Die Handakte des Steuerberaters, Wirtschaftsprüfers und Rechtsanwalts (Teil I)

Die Handakte ist für Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwälte gleichermaßen Handwerkszeug des beruflichen Alltags

 

1. Der sogenannte größte Feind des Berufsträgers ist nicht selten der eigene Mandant, denn gerade bei Unstimmigkeiten mit dem Auftraggeber können im Zusammenhang mit der Handakte Unannehmlichkeiten für den Berufsträger entstehen, die durch genaue Kenntnis der Rechtslage vermieden werden können. Sorglosigkeit bei Führung der Handakte kann zu erheblichem Verdruß führen.

Gliederung:

In diesem Heft:

1. Handakte als persönliche Pflicht des Berufsträgers

2. Kosten

3. Eigentum an der Handakte

4. Anspruch auf Herausgabe der Handakte

 

Im nächsten Heft:  

5. Anspruch auf Einsicht der Handakte

6. Auskunft über den Bestand der Handakte

7. Kollision mit Geheimhaltungsinteressen

8. Beschlagnahme, Vorlage der Handakte, Aufzeichnungspflichten

9. Pflichtgemäße Tätigkeit

10. Verkauf der Kanzlei

11. Tod/Ausscheiden des Berufträgers

12. Aktenvernichtung

 

1. Handakte als persönliche Pflicht des Berufsträgers

Die Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO), die Wirtschaftsprüferordnung (WPO) bzw. das Steuerberatergesetz (StBerG) belegen den Berufsträger mit der Pflicht zur Anlegung von Handakten (vgl. § 50 BRAO/§ 51b WPO/ § 66 StBerG). Der BGH spricht dabei von einer Pflicht, die den Berufsträger in seiner persönlichen Verantwortung als mit einer Geschäftsordnung Beauftragten trifft und deshalb von ihm selbst erfüllt werden kann und muss. Nicht nur WPO, BRAO und StBerG, sondern auch die Vernunft gebietet das Führen von Handakten aus organisatorischen wie auch aus Haftungsgründen. Die Handakte dient dazu, alle wesentlichen Vorgänge eines Mandats wiederzugeben. So kann der Berufsträger anhand der Handakte den Fortgang einer Sache dokumentieren und diese ggf. als Beweismittel bei Honorar- oder Haftungsstreitigkeiten mit dem Mandanten heranziehen. Dem Vorwurf einer nachträglichen Manipulation der Handakte kann durch Paginierung der einzelnen Schriftstücke vorgebeugt werden.

 

1.1 Inhalt

Zum Inhalt der Handakte gehört alles, was der Berufsträger aus Anlass seines Auftrages in einer bestimmten Angelegenheit an Schriftstücken, z. B. Briefe, Urkunden, Belege, Schriftsätze, gerichtliche Verfügungen, Entscheidungen, Vollstreckungstitel, Gutachten, Registerauszüge, Notizen, vom Auftraggeber erhalten, für ihn empfangen oder selbst gefertigt hat. Es ist durchaus empfehlenswert aus Gründen der späteren Beweisbarkeit von Tätigkeiten, insbesondere Besprechungen, Beratungen, Telefonate usw. durch eine Gesprächsnotiz zu dokumentieren und in die Handakte aufzunehmen. Dabei muss alles zum Bestandteil der Akte gemacht werden, etwa durch Einheften. Lose Zettel sind nach ständiger Rechtsprechung unzulässig. Nicht in die Handakte gehören Gelder, Schmuck, Wertgegenstände oder sperrige Güter. Selbstredend ist es sinnvoll, über Verwahrgegenstände und Effekten ein Bestandsverzeichnis zur Akte zu nehmen. Bereits wegen der Konsequenzen für das gesetzliche Mindesthonorar sollten verschiedene Angelegenheiten nicht nur mit einem individuellen Betreff geführt sondern auch einer separaten Akte zugewiesen werden.

 

1.2 Pflicht zur Aufbewahrung

Die Pflicht zur Aufbewahrung der Handakte hat primär zwei rechtliche Verwurzelungen. Explizit wird sie in § 50 Abs. 2 BRAO, § 66 Abs. 1 StBerG und § 51b Abs. 2 und 3 WPO benannt und logisch ergibt sie sich aus der dem Auftragsrecht entstammenden Pflicht zur Herausgabe nach § 667 BGB. Die Frist für die Aufbewahrung beginnt mit Beendigung der Angelegenheit. Die BRAO räumt dem Anwalt die Möglichkeit ein, die in § 50 Abs. 2 Satz 1 benannten fünf Jahre Aufbewahrungspflicht faktisch auf sechs Monate zu verkürzen. Zur Abkürzung der Aufbewahrungsdauer muss der Berufsträger seinen Mandanten auffordern, seine Akte innerhalb dieser sechs Monate abzuholen. Kommt dieser der Aufforderung nicht nach, steht es dem Berater frei, die Akte zu vernichten.

Gleiches gilt für den Steuerberater/-bevollmächtigten und den Wirtschaftsprüfer, der so die gesetzliche Aufbewahrungsfrist von sieben Jahren ebenfalls auf sechs Monate verkürzen kann, § 66 Abs. 1 StBerG und § 51b Abs. 5 WPO. Diese Vorgehensweise ist aber in der Praxis nicht zu empfehlen, da der Berufsträger so ggf. wichtige Beweismittel in Haftungsstreitigkeiten aus der Hand gibt. Daher wird sich in der Praxis die Aufbewahrungsdauer nach den Verjährungsvorschriften richten. Nach der Rechtsprechung des BGH beträgt die Sekundärverjährung für Regressansprüche gegen den Berufsträger sechs Jahre. Berater, die über Vermögen mittels eines Treuhand- oder Anderkontos verfügt haben, können möglicherweise persönlich für die Abgaben nach AO haften (vgl. §§ 33 ff. i. V. m. § 69 AO). Wenn der Vorwurf einer Beihilfe und Mittäterschaft bei der Abgabenhinterziehung aufkommen könnte, empfiehlt sich eine Orientierung an der Verjährungsdauer von 10 Jahren. Regreßansprüche aus berufsträgertypischen Ehrenämtern, wie z. B. Vormundschaften oder Nachlasspflegschaften, verjähren erst nach 30 Jahren, §§ 1833 , 195 BGB. Auch hier kann man sich durch eine Entlastungserklärung der lästigen Frist entledigen. Auch wenn die Unterlagen vor Verjährungsende an den Mandanten herausgegeben werden, sollte im Zweifel immer eine Kopie zumindest der wesentlichen Unterlagen beim Berufsträger verbleiben, sofern nicht eine Entlastungserklärung erteilt wird. Das erleichtert im Zweifel die Beweisführung erheblich. Die Kosten dafür könnten schon in die Honorarvereinbarung Eingang finden. überdies müssen die Berufsträger – nicht nur bei treuhänderischer Vermögensverwaltung – die Regelungen des HGB und der AO in und als eigene Angelegenheit beachten: So muss etwa der Konkursverwalter ggf. auf eigene Kosten die Akten nicht nur führen sondern auch die steuerlichen Erklärungs- und Aufbewahrungspflichten erfüllen.

 

2. Kosten

Von Interesse kann es für den Berufsträger durchaus sein, wer die Kosten trägt, die aus der Pflege und Führung der Handakte entstehen. Da gemäß § 25 BRAGO und § 12 StBGebV die Gebühren bereits die allgemeinen Geschäftskosten decken, bleibt der einzige Weg über Schreibauslagen (§ 27 BRAGO, § 17 StBGebV) oder über eine Klausel in der Honorarvereinbarung. Zu den Kosten, die durch die Gebühren abgegolten werden, gehört unstreitig auch das Material zur Anlegung der Handakte, wie Ordner, Rubrikblätter o. ä. Interessanter wird es bei der Kostenverteilung über den Inhalt der Handakte. Soweit nicht anders in einer Honorarvereinbarung festgeschrieben, kann der Berufsträger gem. § 27 BRAGO und § 17 StBGebV nur die Auslagen für Abschriften aus Gerichts- und Behördenakten oder im Einverständnis des Auftraggebers zusätzlich angefertigte Kopien beim Mandanten geltend machen.

Dabei gilt die Kopie bzw. der Abdruck eines zu Gericht gegangenen Schriftsatzes nicht als “zusätzlich” und löst daher keine Schreibauslage aus. Dies gilt sinngemäß für den Schriftverkehr mit der Behörde, insbesondere im Rechtsbehelfsverfahren. Der Berufsträger kann Schreibauslagen nur fordern, wenn die zusätzlichen Abschriften im Einverständnis mit dem Auftraggeber gefertigt wurden. Das Einverständnis kann dabei ausdrücklich oder konkludent erklärt werden. Auch wenn die Gegebenheiten darauf hindeuten, ist nicht das Einverständnis des Auftraggebers ohne weiteres zu unterstellen.

Auch wenn Preise für Ablichtung auf dem freien Markt geringer als die gesetzlichen Gebühren sein können, dürfte der Kanzleiaufwand unter Berücksichtigung der sonstigen Bürokosten noch höher sein. Es empfiehlt sich, den neuen oder unerfahrenen Mandanten darauf hinzuweisen, dass die Ablichtung von Originalschriftstücken und Urkunden durch den Berufsträger mit Kosten verbunden ist, die dadurch vermieden werden können, indem der Auftraggeber dem Berufsträger selbst angefertigte Kopien zur Mandatsbearbeitung überläßt.

Dabei stellt es sich als Erleichterung bei Mandatsbeendigung dar, wenn der Berater vereinbart hat, dass es sich hierbei um Arbeitskopien zum Verbleib beim Berater handelt und er einen Auftrag zum Anfertigen der Kopien für seine Akte schriftlich dokumentiert hat. Zu Unterscheiden ist zwischen Unterlagen, die “zur Ausführung des Auftrags” (etwa Originalverträge, Buchführungsunterlagen) zur Verfügung gestellt wurden (sind herauszugeben) und solche Unterlagen (etwa Arbeitskopien von Originalen, die der Mandant behalten hat), die als Anlagen zum Bestandteil der Korrespondenz mit dem Berufsträger rechnen (nicht herauszugeben).

Ferner sollte die Gepflogenheit des jeweiligen Berufsträgers bezüglich der Kosten für Kopien bereits deshalb expliziten Eingang in etwaige Honorarvereinbarungen finden, damit das Vertrauensverhältnis nicht durch überraschend hohe Nebenkosten der Bearbeitung leidet. In der Praxis hat es sich bewährt, schon bei der Mandatsanbahnung den Auftraggeber darauf hinzuweisen, dass nur Kopien der benötigten Unterlagen zur Bearbeitung durch den Berufsträger überlassen werden sollten. Damit lässt der Berufsträger insoweit die Verantwortlichkeit für die Vollständigkeit von Sachverhaltsangaben beim Auftraggeber, der ja dann die Originale im unmittelbaren Besitz behält. Außerdem baut der Berater dadurch dem Vorwurf des Mandanten vor, er sei doch mangels ihm zur Verfügung stehender Unterlagen gar nicht in der Lage gewesen, die Arbeitsergebnisse, Schreiben und Schriftsätze ordentlich zu prüfen, um diese sodann wirksam zum Auslauf freizugeben.

Bei etwaigen Regressansprüchen des Mandanten sieht dieser sich dann einem erheblichen Mitverschulden gem. § 254 BGB ausgesetzt, wenn die Arbeitskopien unvollständig waren. Ferner können bei Überlassung von Kopien durch den Auftraggeber auch solche Ersatzansprüche gar nicht erst entstehen, die mit dem Verlust von Originalurkunden beim Berufsträger einhergehen würden. Für steuerberatende Berufsträger ist es jedoch teilweise Usus, FiBu-Belege im Original zu erhalten, wenn nicht etwa die Erfassung der Belege beim Auftraggeber erfolgt und die Information im Wege des Daten(träger)austausches erfolgt.

Auch im Urkundenprozess benötigt der Berufsträger die beweiserheblichen Originale zur Beglaubigung als Schriftsatzanlage. Bei der Bearbeitung von Angelegenheiten im Zusammenhang mit Rechnungslegung oder Auseinandersetzung (Auftrags-, Familien-, Gesellschafts-, Erbrecht, usw.) wird durch Auftraggeber oft nicht unerhebliches Belegaufkommen im Original zur Bearbeitung vorgelegt. Auch wenn es für den Berater ein Segen sein mag, daß der Auftraggeber im Zweifel zu beweisen hat, welche Unterlagen er dem Berater übergeben hatte, empfiehlt es sich, dem Mandanten schriftlich zu bestätigen, welche Dinge vorgelegt und zur Akte genommen wurden:

Damit wird dem Mandant eine abermalige Möglichkeit geboten, die Vollständigkeit zu kontrollieren und die eigene Verantwortlichkeit beschränkt. Im Rahmen der Handaktenführung sollte darauf geachtet werden, dass bei Aufzeichnung von Kopierkosten solche besonders gekennzeichnet werden, die im Rahmen einer Kostenfestsetzung erstattungsfähig sind:

Dabei handelt es sich um Kopien von Urkunden als Anlagen zu Schriftsätzen, für Gericht, Gegner und die eigene Handakte11. Zu den erstattungsfähigen Kosten gehören auch diejenigen für solche Kopien, die anlässlich von Akteneinsichten gefertigt werden: Die Rechtsprechung billigt dem Berufsträger ein weites Ermessen bei der Frage zu, welche Bestandteile kopiert werden.

 

3. Eigentum an der Handakte

3.1 Eigentum nach außen (Mandant)

Die Handakten sind ein “Inbegriff von Gegenständen” im Sinne von § 260 BGB13. Handakten sind nach Meinung des BGH14 keinesfalls Gesamturkunden im Sinne des § 267 StGB, so dass bei der Vernichtung von handschriftlichen Informationen der Berufsträger daher nicht wegen Urkundenfälschung strafbar ist. Unberührt davon bleibt aber eine standesgerichtliche Beurteilung.

Unproblematisch ist die Eigentumsfrage bei Schriftstücken, die für den Berufsträger bestimmt sind und solche, die der Berufsträger für sich angefertigt hat, wie z. B. das Aktenblatt oder Notizen über persönliche Eindrücke und vertrauliche Hintergrundinformationen. Auch wenn die Berufsträger diese Schriftstücke an den Mandanten mit der Akte herausgibt, überträgt er keinesfalls konkludent Eigentum an den Auftraggeber. Entwendet dieser solche Aktenbestandteile, begeht er eine Unterschlagung.

Urkunden, die weder dem Mandanten noch dem Berufsträger gehören, sondern letzterem lediglich zur Sachbearbeitung von Dritten, etwa zu treuen Händen, überlassen worden sind, bleiben selbstredend Eigentum des verfügungsberechtigten Dritten. Dabei ist es dem Berufsträger wohl nicht zuzumuten, dass er diese Schriftstücke nach Beendigung der Bearbeitung unaufgefordert herausgibt. Der Eigentümer hat den Wunsch nach Rückgabe dem Berufsträger gegenüber explizit zu äußern.

Die Schriftstücke (Titel, Briefe des Gegners etc.), die der Berufsträger im Sinne des § 667 BGB für den Auftraggeber erhält, gehen wohl im Moment des Erhalts durch den Berufsträger in das Eigentum des Mandanten über. Da der Anwalt nach außen als Bevollmächtigter des Auftraggebers auftritt, ist dieser von vornherein als Eigentümer anzusehen. Dies kann von Bedeutung sein, wenn der Auftragnehmer in Konkurs geht, da so ein Aussonderungsrecht des Auftraggebers bestünde. Hier sollte man eine Kopie zu den Akten nehmen und das Original an den Mandanten weiterreichen, natürlich nicht ohne explizit im Postausgangsbuch zu vermerken, dass das Original verschickt wurde. Briefe der Gegenpartei an den beauftragten Berufsträger sind zunächst Eigentum des Berufsträgers. Dieses Eigentum wird aber im Rahmen der Herausgabe nach § 667 BGB auf den Auftraggeber übertragen.

 

3.2 Eigentum im Innenverhältnis der Sozietät

Da Steuerberater und Anwaltssozietäten in der Regel Gesellschaften bürgerlichen Rechts sind, müssen die Eigentumsverhältnisse an Handakten an diesen Vorschriften gemessen werden. Regelmäßig kommen Mandatsverträge mit allen Gesellschaftern zustande, auch wenn nur einer der Berufsträger beauftragt wird. Dies gilt auch für gemischte Steuer- und Anwaltssozietäten.

Daher muss die Gesellschaft als Mandatsnehmer auch das Eigentum an den Handaktenteilen haben, die der Auftragnehmerseite zustehen. Hilfsweise kann noch ausgeführt werden, dass Beiträge der Gesellschafter und die durch die Geschäftsführung für die Gesellschaft erworbenen Gegenstände gemeinschaftliches Vermögen der Gesellschafter werden, § 718 BGB. Dabei kann gem. § 719 BGB ein Gesellschafter weder über seinen Anteil an dem Gesellschaftsvermögen und an den einzelnen dazu gehörenden Gegenständen verfügen, noch Teilung verlangen. Das bedeutet, daß ein Berufsträger, der aus einer Sozietät ausscheidet, nicht berechtigt ist, die Handakten seiner bis dahin für die Gesellschaft bearbeiteten Mandate, mitzunehmen.

 

4. Anspruch auf Herausgabe der Handakte

4.1 Treuepflicht oder Schuldnerpflicht?

Eine vertragliche Beziehung, die sich insgesamt als Gewahrsamsverhältnis im Sinne des § 246 StGB darstellt, kann Verpflichtungen enthalten, deren Verletzung nicht vom Unterschlagungstatbestand geschützt ist. Unterlässt es ein Rechtsanwalt pflichtwidrig die Handakte eher auszugeben, so ist hierin noch keine Unterschlagung im Sinne des § 246 StGB zu sehen, sondern lediglich eine zivilrechtliche Nebenpflichtverletzung. Durch das Ausüben eines Zurückbehaltungsrechts ist nicht der Tatbestand der Zueignung durch den Berufsträger erfüllt. Die Herausgabe der Handakte ist demnach keine Treuepflicht, sondern lediglich bloße Schuldnerpflicht.

 

4.2 Umfang des Herausgabeanspruchs

Unproblematisch ist der Herausgabeanspruch des Vorstandes der Rechtsanwaltskammer nach § 56 BRAO. Diesem kann gemäß § 56 Abs. 1 Satz 2 BRAO mit dem einfachen Hinweis auf eine drohende Schweigepflichtverletzung oder sich durch die Vorlage der Akte die Gefahr zuzuziehen, wegen einer Straftat, einer Ordnungswidrigkeit oder einer Berufspflichtverletzung verfolgt zu werden, begegnet werden. Damit ist die Kontrollmöglichkeit durch die Kammer faktisch unterlaufen. Enger sind dagegen die Vorschriften der steuerberatenden Berufe.

Hier kann sich der Berufsträger lediglich dann auf ein Vorlageverweigerungsrecht berufen, wenn er dadurch seine Pflicht zur Verschwiegenheit verletzen würde (vgl. § 80 StBerG, § 63 f. WPO). Der Berufsträger ist aus dem Auftragsverhältnis dazu verpflichtet, auf Verlangen des Auftraggebers alles herauszugeben, was er zur Ausführung des Auftrags erhält und was er aus der Geschäftsbesorgung erlangt, § 667 BGB. Die Herausgabepflicht wird in § 50 Abs. 3 Satz 1 BRAO für den Anwalt, für den Wirtschaftsprüfer in § 51b Abs. 4 WPO und in § 66 StBerG für den Steuerberater konkretisiert.

Auch und meist gerade nach der Beendigung des Mandats besteht diese Herausgabepflicht gegenüber dem Auftraggeber weiterhin fort20. Dies schützt insbesondere den Mandanten, der sich selbst keine Kopien der Unterlagen gefertigt hat, bei einem etwaigen Beraterwechsel. Der Berufsträger sollte auch aus diesem Grunde und soweit praktisch durchführbar lediglich Kopien zur Bearbeitung annehmen und die Originalunterlagen beim Auftraggeber belassen. Diesen Herausgabeanspruch gilt es noch näher zu differenzieren. Es besteht kein Pauschalanspruch, vielmehr muss der Verschiedenheit der Aktieninhalte beim Herausgabeanspruch Rechnung getragen werden.

 

4.2.1 Unterlagen vom Mandanten

Urkunden und andere Originalschriftstücke, die der Mandant dem Berufsträger für die Bearbeitung zur Verfügung gestellt hat, bleiben in der Regel im Eigentum des Mandanten und müssen selbstredend herausgegeben werden.

 

4.2.2 Unterlagen für Mandanten erhalten

“Aus der Geschäftsbesorgung erlangt” ist bei Berufsträgern in der Regel der drittgerichtete Schriftverkehr, den der Berufsträger für den Mandanten erhalten und geführt hat21. Dazu gehört auch die Gerichtspost. Der Anspruch auf Herausgabe erlischt hier durch regelmäßig laufende Übersendung von Durchschlägen bzw. Abschriften an die Mandantschaft.

 

4.2.3 Besprechungsnotizen mit Dritten

Gesprächsprotokolle oder -notizen über den Inhalt von Verhandlungen oder Gesprächen mit Dritten werden dabei wie der drittgerichtete Schriftverkehr zu dem aus der Geschäftsbesorgung erlangten gerechnet, da anzunehmen ist, dass sie nicht lediglich dem internen Gebrauch des Berufsträgers (z. B. Gedächtnisstütze) dienen, sondern es auch im Interesse des Auftraggebers liegt, den Inhalt solcher Gespräche zu dokumentieren. Es sollte schon aus Marketinggründen auf das äußere Erscheinungsbild solcher Notizen geachtet werden, da der Mandant im Zweifel Einblick haben kann. Der Berufsträger genügt seiner Informationspflicht nur dann, wenn er seinen Auftraggeber über den Inhalt solcher Besprechungen alsbald unterrichtet. Ein Mandantenanschreiben als Bericht führt regelmäßig zur Erfüllung – die inhaltlich abgebildete Gesprächsnotiz selbst, also die Gedächtnisstütze über die Besprechung, ist dann nicht mehr herauszugeben.

 

4.2.4 Aufzeichnungen über persönliche Eindrücke der Berufsträger

Notizen, die sich der Berufsträger anfertigt über persönliche Eindrücke, auch wenn diese konkret aus Gesprächen mit dem Mandanten oder Dritten herrühren, sind in der Regel nicht zur Einsicht durch den Mandanten bestimmt und brauchen nach der Rechtsprechung des BGH nicht herausgegeben zu werden. Gleiches gilt für “vertrauliche Hintergrundinformationen” die der Berufsträger im Laufe der Mandatsbearbeitung gesammelt hat.

 

4.2.5 Schriftverkehr zwischen Mandant und Berufsträger

Der Anspruch des Mandanten wird durch § 50 Abs. 3 Satz 2 BRAO, § 66 Abs. 2 StGB und § 51b Abs. 4 WPO dahingehend eingeschränkt, als daß der Briefwechsel zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer nicht der Herausgabepflicht unterliegt. Analog gilt dies dann auch für Telefonnotizen oder Besprechungsprotokolle über Gespräche mit dem Mandanten. Nach Ansicht des AnwG München24 ist der Berufsträger aus §§ 675 , 667 BGB, § 43 BRAO verpflichtet, die ihm übergebenen Unterlagen unverzüglich herauszugeben. Für den Steuerberater ergibt sich diese Verpflichtung direkt aus § 30 Abs. 2 BOStB.

Es empfiehlt sich, die herauszugebenden Unterlagen nach Niederlegung des Mandats in einer gesonderten Rubrik abzulegen oder zu kennzeichnen (s. a. Beschlagnahme der Akte). Im Falle eines bestehenden Herausgabeanspruchs des Auftraggebers ist der Berufsträger jedoch nicht verpflichtet, die Akte zuzuschicken. Der Mandant hat sie im Zweifel beim Anwalt abzuholen (§ 269 BGB), fraglich ist nur ob sich der Berufsträger im Hinblick auf weitere Aufträge auf die Holschuld berufen sollte. Die Beweislast über die Herausgabe der Unterlagen nach § 667 BGB trägt allein der Beauftragte. Daher empfiehlt es sich, Unterlagen nur gegen Quittung an den Mandanten herauszugeben.

Um späteren Mißverständnissen vorzubeugen, sollten Art und Umfang der zurückgegebenen Unterlagen in der Quittung aufgeführt sein.

 

4.2.6 EDV-Daten im Hause und außer Haus

Bei der DATEV gespeicherte Daten des Mandanten sind Arbeitsergebnisse aus dem Mandat, die gem. §§ 667 , 675 BGB herauszugeben sind25. Der Berufsträger hat die Daten dem Mandanten, dem Mandatsnachfolger bzw. dem Nachfolgeberater zu überspielen bzw. die Daten bei der DATEV durch das übliche Formblatt zur Datenübertragung freizugeben26. Ausreichend ist die übergabe der Zustimmungserklärung an den Mandanten bzw. den neuen Berater27. Auch hinsichtlich anderer selbst erstellter Daten und Computerprodukte, etwa Mandantenstammdaten oder Umbuchungslisten, besteht zunächst ein Zurückbehaltungsrecht des Berufsträgers28. Die DATEV gilt dabei als Hilfsperson des Berufsträgers, so dass allein er zu entscheiden hat, ob die Auskunft nach §§ 93 , 102 Abs. 1 AO verweigert wird.

Überdies besteht generell nur für den eigenen Mandanten ein Anspruch insbesondere auf Benachrichtigung und Auskunft nach §§ 33 ff. BDSG30. Bisher noch nicht entschieden ist, ob der Auftraggeber bei Herausgabe der Handakten ein Wahlrecht zwischen Übergabe eines Datenträgers mit den Daten oder einem Ausdruck der Daten hat. Bei zivilrechtlich zulässiger Zurückbehaltung kann dem Berater auch hier nicht der Vorwurf einer strafbaren Erpressung zur Last gelegt werden.

 

4.2.7 Organisationsmittel der Handakte

Nach der Rechtsprechung genügt der Berufsträger den typischen Sorgfaltspflichten nur dann, wenn er seine Handakte um weitere, nicht gesetzlich normierte Bestandteile ergänzt.

(1) Der Beginn und Ablauf von Fristen muss – neben dem Vermerk im Fristenkalender – auch in der Handakte notiert werden32. Dies gilt insbesondere bei Zustellung gegen Empfangsbekenntnis oder gegen PZU. Der Berufsträger tut gut daran, eine Kopie des Empfangsbekenntnisses nicht nur als Nachweis des Fristbeginns zur Akte zu nehmen, denn die Mitwirkung an der Zustellung ist eine berufsrechtliche Verpflichtung. Außerdem muss auch bei Herausgabe eines erstinstanzlichen Urteils oder Bescheides an den Mandanten der Zustellungszeitpunkt in den Handakten nachprüfbar vermerkt bleiben.

(2) Bei Zustellung von Urteilen und Bescheiden muss sich der Berufsträger vor Unterzeichnung eines Empfangsbekenntnisses darüber vergewissern, dass der Fristablauf sowohl im Kalender als auch in der Akte notiert ist34. Ohne diese Vermerke gelingt auch nicht der Nachweis im Falle irrtümlich unrichtigen Datums auf dem Empfangsbekenntnis.

(3) Gerade im Fristenwesen genügt der Berufsträger nur dann seinen Pflichten, wenn die Akte mit einem tunlichst oben aufliegenden Fristenblatt ausgestattet sicherstellt, dass Fristabläufe deutlich und unübersehbar (z. B. farbig) kenntlich gemacht sind.

(4) Telefonzettel und Verfügungen des Sachbearbeiters müssen Bestandteil der Akte werden37. Erst recht gilt, daß Verfügungen zur Vorlage von Akten mit Fristsachen (beispielsweise beim Vertreter des Berufsträgers) nicht durch Büroklammer auf der Akte angebracht oder etwa auf Post-it-Zetteln handschriftlich verfügt werden38. Auch hier hilft ein Fristenberechnungsblatt bzw. eine Kopiervorlage “Genaue Fristenkontrolle” bzw. “Fristerinnerung” als Verfügung zur Akte.

(5) Fernmündliche Aufträge von Mandanten sind durch einen Vermerk in der Akte als Gedächtnisstütze festzuhalten. Es empfiehlt sich ein Auftrags-Bestätigungsschreiben.

(6) Empfehlenswert ist die Anfertigung einer Chronologie für die Akte: Damit kann der Überblick erleichtert werden. Außerdem vereinfacht dies die Rechenschaftsablegung bei Mandatsende gegenüber dem Auftraggeber, denn diese muss richtig, verständlich und vollständig sein.

(7) Auch die Durchführung der Prüfung von Rechtsbehelfsbegründungsfristen muss insbesondere durch ein Fristenberechnungsblatt bei der Akte dokumentiert sein.

(8) Unverzichtbar ist das Festhalten von Datum und Uhrzeit der Besprechungen mit Mandanten. Der Berater ist im Haftungsprozess gehalten, die Vollständigkeit seines Rates und der von ihm erteilten Auskünfte zur Sache konkret darzulegen. Daher sollte der Berater im wohlverstandenen eigenen Interesse auch dies zumindest zur Akte dokumentieren – eingeschlossen die oft wichtige Frage nach der jeweiligen Reaktion des Mandanten darauf.

Auch zum Nachweis des Anfalls von Gebühren empfiehlt sich die Dokumentation:

Beispielsweise ist eine Angabe, worin eine Hilfeleistung nach § 33 Abs. 7 StbGebV bestand, ebenso erforderlich, wie etwa der Nachweis des Inhalts von Besprechungen für die Beurteilung, ob eine Besprechungsgebühr angefallen ist, § 118 Abs. 1 Satz 2 BRAGO, §§ 23 , 31 , 40 f. StBGebV. Schließlich müssen auch alle Argumente für den Anfall von mehr als nur einem durchschnittlichen Gebührenrahmen spätestens bei der Rechnungsstellung festgehalten werden, damit das “permanente Ausschöpfen des Gebührenrahmens” nicht zum Widerruf der Zulassung führen kann.

Dies gilt gerade auch bei Stundenhonorarvereinbarungen, damit der Nachweis des Nichtvorliegens strafbarer Gebührenüberhebung gemäß einem Vergleich mit dem gesetzlichen Honorar erbracht werden kann: Denn das sechsfache des gesetzlichen Honorars ist nicht mehr zulässig mit dem Auftraggeber vereinbar, so dass der Honoraranspruch dann in der Regel komplett entfällt45. Generell gilt, dass die Verantwortlichkeit des Berufsträgers mit Vorlage der Akte beginnt – nicht erst dann wenn die Sache (nach Tagen?) wieder vom Schreibtisch nach Bearbeitung verschwindet46. Ein eigenes Versäumnis des Berufsträgers wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß das eigene Personal ihn nicht nochmals an die Sache erinnert hat.

 

4.3 Herausgabenspruch erloschen?

4.3.1 Erfüllung

Nur konsequent folgen die berufsrechtlichen Regelungen dem Grundsatz, dass dem Herausgabeanspruch des Auftragsrechts mit der Einwendung der Erfüllung gem. § 362 BGB begegnet werden kann. Die Pflicht zur Herausgabe erlischt demnach, wenn die Herausgabe an den Auftraggeber bewirkt wird – die rechtzeitige Leistungshandlung genügt. Das gilt insbesondere auch für andere Schriftstücke, die der Mandant in Urschrift oder Abschrift erhalten hat, § 50 Abs. 3 Satz 2 2. Alt. BRAO, § 66 Abs. 2 StBerG.

Erfüllung in der Praxis:

– Unterlagen vom Mandanten: Wenn möglich, Arbeitskopien anfertigen und Original an Mandant zurücksenden

– Unterlagen für Mandant: Abschrift an den Mandanten ist bereits ausreichend (Ausnahme, Urkunden, Titel etc.)

– Besprechungen: Gespräche, auch mit dem Mandanten, schriftlich in einem Brief an Auftraggeber zusammenfassen. Hier sollte der Berufsträger jeden Schriftsatz und Briefverkehr, den er in einer Sache verfasst, in Abschrift seinem Auftraggeber übersenden, um somit durch Erfüllung dem Herausgabeanspruch des Mandanten zu begegnen. Bei Schriftstücken, die er für den Mandanten erhält, sollte wiederum nur die Kopie zu den Akten genommen werden und das Original an den Mandanten weitergereicht werden. Dies empfiehlt sich auch im Hinblick auf das Tätigkeitsgebot des Berufsträgers (siehe weiter unten).

Die Beweislast für die Erfüllung liegt jedoch immer beim Schuldner, also dem Auftragnehmer. Hier gilt es, in der Praxis für den Eventualfall Sorge zu tragen. Hilfreich ist hierbei das Führen eines Postausgangsbuches. Durch einen Zusatz, wie z. B. “In dieser Reihenfolge vorstehende Poststücke frankiert, Inhalt geprüft, verschlossen sowie persönlich aufgegeben zu haben bestätigt folgender Mitarbeiter durch Handzeichen/Unterschrift” auf den einzelnen Postausgangsbuchblättern, erhält man auf einfachem Wege die Bezeugung des Mitarbeiters, dass das fragliche Schriftstück das Haus verlassen hat. Beweiskraft hat ein solches Postausgangsbuch allerdings nur zum Beleg des Ausgangs. Sämtliche Formen des Einschreibens können – für sich allein, ohne Postausgangsbuch – nicht den Zugang eines Schriftstückes belegen (der Umschlag könnte auch leer gewesen sein, o. ä.).

Sofern der Berater kein durch EDV gestütztes Postausgangsbuch mit einer Sortiermöglichkeit sowohl nach Datum als auch nach Mandaten besitzt, sollte er sein Sekretariat anweisen, das Datum des Postausgangs auf dem Exemplar für die eigene Akte mit Datum und Handzeichen vermerken zu lassen: Anderenfalls würde in einer lebhafteren Kanzlei die spätere Nachforschung im Postausgangsbuch zur sprichwörtlichen Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen werden. (Gelegentlich führen besonders umsichtige Berufsträger bei größerem Kanzleiapparat zusätzlich Posteingangsbücher, um eine permanente Verprobung bzw. Revision der Akten sicherzustellen.)

Die praktikabelste Möglichkeit, den Zugang des Schriftstücks zu belegen, ist, den Mandanten zu einer Reaktion herauszufordern. Denkbar wären hier Fangfragen, die der Mandant beantworten solle oder andere Aufforderungen, die geeignet sind, den Mandanten zu einer prompten Antwort zu provozieren. Erst wenn er, auch nur indirekt, den Erhalt des Schriftstücks selbst bestätigt (z. B. durch Rückgabe eines Vollmachtsformulars), kann die Erfüllung ohne weiteres belegt werden.

 

4.3.2 Unmöglichkeit

Auch im Falle der unverschuldeten Unmöglichkeit erlischt der Herausgabeanspruch des Mandanten. Der Berater trägt dabei nicht die Gefahr des zufälligen Untergangs48. Allerdings muß er für sein Nichtverschulden und die Unmöglichkeit der Herausgabe den Beweis führen.

 

4.3.3 Beweislast

Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass natürlich auch der Auftraggeber im Zweifel belegen muss, was er dem Beauftragten überlassen hat. Ferner muss der Auftraggeber beweisen, dass der Beauftragte aus der Geschäftsbesorgung etwas erlangt hat, wobei ihm der Auskunftsanspruch nach § 666 BGB dienlich ist49. Sollten begründete Zweifel bestehen, kann der Mandant das Verfahren nach §§ 259 f. BGB wählen um sich durch eine eidesstattliche Versicherung abzusichern.

 

4.4 Zurückbehaltungsrecht des Berufsträgers

Dem Berufsträger steht in Ausgestaltung des § 273 BGB durch § 50 Abs. 3 BRAO bzw. § 66 Abs. 4 StBerG ein Zurückbehaltungsrecht an der Handakte zu, soweit er wegen seiner Auslagen  und Gebühren noch nicht befriedigt ist. Auch bei verjährten Forderungen besteht ein Zurückbehaltungsrecht, wenn der Anspruch wegen Auslagen und Vergütung noch nicht verjährt war, als der Herausgabeanspruch entstanden ist50. Der § 50 Abs. 3 BRAO, § 66 Abs. 4 StBerG bezieht sich nicht nur auf fällige Ansprüche.

Die Regelung des § 273 BGB ist hier insofern enger, als dass nur fällige Forderungen Grundlage für ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB sein können. Gebührenansprüche entstehen dem Grunde nach aber schon mit der Aufnahme der Tätigkeit und sind erst bei Rechnungsstellung fällig. Andererseits beschränkt sich das Zurückbehaltungsrecht nach bürgerlichem Recht nicht nur auf die Handakte. Gemeinsam ist allen genannten Vorschriften, dass sich der Berufsträger auf das Zurückbehaltungsrecht ausdrücklich berufen muss, es also geltend zu machen hat:

Anders ist das nur im Rahmen des Austauschverhältnisses nach § 675 BGB, also soweit es um die Hauptleistung im Synallagma, also die Arbeitsergebnisse des Berufsträgers geht: Diese muss der Berater nur Zug um Zug gegen Zahlung des geschuldeten Honorars herausgeben, §§ 320 , 322 , 641 BGB53. Unbedingte Voraussetzung für die Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts durch den Berufsträger ist die Konnexität mit der Sache. Anders geartete Forderungen – wie z. B. Privatdarlehen – sind für die Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts nach § 273 BGB, § 50 Abs. 3 BRAO, § 66 Abs. 2 StBerG demgegenüber nicht heranziehbar. Daher besteht das Zurückbehaltungsrecht nach § 50 Abs. 3 Satz 1 BRAO, § 66 Abs. 4 StBerG in aller Regel nur wegen der Honorarforderung aus der konkreten Angelegenheit, auf die sich die zurückbehaltene Handakte bezieht.

Voraussetzung für ein Berufen auf § 273 BGB ist stets, dass eine fällige und einforderbare Honorarforderung besteht – somit müssen die nach der Gebührenordnung bestehenden Formvorschriften für die Honorarabrechnung beachtet werden. Soweit es um Geschäftspapiere des Mandanten geht, dürfen Handakten, die eine andere Angelegenheit betreffen, auch dann nicht zurückgehalten werden, wenn es sich insgesamt um ein einheitliches Lebensverhältnis handelt.

Bereits unter dem Gesichtspunkt einer (Mit-)Verantwortlichkeit für verspätete Abgabe von Steuererklärungen sollten Originalunterlagen tunlichst herausgegeben werden, damit eine eigene Verantwortlichkeit des Berufsträgers bereits mangels Kausalität sicher entfällt. Nur bei den Arbeitsergebnissen hat der BGH dem Berufsträger ein (zusätzliches) Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB zugebilligt, so dass nur hier auch eine Verweigerung der Herausgabe wegen offenem Honorars aus anderer Angelegenheit zulässig ist56. Prinzipiell kann nur der Besitzer der Handakten ein Zurückbehaltungsrecht ausüben.

Dabei kommt es nicht darauf an, wie der Besitz geartet ist. So besteht die Möglichkeit für den Korrespondenzanwalt als mittelbarer Besitzer ein Zurückbehaltungsrecht geltend zu machen. Um diese Möglichkeit zu eröffnen, empfiehlt es sich im Begleitschreiben bei Aktenübersendungen einen Passus zu übernehmen, der zum Ausdruck bringt, dass der Prozessbevollmächtigte die Akten für den Korrespondenten verwahren (vgl. § 688 BGB) soll. Kein Zurückbehaltungsrecht besteht an der Vollmacht (vgl. § 175 BGB), an Arbeitspapieren (oft – wie bei der LSt-Karte – im Eigentum Dritter, z. B. der Mitarbeiter des Mandanten), Versicherungsbeitragskarte u. ä.. Außerdem ist das Zurückbehaltungsrecht im Konkurs ausgeschlossen: Dies gilt nicht hinsichtlich der Arbeitsergebnisse, wenn der Konkursverwalter im Rahmen seines Wahlrechtes nach § 17 KO das Mandat beendet, die Zahlung verweigert und die Herausgabe der Handakte einfordert.

Es besteht allerdings hinsichtlich eines Herausgabeanspruchs an Mandantenunterlagen und eines Auskunftsanspruchs des Konkursverwalters, etwa bezüglich der Buchhaltung des Gemeinschuldners, generell kein Zurückbehaltungsrecht 60EXP. Durch die Billigkeitsklausel des § 50 Abs. 3 Satz 2 BRAO, § 66 Abs. 4 StBerG bzw. § 30 Abs. 2 Satz 3 BOStB erfährt das Zurückbehaltungsrecht eine empfindliche Einschränkung.

Dabei ist die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts unzulässig, soweit die Vorenthaltung der Handakten oder einzelner Schriftstücke nach den Umständen unangemessen wäre. Auch § 273 BGB berücksichtigt die Unangemessenheit durch die Formulierung “sofern nicht aus dem Schuldverhältnis sich ein anderes ergibt . . .” nach den Grundsätzen des § 242 BGB. Der Berufsträger, der ein Zurückbehaltungsrecht unzulässiger weise ausübt, gerät in Gefahr, sich wegen unzulässiger Rechtsausübung etwaigen Haftungsansprüchen auszusetzen. Durch das Geltendmachen des Zurückbehaltungsrechts dürfen für den Mandanten durchaus unangenehme Folgen entstehen, da das Nichtbegleichen von offenen Gebühren und Auslagen eine schwere Verletzung des Vertragsverhältnisses darstellt, die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts ist jedoch dann unangemessen, wenn der entstehende Schaden des Mandanten und das Interesse des Berufsträgers nicht mehr verhältnismäßig sind.

Vorsicht ist insbesondere geboten bei – drohender Verjährung von Forderungen des Auftraggebers, die nur anhand sich in der Handakte befindlicher Schriftstücke beigetrieben werden können (hier genügt die gezielte Aushändigung einzelner Aktenbestandteile

– tunlichst verbunden mit einer Belehrung),

– verhältnismäßiger Geringfügigkeit der geschuldeten Beträge,

– Zurückbehaltung von Titeln, die eine akute Not des Mandanten herbeiführt oder

– wenn die Schuld nur aus einem sich in den Akten befindlichen Sparbuch beglichen werden kann.

Hier sollte der Berufsträger mit dem Mandanten gemeinsam einen Treuhänderauftrag an die Bank dahingehend erteilen, dass die geschuldete Summe dem Sparguthaben entnommen und dem Berufsträger ohne Vorbehalt und Vorbedingungen gutgeschrieben wird. Der Berufsträger verletzt eine nachvertragliche Pflicht, wenn der den (ehemaligen) Mandanten nicht auf eine drohende Verjährung dessen Ansprüche hinweist und/oder wenn er alle Unterlagen wegen Nichtzahlens zurückbehält.

Ein Zurückbehaltungsrecht besteht in keinem Fall als Druckmittel, um eine Honorarerhöhung durchzusetzen!64 Gem. § 17 Berufsordnung kann der Anwalt, der die Herausgabe der Handakte verweigert, einem berechtigten Interesse des Mandanten auf Herausgabe dadurch Rechnung tragen, dass er ihm Kopien überlässt, es sei denn, das berechtigte Interesse richtet sich gerade auf die Herausgabe der Originale. Selbstverständlich kann die Anfertigung von Kopien auch hier von einem Vorschuss abhängig gemacht werden. In einem solchen Fall darf der Berufsträger auch anbieten, die Originale an einen von dem Mandanten zu beauftragenden Berufsträger zu treuen Händen herauszugeben, wenn damit dem berechtigten Interesse des Mandanten Rechnung getragen wird. Nach Ansicht des OLG Koblenz darf der Berufsträger nicht im einstweiligen Verfügungsverfahren zur Erfüllung des Herausgabeanspruchs verurteilt werden, da somit eine endgültige Regelung getroffen würde.

Der Sinn und Zweck eines einstweiligen Verfügungsverfahrens ist aber nur auf die vorläufige Sicherung des Anspruchs gerichtet. Eine Abwendung des Zurückbehaltungsrechts nach § 50 Abs. 3 BRAO, § 66 Abs. 4 StBerG durch Sicherheitsleistung ist nicht vorgesehen, da der Anwalt den Empfang der Gebühren und Auslagen verlangen kann, was sich aus dem Wortlaut des § 50 Abs. 3 BRAO, § 66 Abs. 2 StBerG ergibt. Bei der Ausübung des Zurückbehaltungsrechts nach den Regelungen des § 273 BGB ist die Sicherheitsleistung dagegen möglich. Hier richtet sich die Höhe der Sicherheitsleistung nach dem Honoraranspruch. Auch das Zurückbehaltungsrecht kann durch Vereinbarung abbedungen werden. Ein Passus im Vertrag, wie z. B. “Der Beauftragte hat nach Beendigung des Mandats die Unterlagen an den Auftraggeber auszuhändigen”, kann gem. § 133 , 157 BGB bereits für das Zurückbehaltungsrecht ausschließende Wirkung haben.

Der Mandant hat in jedem Falle, auch bei bestehendem Zurückbehaltungsrecht, den Anspruch auf Einsichtnahme in die Handakte gem. § 666 BGB. Bei diesem Anspruch handelt es sich um eine Vorleistungspflicht des Beauftragten, weshalb kein Zurückbehaltungsrecht am Einsichtnahmeanspruch bestehen kann. Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass der Mandant im Rahmen seines Einsichtnahmeanspruchs ein Recht darauf hat, auf seine Kosten Kopien aus der Handakte anzufertigen oder von einem bevollmächtigten Boten anfertigen zu lassen. Das sollte auch im wohlverstandenen Eigeninteresse Einfluss auf die Sorgfalt bei der Führung der Handakten haben.

Ferner kann ein Anspruch auf Einsichtnahme über § 810 , 811 BGB bestehen. Hier muss der Mandant allerdings ein rechtliches Bedürfnis an der Einsichtnahme darlegen. Ein solches rechtliches Interesse gilt nicht, wenn die “Ausforschungen” dazu dienen, Regressansprüche gegen den beauftragten Berufsträger durchzusetzen. Die Kosten einer Vorlegung nach § 810 BGB hat der Mandant vorzuschießen. Generell gilt, dass der (ehemalige) Mandant das Zurückbehaltungsrecht an der Handakte bzw. die Einschränkung auf Zug-um-Zug-Herausgabe der Arbeitsergebnisse dadurch gegenstandslos machen kann, dass er eine Sicherheit leistet, also das Honorar hinterlegt, § 273 Abs. 3 BGB.

 

4.5 Pflicht zur genauen Benennung der Schriftstücke?

Unterlagen, die nach § 667 BGB herauszugeben sind, müssen vom herausgabebegehrenden Mandanten nicht einzeln nach Verfasser, Datum und Inhalt bezeichnet werden69. Es genügt völlig, wenn der Auftraggeber die Herausgabe aller die Sache betreffenden Unterlagen verlangt, da so auch von einem Dritten zweifelsfrei erkennbar ist, um welche Schriftstücke es sich handelt.

 

von Dr. Johannes Fiala

 

1Nachfolgend wird stellvertretend vom Berufsträger gesprochen. 2Vgl. NJW 1990, 510. 3Vgl. Handbuch das RA, E II, Rn. 45. 4Borgmann/Haug, in: Anwaltshaftung, 1996, § 23 Rn. 139. 5BAG, MDR 1995, 965. 6Henssler, in: BRAO, 2. Aufl., § 50 Rz. 10. 7BFH, BFHE 175, 309 und BFH v. 23. 8. 1994, VII R 143/92. 8Madert, in: Anwaltsgebühren in Zivilsachen, 1992, S. 78. 9FN 8. 10FN 8. 11OLG Frankfurt, Rpfleger 1980, 399 f. 12LG Essen, AnwBl. 1979, 117 ff. 13Borgmann/Haug, (FN 4), Rn. 149. 14NJW 1953, 514. 15Borgmann/Haug, (FN 4). 16KGJW 1926, 222. 17Borgmann/Haug, (FN 4), Rn. 150. 18Isele, in: Bundesrechtsanwaltsordnung, 1976, § 50 IV B 3. 19Palandt/Thomas, § 705 Rn. 37. 20Vgl. BGH v. 30.11. 1989, III ZR 112/88, NJW 1990, 510. 21Palandt/Thomas, § 667 Rn. 3. 22Vgl. BGH, NJW 1990, 510. 23BGHZ 85, 327. 24Vgl. AnwG München v. 11. 10. 1996, 3 AG 11/96. 25Vgl. LG Münster v. 10. 7. 1981, 10 S 29/81. 26LG München, DStR 1989, 1989; LG Bielefeld, Stbg 1994, 46. 27LG München, DStR 1989, 1989. 28BGH, BB 1988, 656 und 1988, 2824. 29Vgl. Streck, Stbg 1988, 92. 30Zuck, Anwaltblatt 1996, 549 ff. 31LG Lahr v. 27. 5. 1997, 3 Ds 10 Js 925/95, n. v. 32BGH, VersR 1983, 5590 sowie 1981, 39 f. 33BGH, VersR 1981, 39 f. 34BGH, FamRZ 1992, 1058 ff.; BGH, AP Nr. 21 zu § 233 ZPO 1977. 35BGH, NJW 1987, 325. 36BGH, VersR 1980, 746. 37BGH, VersR 1978, 841 f. und BGH, VersR 1980, 746. 38BGH, NJW-RR 1989, 125. 39BGH, VersR 1978, 1116 f. 40MüKo zu § 666 BGB. 41BGH, VersR 1981, 551 f. und 1983, 988 f. 42BGH, NJW 1987, 1322. 43OLG Düsseldorf, Gl 1997, 250. 44FG Brandenburg v. 11. 6. 1997, 2 K 1423/96 StB, n. v. 45Gerold/Schmidt, BRAGO, Rz. 20 zu § 3 BRAGO. 46BGH, NJW 1992, 841 ff. 47BGH, NJW-RR 1991, 191. 48BGH, WM 69, 26. 49Palandt/Thomas, § 667 Rn. 10. 50EG Düsseldorf, AnwBl. 1979, 123. 51Borgmann/Haug, (FN 4) S. 152. 52Vgl. OLG Düsseldorf v. 25. 11. 1993 13, U 19/93. 53Vgl. OLG Düsseldorf v. 12. 9. 1996 13, U 128/95. 54BGH, NJW 1997, 2944. 55BGH, IX ZR 244/96, NJW 1997, 2944 (Leitsatz). 56BB 1988, 656. 57Vgl. Borgmann/Haug, (FN 4), S. 152 Fn. 501. 58Vgl. Borgmann/Haug, (FN 4) S. 152. 59BGH, BB 1988, 2428 und BGH, ZIP 1988, 1474. 60LG Düsseldorf, ZIP 1997, 1657 f. 61Gehre, in: StBerG, 3. Aufl., Rz. 12 zu § 66. 62Vgl. Handbuch des RA, S. 1252. 63BGH, v. 11. 10. 1983, VI ZR 95/82. 64AG Düsseldorf, StB 1985, 274, 275. 65OLG Koblenz, v. 20. 10. 1982 1 U 1091/82. 66Vgl. LG Köln, v. 27. 10. 1987 11 S 196/87. 67Palandt/Thomas § 666 BGB, Rn. 1. 68WP-Handbuch, 11. Aufl., Teil A, Rz. 336 ff. 69A. A. Nassall, in: KTS 1988, 633 ff. mit Hinweis auf das Bestandsverzeichnis nach § 260 BGB. 70Vgl. AG Bad Neuenahr-Ahrweiler, v. 25. 11. 1987, 3 C 127/87.     Fundstelle ? DStR 1998, 694

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Über den Autor

Dr. Johannes Fiala Dr. Johannes Fiala
PhD, MBA, MM

Dr. Johannes Fiala ist seit mehr als 25 Jahren als Jurist und Rechts­anwalt mit eigener Kanzlei in München tätig. Er beschäftigt sich unter anderem intensiv mit den Themen Immobilien­wirtschaft, Finanz­recht sowie Steuer- und Versicherungs­recht. Die zahl­reichen Stationen seines beruf­lichen Werde­gangs ermöglichen es ihm, für seine Mandanten ganz­heitlich beratend und im Streit­fall juristisch tätig zu werden.
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