Ende der Goldgräberstimmung?

31.05.2007 Ein Urteil des Landesarbeitsgerichts München schreckt die Branche auf. Muss man sich von der Zillmerung in der bAV endgültig verabschieden? Auf dem Friedhof I der Jerusalems- und Neuen Kirchengemeinde in Berlin Kreuzberg steht ein Gedenkstein in Form eines Grabsteins, auf ihm steht: „Zum Gedenken an den Mathematiker und Direktor Dr. philos. August Zillmer, gestiftet von 36 Lebensversicherungsanstalten.“ In diesen Tagen dürften wohl nicht nur die 36 Gedenksteinspender, sondern auch alle anderen Versicherer des 1893 verstorbenen Mathematikers gedenken, denn die Veröffentlichung eines kürzlich ergangenen Urteils des Landesarbeitsgerichts (LAG) München hat in der Branche für helle Aufregung gesorgt. Das zeigen nicht nur die Rückmeldungen aufgeschreckter Makler auf die Nachricht, die FONDS professionell als erstes Medium in Deutschland auf seiner Internetseite veröffentlichte. Ein noch sehr viel eindeutigeres Zeichen für die Brisanz, die in der Entscheidung steckt, ist die prompte Reaktion des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), der nur zwei Tage nach der Veröffentlichung der Nachricht bereits mit einer Stellungnahme an die Vorstände seiner Mitgliedsgesellschaften reagierte. Wenn ein Verband wie der GDV in einer für ihn sensationellen Geschwindigkeit zu einem gerade erst veröffentlichten Gerichtsurteil Stellung nimmt, dann muss die Angelegenheit Sprengstoff enthalten. Aber der Reihe nach: Das Landgericht München hatte am 15. März 2007 entschieden (Az. 4 Sa 1152/06), dass die Verrechnung der Abschlusskosten in den ersten Jahren – insbesondere durch Zillmerung – in der betrieblichen Altersversorgung mit Entgeltumwandlung unzulässig ist. Entsprechende Vereinbarungen seien nichtig, selbst wenn der Arbeitnehmer vorher über die Abschlusskostenverrechnung ausdrücklich aufgeklärt worden sei. In seiner Begründung stellte das Gericht sogar fest, dass auch andere Formen der Abschlusskostenverrechnung – zum Beispiel über die ersten fünf Jahre – aufgrund ihrer zillmerähnlichen Wirkung ebenso unzulässig sind. Zum Hintergrund: Die Angestellte eines Autohauses hatte 35 Monate auf einen Teil ihres Gehalts verzichtet, 178 Euro monatlich flossen über eine überbetriebliche Versorgungskasse in eine Lebensversicherung. Als die Mitarbeiterin beim Arbeitgeber ausschied, hatte sie zwar 6.230 Euro an Gehalt in eine betriebliche Altersversorgung (bAV) umgewandelt, davon waren aber lediglich noch 639 Euro als Rückkaufswert vorhanden. Die Mitarbeiterin stellte fest, dass ihr also rund 90 Prozent des umgewandelten Gehalts fehlten. „Letztlich ist das ein durchaus typischer Fall, der auf rund 90 Prozent der abgeschlossenen Verträge zur Entgeltumwandlung zutrifft und in der Versicherungsbranche als normal angesehen wird“, stellt dazu Peter Schramm, Versicherungsmathematiker und Mitglied der Deutschen Aktuarvereinigung, fest. Immenses Haftungspotenzial Rechtsanwalt Thomas Keppel von der Münchner Kanzlei Dr. Johannes Fiala, der das Urteil erstritten hat, sieht darin ein immenses Haftungspotenzial, das auf Arbeitgeber, aber auch Vermittler als deren Erfüllungsgehilfen zukommen könnte. „Das LAG München führt in seinen Urteilsgründen aus, dass neben der Zillmerung auch andere Arten der Abschlusskostenverrechnung – zum Beispiel über die ersten fünf Jahre – aus den gleichen Gründen unwirksam sind“, erklärt Keppel. „Die meisten Arbeitnehmer wissen aber infolge der Intransparenz vieler Entgeltumwandlungen nicht, auf welche Weise die Abschlusskosten und ob weitere Aufwendungen zum Beispiel für Risikoschutz verrechnet wurden.“ Wenn damit aber über 90 Prozent der Entgeltumwandlungen als nichtig anzusehen seien, bei denen die Arbeitnehmer von ihren Arbeitgebern – auch früheren – die Rückabwicklung verlangen könnten, dann seien die möglichen Rückforderungen zuzüglich Zinsen und nachzuzahlender Sozialversicherungsbeiträge auf heute insgesamt schon rund 65 Milliarden Euro zu schätzen. Ein Haftungspotenzial, das sich auch künftig rasch erhöhen werde. Allein auf die Vermittler kommen nach groben Schätzungen von Versicherungsmathematiker Peter Schramm rund 15 Milliarden Euro an Nachforderungen zu (siehe unten). Die Versicherungsbranche versucht zu retten, was zu retten ist. Wolf-Rüdiger Heilmann, Geschäftsführer Lebensversicherung und Pensionsfonds des GDV, wendet gegen das Urteil ein, mit gezillmerten Tarifen erreiche man höhere Ablaufleistungen, und bei hinreichender Aufklärung des Arbeitnehmers liege eine privatautonome, freiwillige (Individual-)Abrede vor, so dass auch die Paragrafen 307 ff. BGB nicht greifen würden. Zudem habe der Bundesgerichtshof (BGH) in der vom LAG München herangezogenen Entscheidung festgestellt, dass das Zillmerverfahren grundsätzlich keine unangemessene Benachteiligung im Sinne von Paragraf 307 BGB darstelle. Ferner sei zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber im Rahmen der Novellierung des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) selbst von der Zulässigkeit einer Verrechnung von Abschlusskosten ausgehe, heißt es in seiner Stellungnahme. Allianz: Kein Kommentar Und die GDV-Mitglieder stellen sich natürlich zunächst einmal hinter ihren Verband. So wollte ein Sprecher der Allianz Leben das Urteil nicht weiter kommentieren, sondern gab lediglich zu verstehen, man unterstütze die Erklärung des GDV. Andere verweisen darauf, dass es sich bei dem Urteil um keine höchstrichterliche Entscheidung handle. „Natürlich sind jetzt zunächst einmal alle Marktteilnehmer aufgeregt“, erklärt Johann Prost von der Condor Dienstleistungs GmbH, die sich um das Thema betriebliche Altersvorsorge bei der Condor kümmert. Aber insgesamt sei die Branche der Ansicht, dass das Urteil so nicht haltbar sei. Nicht nur Rechtsanwalt Keppel sieht das anders. „Die gegen die Entscheidung des LAG München vorgebrachten Argumente des GDV überzeugen nicht“, so der Jurist. Das gesetzliche Gebot der Wertgleichheit könne nicht mit der Begründung einer angeblich höheren Ablaufleistung bei gezillmerten Verträgen umgangen werden, zumal damit die vom Betriebsrentengesetz geforderte Portabilität und Flexibilität für die Arbeitnehmer, die durchschnittlich nur knapp fünf Jahre für einen Arbeitgeber tätig seien, nicht erreicht würde. „Auch ein ausdrücklicher Hinweis auf die Zillmerung führt nicht dazu, dass eine allgemeine Geschäftsbedingung zur Individualabrede wird“, so Keppel weiter. „Das LAG-Urteil dürfte weitreichende Folgen für die künftige bAV-Beratung und vor allem bereits bestehende Entgeltumwandlungsversorgungswerke haben“, ist auch Manfred Baier, Geschäftsführer und Partner der Dr. Rödl Penstreuhand GmbH in Nürnberg überzeugt. Schon seit dem Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart gebe es erheblichen Druck auf die Zillmerung von bAV-Verträgen. Deshalb werde das neue Urteil für weiteren Auftrieb bei der Honorarberatung sorgen. Das Arbeitsgericht Stuttgart hatte mit seinem Urteil vom 17. 1. 2005 (Az. 19 Ca 3152/04) einen Arbeitgeber zum Schadensersatz verurteilt. Zahlreiche Versicherer und andere Träger betrieblicher Versorgungswerke wähnten daraufhin, es reiche aus, den Arbeitnehmer über die „Zillmerung“ aufzuklären. Mehr noch: Das Urteil wurde oft fälschlich so interpretiert, dass es die Zulässigkeit der Zillmerung nach Aufklärung geradezu bestätigt. Die Richter in Stuttgart hatten damals allerdings auf eine Verletzung der Fürsorgepflicht seitens des Arbeitgebers abgestellt, das LAG München jedoch sah im dort verhandelten Fall einen Verstoß gegen das Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung und erklärte eben gleich die gesamte Entgeltumwandlungsvereinbarung für nichtig. Noch setzt die Versicherungsbranche auf die Möglichkeit der Revision vor dem Bundesarbeitsgericht, die das LAG München für den im Prozess unterlegenen Arbeitgeber zugelassen hat. Das ist allerdings ein eher schwacher Strohhalm. Denn Gerhard Reinecke, Vorsitzender Richter am Bundesarbeitsgericht, hatte schon – geradezu in Voraussicht des Münchner LAG-Urteils – während eines Fachvortrags Anfang vergangenen Jahres festgestellt: „Entgeltumwandlungsvereinbarungen, die gezillmerte Tarife vorsehen, sind unwirksam.“ Vier Gründe, warum die Zillmerung zur Nichtigkeit führt Das LAG München nennt in seiner Entscheidung gleich vier Gründe, warum die verhandelte Entgeltumwandlung als nichtig anzusehen ist 1. Verstoß gegen die Wertgleichheit gemäß Paragraf 1 BetrAVG: Die Verwendung gezillmerter Tarife genügt nach Meinung des Gerichts nicht der Forderung des BetrAVG nach einer wertgleichen Umwandlung von Entgelt in Leistungen der bAV. 2. Unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers gemäß Paragraf 307 BGB: Die einseitige formularmäßige Bestimmung der Vertragsbedingungen durch den Arbeitgeber (hier: Festlegung gezillmerter Tarife) stellt eine unangemessene Benachteiligung des betroffenen Arbeitnehmers dar, ohne ihm hierfür einen entsprechenden Ausgleich zu bieten. Allein deshalb ist die Vereinbarung unwirksam. 3. Verstoß gegen den Grundgedanken der Portabilität gemäß Paragraf 4 BetrAVG: Die Verwendung gezillmerter Tarife konterkariert nach Meinung des Gerichts die gesetzlichen Regelungen zur Portabilität. 4. Verstoß gegen die aktuelle Rechtsprechung des BGH und des BVerfG: Die Rechtsprechung zu Mindestrückkaufswerten bei Lebensversicherungen muss nach Meinung des Gerichts erst recht für Versicherungen im Rahmen von bAV durch Entgeltumwandlungen sinngemäß Anwendung finden. Was auf Arbeitgeber und bAV-Vermittler zukommen könnte Versicherungsmathematiker Peter Schramm hat ausgerechnet, was sich aus dem Urteil des LAG München an nicht kalkulierten Belastungen für Arbeitgeber und bAV-Berater ergeben könnte. Wirklich böse sieht die Rechnung für den Arbeitgeber aus. Ein Beispiel: Für einen Mitarbeiter wurden 100 Prozent eines Beitrags von monatlich 100 Euro in eine betriebliche Versorgung umgewandelt. Die Abgabenersparnis lag (bis 2008) bei rund 20 Prozent für den Arbeitgeber. Später teilt das betriebliche Versorgungswerk mit, dass noch zehn Prozent der einbezahlten Beiträge übrig sind. Der Arbeitgeber muss die fehlenden 90 Prozent nachzahlen (also als Lohn dem Mitarbeiter abrechnen). Hinzu kommen vom Arbeitgeber allein zu bezahlende rund 40 Prozent an Sozialabgaben, woraus sich rund 36 Prozent (40 Prozent Sozialversicherung auf 90 Prozent Nachzahlung) an weiterer Belastung für den Arbeitgeber ergeben. Zusammen hat der Arbeitgeber also eine Belastung von 90 Prozent plus 36 Prozent = 126 Prozent zu tragen, über die er bei der Vermittlung nicht aufgeklärt wurde. So stellt er am Ende fest: Auf die im Beispiel gewählten 100 Euro Gehaltsumwandlung wurden ihm vom Vermittler ursprünglich 20 Prozent Abgabenersparnis vorgerechnet. Dass er am Ende durch die betriebliche Altersvorsorge über 100 Prozent draufzahlt, haben ihm weder Vermittler noch Versicherer erklärt. 300.000 Euro Pro-Kopf-Belastung für Vermittler? Auch in der Frage, womit Vermittler rechnen müssen, hat Schramm eine grobe Schätzung parat: Er geht von möglichen Nachforderungen bei zirka fünf Millionen Arbeitnehmern aus. Wenn diese im Durchschnitt einen Beitrag von 150 Euro in eine bAV umgewandelt haben, ergibt sich daraus ein mögliches Haftungspotenzial von rund 15 Milliarden Euro (5 Millionen Verträge mal 150 Euro mal 12 Monate mal 30 Jahre mal 55 Promille einschl. Stornoabzug und sonstiger Kosten). Das ergibt bei geschätzten 50.000 Vermittlern eine durchschnittliche Pro-Kopf-Belastung von 300.000 Euro an entstandenem Schaden, bei größeren Vermittlerorganisationen und Versicherern entsprechend mehr. Enthalten sind in dieser Kalkulation alle Entgeltumwandlungen – nicht nur bestehende, sondern gegebenenfalls auch inzwischen bereits wieder mit Verlust gekündigte. 55 Promille sind üblich – nämlich 40 Promille für die Zillmerung zuzüglich noch einmal bis zu 20 Promille an sogenannten „überrechnungsmäßigen Abschlusskosten“, die dann bei frühzeitiger Kündigung zu Stornoabzügen führen, nachdem das Deckungskapital durch Zillmerung ohnehin gemindert ist.
(fondsprofessionell.de (31.05.2007))
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Über den Autor

Dr. Johannes Fiala Dr. Johannes Fiala
PhD, MBA, MM

Dr. Johannes Fiala ist seit mehr als 25 Jahren als Jurist und Rechts­anwalt mit eigener Kanzlei in München tätig. Er beschäftigt sich unter anderem intensiv mit den Themen Immobilien­wirtschaft, Finanz­recht sowie Steuer- und Versicherungs­recht. Die zahl­reichen Stationen seines beruf­lichen Werde­gangs ermöglichen es ihm, für seine Mandanten ganz­heitlich beratend und im Streit­fall juristisch tätig zu werden.
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