. Faktisch waren die Versicherer durch § 257 V SGB V bereits seit 1995 gezwungen, solch einen Tarif als Vollversicherer anzubieten, denn dies ist Voraussetzung für einen Arbeitgeberzuschuss an die privat versicherten Arbeitnehmer.

 

Verfassungsrechtlich ist dieses Versicherungsniveau (incl. Kuren, Psychoanalyse, usw.) jedoch zur Erreichung des Ziels, jedem Bürger eine Basisversorgung zu ermöglichen, ganz offenbar nicht erforderlich, wenn man den Standard des GKV-Schutzes als bereits hohes Niveau für eine Versorgung fast aller würdig. Schließlich steigen durch das neue System die Beiträge vermutlich um 20-30% (durch die Rahmenbedingungen des Basistarif alleine schon um vermutlich bis 10 % und mehr), was alleine schon nahelegt, dass dies nicht mehr angemessen bzw. vertretbar erscheinen kann. Auch der Wettbewerb wird durch das neue System keinesfalls in der gewünschten Weise gestärkt.

 

Damit sollen nicht nur gute und schlechte Risiken auch in der PKV in einen Topf geworfen werden, sondern auch die Querfinanzierung innerhalb der Basis-Tarif-Gruppe (innerhalb einer Versicherung, sowie über den „Risikostrukturausgleich“ als fremdnützige Abgabe) kann man als Sonderopfer interpretieren. Nicht nur kann jeder der PKV als Kunde Zuordenbare jederzeit ohne Risikoprüfung und zu einkommensabhängigen von den anderen PKV-Kunden subventionierten Beiträgen sich erstmals zum Basistarif anmelden, sondern auch jeder heutige PKV-Kunde kann, wenn ihm Risikozuschläge oder die letztlich auch durch die beabsichtigten Maßnahmen erhöhten Beiträge nicht mehr tragbar erscheinen oder sein Einkommen sich vermindert, zulasten der schwindenden Zahl der in den übrigen Tarifen Verbleibenden in den Basistarif wechseln.

 

Beides kann gegen den Gleichheitssatz der Verfassung verstoßen, Art. 3 GG. Teile der Versicherungswirtschaft könnten durch einen erzwungenen Strukturwandel wegen wirtschaftlicher Belastungen ebenso vom Markt verschwinden, wie es für den Bereich der GKV ein erklärtes politisches Ziel ist. Ein Punkt dabei ist der Kontrahierungszwang, der das Kündigungsrecht des Versicherers wegen Prämienverzug faktisch leer laufen lässt. Und warum sollte man noch Prämien zahlen, wenn man bei Bedarf und in der Not sich jederzeit wieder günstig versichern kann? Dieser Trend wird dadurch verstärkt, dass freiwillig GKV-Versicherte sich primär für den finanziell günstigeren PKV-Tarif entscheiden könnten. Andererseits wird ein Trend zur GKV bestehen bleiben, sofern und solange die beitragsfreie Familienversicherung noch eingreift. Und schließlich werden gute Risiken den PKV-Basistarif zu verlassen suchen, um eine Vollversicherung zu erreichen. Auch ist zweifelhaft, ob sich dieses Basis-Versicherungspaket jeder leisten will und muss, denn dem Bürger steht verfassungsrechtlich die Privatautonomie zur Seite, § 2 I GG. Wieso soll sich ein Bürger nicht für einen geringeren Leistungsinhalt entscheiden können? Angesichts der kommenden Erschwernisse wird es eine interessante Option, unversichert zu bleiben und seine Krankheitskosten selbst zu tragen oder sich freiwillig in nicht staatlich reglementierten Kranken-Unterstützungskassen zusammenzuschließen.

 

Und wie steht es mit Versicherten, die im Ausland eine dort gesetzliche oder private Versicherung bereits besitzen? Können diese dann im Ausland Ihren Versicherungsschutz aufkündigen, weil sie durch einen Wohnsitz im Inland immer Basis-versichert werden?

 

Hausarzttarif als Fluch oder Segen?

Zur Kostendämpfung gibt es bereits Modelle, wonach die Prämie günstiger ist, wenn der Versicherte zuerst zum Hausarzt geht. Nun kann es aber leider vorkommen, dass bei einem Herzinfarkt der Bürger im Urlaub beispielsweise auf Mallorca gleich zum Facharzt muss – da bleibt keine Zeit vom Urlaubsort zuerst den Hausarzt zu besuchten. Damit tritt jedoch der Versicherungsfall ein, womit in mancher PKV-Police für diese Krankheit lediglich 75% der Kosten ein Leben lang vom Versicherer getragen werden. Auslandsaufenthalt ohne Versicherungsschutz!

Bis heute bestehen nicht mit allen Staaten Sozialversicherungsabkommen, so dass gesetzlich Versicherte im Ausland, auch bei beruflicher Versetzung, keine Leistungen aus der GKV erhalten. Will ein Rentner sein Alter beispielsweise in Brasilien verbringen, wird er von seiner GKV schlicht abgemeldet. Ohne Wohnsitz im Inland leben Deutsche im Ausland auch weiterhin mancherorts ohne Versicherungsschutz – auch den der Gesundheitsreform.

 

Auch im Bereich der PKV ergeben sich zumeist entsprechende Lücken:

Das Alter in Italien zu verbringen erweist sich bei den allermeisten Policen als Fall für die Versicherungsmaklerhaftung, denn nur ein vorübergehender Aufenthalt von wenigen Monaten wird hier durch die PKV gedeckt sein. Eine wirkliche Freizügigkeit ist derzeit bei der Krankenversicherung nicht gegeben. Doch wer krank wird und dann nach Deutschland zurückkehrt, soll offenbar sofort eine Versicherungsmöglichkeit erhalten – bezahlt ggf. zulasten der übrigen. PKV-Wechsel als Schnäppchen auf Kosten der Versicherer? Wer bereits PKV-versichert, kann zu einer beliebigen PKV wechseln, und seine Altersrückstellungen für den Basis-Tarif mitnehmen. Dies wird unweigerlich dazu führen, dass „gute Risiken“ sich am Preis orientieren – denn die Tarife in der GKV kennen keine Kalkulation nach Risiko und Eintrittsalter, dafür die Tarife der PKV keine Kalkulation nach dem Einkommen, also der Leistungsfähigkeit.

Wenn ein Versicherter durch die Prämienhöhe zur Sozialfall würde, darf der Versicherer im Basistarif nur die Hälfte verlangen. Dies wird sich auf die Kalkulation für alle PKV-Versicherten auswirken. Eine Prämienkalkulation nach Risiko stößt hier an Grenzen, der Bereich des Versicherungsgeschäfts wird verlassen – so dass auch die Gesetzgebungskompetenz des Bundes von den Rechtsgutachtern angezweifelt wird. Der Zwangsverband der PKV und die staatliche Vorgabe einer Prämienhöhe belasten offenbar zwangsläufig die übrigen Zusatz- und Vollversicherten. Zankapfel der Alterungsrückstellungen Nicht alle Rechtsgutachter für die PKV sind der Auffassung, dass die Mitgabe der Altersrückstellungen von einer PKV zu einem anderen PKV-Unternehmen verfassungsrechtlich sogar geboten sei. Einig sind sich die Rechtsgelehrten jedoch darin, dass die Mitgabe beim Wechsel von der PKV zur GKV jedenfalls verfassungswidrig ist.

Dies leuchtet bereits deshalb ein, weil die GKV in aller Regel keine Altersrückstellungen beim umgekehrten Weg, also dem Wechsel zur PKV mitgeben wird. Dies immerhin ist im Laufe des bisherigen Gesetzgebungsverfahrens als offensichtlich verfassungswidrig abgewendet worden. Ein zunehmender Wettbewerb unter PKV-Anbietern im Bereich der Vollversorgung wird zwar stattfinden, auch wenn lediglich die Altersrückstellungen auf Niveau Basistarif mitgegeben werden.

Der PKVAnbieter besitzt außerhalb des Basistarifes keinen Abschlusszwang. Auch dies kann als verfassungswidrige Ungleichbehandlung in Frage kommen, Art. 3 GG. Abwerbungen eines Versicherers von einem anderen vom und in den Basistarif werden offenbar die Ausnahme bleiben. Doch werden Versicherer mit neuen günstigen Tarifen die Kunden aus anderen bisher schon bestehenden Tarifen anderer Versicherer abwerben. Sie können sich dabei die Gesunden Kunden aussuchen. Als Folge bleiben die Kranken beim bisherigen Versicherer. Dies ist zwar heute auch schon ein Problem, doch künftig wird sich dies wegen der Mitgabe der Alterungsrückstellung noch verstärken, denn auch für bereits länger Versicherte wird der Wechsel interessant. Erste Versicherer üben sich schon in der Aufnahme von gesunden Neukunden ohne jede Altersgrenze. Bezahlen müssen dies die verbleibenden Kranken im Tarif, denn wenn die Gesunden mitsamt ihrer Alterungsrückstellung zur „Konkurrenz“ gehen, werden deren Beiträge für ihr durchschnittlich immer mehr steigendes Risiko immer stärker zunehmen.

Folge: die bekannte Entmischung oder „Vergreisung“, denn jetzt wird sich jeder retten, der dies noch kann – es entsteht eine Spirale zunehmender Risikoverschlechterung, Verteuerung und weiterer Abwanderung. Diese Entmischung wird in keiner Weise in der Branche ausgeglichen, denn die betreffenden Kunden sind ja gar nicht im Basistarif – nur für den wäre das branchenweite Ausgleichssystem vorgesehen, das die Entmischungsfolgen ausschließlich im Basistarif im Nachhinein zwischen den Unternehmen ausgleichen soll. Bezahlt haben sie für diese Verabschiedung der Gesunden unter Mitgabe der Alterungsrückstellung aber schon vorher – denn die Einkalkulation der Alterungsrückstellungs-Mitgabe schlägt alleine schon mit Beitragserhöhungen bis 20 % und mehr zu Buche. Je mehr Gesunde gehen, desto mehr steigen die Beiträge der bisherigen Tarife.

Wer sich dann wegen Vorerkrankungen nicht zum Konkurrenzunternehmen retten kann (dem aber auch irgendwann das gleiche Schicksal droht), dem bleibt der Weg in den Basistarif. Bezahlen muss dies letztlich der Kranke, der – noch – nicht in den Basistarif will. Eine solche Art von schädlichem Wettbewerb – gegenseitiges Abjagen der Gesunden – also ist Folge der Gesundheitsreform. Derjenige PKV-Versicherer überlebt für einige Zeit länger, der sich dem Kannibalismus verschreibt. Abschaffung der ärztlichen Therapiefreiheit? Bereits heute gibt es in der Medizin Überlegungen, dass eine „neue“ Spender-Leber für einen 70- Jährigen nicht mehr lohnen soll – für einen 40-Jährigen, der ebensolche mit entsprechenden Folgen zu oft mit zu viel Chianti genossen hat, schon. Eine ethische Aufarbeitung dazu ist wenig bekannt. Dem Arzt soll nun untersagt werden, ohne Abstimmung mit einem „ausgewiesenen“ Zweitarzt, innovative bzw. teure Medikamente aus den Bereichen der Bio- und Gentechnik zu verordnen.

Wirtschaftlichkeit soll offenbar vor Therapie stehen – eine Verstärkung des Trends zu einer Versorgung erster und zweiter Klasse? ähnliche Ideen sind ja leider auch schon aus dem Bereich der PKV zu hören gewesen. Kosten-Monopoly? Der neue Beitragssatz der GKV soll von der Regierung festgelegt werden – aber niemand weis, wie hoch eventuelle Beitragserstattungen später bei seiner Kasse sein werden oder eben ein Zusatzbeitrag, den die Kasse berechnen muss. Es ist absehbar, dass diese neue Art Wettbewerb von einem guten Teil der heutigen Krankenkassen nicht zu überleben ist.

 

 

von Dr. Johannes Fiala und Dipl.-Math. Peter A. Schramm

 

mit freundlicher Genehmigung von

www.vincentz-berlin.de/produkte/dgd.cfm (veröffentlicht in Der gelbe Dienst Ausgabe 23/2006, Seite 10)

und

www.med-dent-magzin.de (veröffentlicht in med-dent-magazin.de 1/2007, Seite 7 unter der Überschrift: Die Gesundheitsreform: Verdacht einer verfassungswidrigen Totgeburt und andere Defizite für den Bürger)

und

von www. dental-tribune.de (veröffentlicht in Dental Tribune 1+2/2007, 10 unter der Überschrift: Verdacht einer  verfassungswidrigen Totgeburt und andere Defizite für den Bürger)

und

von www.2xfromm.de (veröffentlich in

PROPRAXIS Onkologie/Hämatologie November / Dezember 2006, Seite 62 unter der Überschrift: Verdacht einer  verfassungswidrigen Totgeburt

Propraxis Gynäkologie Nov+Dez 2006, Seite 42, unter der Überschrift: Verdacht einer  verfassungswidrigen Totgeburt

PROPRAXIS Kardiologie November / Dezember 2006, Seite 54 unter der Überschrift: Verdacht einer  verfassungswidrigen Totgeburt

PROPRAXIS Orthopädie/Rheumatologie November / Dezember 2006, 34 unter der Überschrift: Verdacht einer  verfassungswidrigen Totgeburt

Vita Nov./Dez. 2006, Seite 50, unter der Überschrift: Verdacht einer  verfassungswidrigen Totgeburt)

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Über den Autor

Dr. Johannes Fiala Dr. Johannes Fiala
PhD, MBA, MM

Dr. Johannes Fiala ist seit mehr als 25 Jahren als Jurist und Rechts­anwalt mit eigener Kanzlei in München tätig. Er beschäftigt sich unter anderem intensiv mit den Themen Immobilien­wirtschaft, Finanz­recht sowie Steuer- und Versicherungs­recht. Die zahl­reichen Stationen seines beruf­lichen Werde­gangs ermöglichen es ihm, für seine Mandanten ganz­heitlich beratend und im Streit­fall juristisch tätig zu werden.
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