Fällt der Höchstrechnungszins trennen sich Spreu und Weizen

Der durchschnittliche Lebensversicherungssparer nennt die sichere Verzinsung des Sparanteils der Lebensversicherungsprämie den Garantiezins, der zuletzt in 2015 bei höchstens 1,25 Prozent p.a. liegt. Diese Grenze ist der Höchstrechnungszins zur Berechnung der Deckungsrückstellungen, über den hinaus kein Lebensversicherer derzeit im Neugeschäft gehen darf, selbst wenn er es problemlos könnte – darunter bleiben dürfte er, doch das ist selten. Diese Höchstgrenze will die Bundesregierung nun abschaffen.

 

Nach Kosten des Versicherers kommen am Ende bei heute 1,25 Prozent Garantiezins gerade einmal nach 30 Jahren die Beiträge wieder zusammen, die garantiert werden – nach Kaufkraftverlust eher weniger. Immerhin könnte das Geld beim Lebensversicherer aber sicherer sein als unterm Kopfkissen oder im Sparstrumpf. So recht überzeugend ist dies aber nicht. In diesem Sinne begleitet mancher verständnisvoll die Entscheidung einiger größerer Lebensversicherer, keine Garantieprodukte mehr anbieten zu wollen. Oder nur noch unter dem Ladentisch auf spezielle Anfrage und nach Kenntnisnahme, dass der Versicherer davon abrät. In Zukunft werden sich die Lebensversicherer womöglich in einem harten Konkurrenzkampf um das wirtschaftliche Überleben mit künftig weitaus höheren Garantien für nachfragende Kunden befinden.

Mehr teures Eigenkapital für Bestand und Neugeschäft durch Solvency-II nötig

Welcher Lebensversicherer künftig im Neugeschäft einen höheren Garantiezins bieten will, kann dies – aber nur, wenn er das für dieses Risiko erforderliche Eigenkapital gemäß Solvency II nachweist. Einige Versicherer stehen dann mit dem Rücken zur Wand, weil das nötige Eigenkapital fehlt – einerseits für die Altbestände, und andererseits für jenes Neugeschäft, welches mit renditeträchtigeren aber auch riskanteren Kapitalanlagen verbunden ist, um dem Kunden höhere Garantien und höhere Gesamtverzinsung bieten zu können, als heute. Freies Eigenkapital, eine höhere Solvabilität sind notwendige Grundlagen um im Wettbewerb die gefragten Garantieprodukte mit möglichst hohem Garantiezins anbieten zu können und werden somit zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor.

 

Klassische Lebensversicherung – totgesagte leben länger

Nur besonders kapitalstarke Lebensversicherer werden unter den Bedingungen von Solvency II künftig in der Lage sein, klassische Lebens- und Rentenversicherungen mit einem höheren Garantiezins anzubieten. Mit Eigenkapital müssen sie sich für den Fall absichern, dass der hohe Garantiezins künftig einmal nicht erreicht wird. Und nur mit Eigenkapital können sie die möglichen zeitweisen Verluste riskieren, wenn sie ihr Kapital riskanter und damit ertragsreicher anlegen und ihren Kunden damit nicht nur einen höheren Garantiezins, sondern auch höhere Überschüsse bieten. Die potentielle Nachfrage nach klassischen Produkten mit attraktiver Garantieverzinsung ist nach wie vor groß – bei nur 1,25 Prozent, wie bisher höchstens zulässig, bleiben sie aber dann doch ein Ladenhüter. Durch einen höheren unternehmens-individuellen Garantiezins können kapitalstarke Lebensversicherer im Neugeschäft also einen echten Wettbewerbsvorteil gegenüber kapitalschwächeren erringen.

 

Umschuldungsklauseln (Collective Action Clauses, CAC) erfordern neue Portfolios

Bezüglich Staatsanleihen des europäischen Währungsraumes vollzog sich seit 2013 eine Änderung vom Bail-Out zu Lasten der Steuerzahler (FSCS, ESM), zum Bail-In zu Lasten der Gläubiger (Hair-Cut), insbesondere durch das Instrument der Umschuldungsklauseln zur Sanierung von Staatsfinanzen. Unter dem gegenwärtigen Regulierungsrahmen (Basel II/III, Solvency II) besteht noch keine Pflicht mit Aufsicht, für diese Variante eines (bis zum Total-)Ausfallrisiko noch Risikokapital vorzuhalten.

Zudem hat seit der politischen Ankündigung des Euro sich der sichere Kapitalmarktzins von Staatsanleihen auf den Nullpunkt zubewegt, global als Ergebnis des Überangebotes an Anlegergeldern und deren Nachfrage nach vermeintlich sicheren Anlagen. Nicht erst alternative Assets mit höheren Risiken und besseren Renditeaussichten im Deckungsstock, sondern auch das Angebot attraktiverer Garantieprodukte erfordern eine starke Eigenkapitalbasis im Wettbewerb.

Wohin mit den eigenkapitalfressenden Altbeständen?

Lebensversicherer mit großen Altbeständen müssten ihr Eigenkapital stark steigern, um bei attraktiven Garantiezinsangeboten im Neugeschäft mithalten zu können. Denn wegen der Gleichbehandlung können sie nicht nur das riskanter angelegte Sparkapital der Neukunden mit dann höherem Garantiezins gezielt mit stärkerem Eigenkapital absichern, um dort eine höhere Rendite zu erzielen. Wegen des Gleichbehandlungsgebots muss die Rendite nämlich mit dem Altbestand geschwisterlich geteilt werden. Genügend Eigenkapital muss also letztlich auch für die Absicherung aller Kapitalanlagen bereitstehen, mithin für die Masse des Altbestandes ebenso und insoweit  für das Neugeschäft völlig nutzlos – nur teuer.

Könnte man nach Kuckucksart die ungeliebten Geschwister loswerden, wäre viel gewonnen. Und in der Tat können Lebensversicherer die Altbestände verkaufen und sich so von dieser Belastung befreien. Selbst wenn sie dafür nicht mal einen Kaufpreis bekommen, sondern nur die symbolische Ein-Euro-Münze – oder gar noch eine Kleinigkeit drauflegen: mit dem freigewordenen Eigenkapital glänzen sie dann dank Solvency II im Wettbewerb um das Neugeschäft mit einem gesetzlich nicht mehr fest begrenzten Garantiezins. Auch ist es viel preiswerter, nur gezielt für das ohne die Altbestände verbliebene Geschäft die dafür erforderlichen Eigenkapitalanforderungen zu stemmen. Die klassische Lebensversicherung wurde wohl zu früh totgesagt.

Wie überleben die Lebensversicherer den Verdrängungswettbewerb?

Es steht kaum zu befürchten, dass ein Verdrängungswettbewerb bevorsteht, den viele Lebensversicherer nicht überleben werden. Aber aus großen Lebensversicherern mit hohen derzeit nur bei Anlage in sehr sicheren niedrigverzinslichen Wertpapieren erfüllbaren Eigenkapitalanforderungen werden vielleicht zwar nach Beitragseinnahme kleine aber im Neugeschäft erfolgreiche und relativ weit kapitalstärkere Wettbewerber. Von wieder attraktiven klassischen Garantieprodukten haben dann auch die Vermittler etwas, weil sie gefragt sind. Damit der Bestandsverkauf an Investoren das Ansehen der Branche nicht beschädigt, stehen genug Aufsichtsmittel zur Verfügung. Von Kosteneinsparungen durch reine Abwicklungsplattformen mit effizienter Verwaltung profitieren auch die Altkunden.

Letztlich bleibt aber gar keine andere Wahl. Lebensversicherer können nicht ihren Sinn darin sehen, hohes Eigenkapital nur dafür vorzuhalten, dass sie ihre Altbestände abwickeln, und ihnen im Neugeschäft andere davonlaufen, mit immer noch beliebten klassischen Garantieprodukten mit höherem Garantiezins. Diese legen ggf. bis zu mehr als 30 Prozent der Kapitalanlage in Aktien und ca. 20 Prozent in Infrastruktur/Immobilien an – während die anderen Mühe haben, mit sicheren festverzinslichen Papieren die Altbestände mit noch immer hohen durchschnittlichen Garantiezinsen abzuwickeln.

 

Verwertung der Altbestände als strategische Überlebensfrage im Wettbewerb

Selbst Lebensversicherer weisen Eigenkapitalrenditen oft über 30 Prozent aus – haben an ihr Geschäft höhere Gewinnerwartungen als andere Investoren, auch aus China. Das durch den Verkauf des Bestands gewonnene Kapital und das eingesparte Eigenkapital kann an anderer Stelle im Konzern oft gewinnträchtiger eingesetzt werden – so beispielsweise für Investitionen in die Digitalisierung. Es kann auch den Aktionären zum Beispiel durch Aktienrückkauf zurückgegeben werden und damit Rendite und Kurs der Aktien steigern. Der Vorstand steht gegenüber seinen Aktionären in der Verantwortung. Die Altbestände selbst weiter zu behalten, kann daher die schlechteste Lösung sein. Den Kunden muss es Dank der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungs-Aufsicht nicht schaden.

 

Aktionärsinteressen hinter Kundeninteressen zu stellen führt in die Vorstandshaftung

An den Interessen der Aktionäre kann kein Vorstand so einfach vorbei. Man darf als Vorstand viel dazu sagen, wie man sich für die Kundeninteressen einsetzt – aber wenn man diese über die der Aktionäre setzt, hat man ein Problem. Ein Vorstand, der das Unternehmensinteresse aus dem Auge verliert, riskiert persönliche Haftung. So behauptete jüngst der Vorstand eines Erstversicherers, dass die Kunden immer noch mehr Überschüsse als gesetzlich vorgeschrieben bekommen – und musste sich später rechtfertigen, ob er damit nicht seine eigenen Aktionäre benachteiligt.

 

Den Vorsorgegedanken stärken

Heute muss der Kunde für eine gleich hohe Rente in Garantieprodukten das bis zu mehr als dreifache ansparen, weil es kaum noch einen Zinseszins gibt. Viele sagen sich daher, dass Vorsorge sich nicht mehr lohnt. Durch niedrige Garantiezinsen ist der Vorsorgegedanke insgesamt in Gefahr – Altersarmut droht. Wenn es also jetzt ein Mittel gibt, wieder attraktive Garantieprodukte mit höherem Garantiezins und gesteigerten Überschusserwartungen anzubieten, muss ein Lebensversicherer schon eine sehr gute Rechtfertigung haben, davon abzusehen. Die dafür hohen Eigenkapitalerfordernisse infolge des Mitschleppens großer Altbestände sind kein guter Grund. Davon haben letztlich bei Licht besehen weder die Altbestände wirklich etwas, noch das Unternehmen – und das Neugeschäft bzw. diejenigen, die gleich gar nicht mehr vorsorgen, zahlen den Preis.

Wollen Lebensversicherer den Vorsorgegedanken stärken und Altersarmut verringern, so können sie dies über das Angebot attraktiverer Garantiezinsprodukte erreichen. Dies hat früher funktioniert – also ist es auch künftig ein Weg. Richtig verstandenes Verantwortungsbewusstsein sollte dahin führen. Ohne wirklichen Nutzen an den Altbeständen kleben hilft niemandem und schädigt Massen künftiger Rentner, die heute zu wenig Vorsorge betreiben.

 

 

von Dr. Johannes Fiala und Dipl.-Math. Peter A. Schramm

mit freundlicher Genehmigung von

www.experten.de (veröffentlicht in Experten Report am 20.11.2015)

Link: http://www.experten.de/2015/11/20/faellt-der-hoechstrechnungszins-trennen-sich-spreu-und-weizen/

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Über den Autor

Dr. Johannes Fiala Dr. Johannes Fiala
PhD, MBA, MM

Dr. Johannes Fiala ist seit mehr als 25 Jahren als Jurist und Rechts­anwalt mit eigener Kanzlei in München tätig. Er beschäftigt sich unter anderem intensiv mit den Themen Immobilien­wirtschaft, Finanz­recht sowie Steuer- und Versicherungs­recht. Die zahl­reichen Stationen seines beruf­lichen Werde­gangs ermöglichen es ihm, für seine Mandanten ganz­heitlich beratend und im Streit­fall juristisch tätig zu werden.
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