Negativrenditen bis zum Ablauf

Der Erfolg der Lebensversicherung ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass sie dem Vermittler durch erhebliche ? oft einmalig schon bei Vertragsabschluss zahlbare ? Provisionen eine interessante Einnahmequelle verschafft. Doch die so genannte ?Zillmerung? birgt aber auch Haftungsrisiken durch mangelnde Transparenz.
August Zillmer hatte im 19. Jahrhundert durch das nach ihm benannte Verfahren der Zillmerung dafür gesorgt, dass Lebensversicherungen durch ein auskömmliches Provisionssystem hauptberuflich vertrieben werden konnten. So werden bei einem Vertrag mit 250 Euro Monatsbeitrag und 35 Jahren Laufzeit und damit planmäßig bis zum Ablauf 105.000 Euro Beitragsaufwand Provisionen bis zu etwa vier Prozent der Beitragssumme, somit bis zu 4.200 Euro gezahlt. Da diese Beträge letztlich aus den eingehenden Beiträgen des Kunden getilgt werden, sind sie letztlich die Ursache für geringe Rückkaufswerte oder über lange Jahre magere Renditen bei Kündigung eines Vertrages.
Die Befürworter der Zillmerung kritisieren jedoch ungezillmerte Verträge, bei denen die Abschlusskosten über die gesamte Laufzeit von jedem Beitrag einbehalten werden: Die letzten Beiträge würden nicht mehr lohnen, weil sie bis zum Ende der Laufzeit zu keiner positiven Rendite mehr führen. Bei der Zillmerung dagegen seien die letzten Beiträge nicht mehr mit so hohen Kosten belastet, weil diese bereits zu Vertragsbeginn durch das Zillmerverfahren getilgt sind. Dieses Argument für die Zillmerung geht jedoch völlig in die Irre, wie die nachfolgenden Berechnungen zeigen. Kapitallebensversicherungen laufen nicht nur über ein Jahr, sondern über 12, 20 oder 35 Jahre. Dann aber ergibt sich bei vier Prozent Zillmerung, drei Prozent laufenden Kosten und 4,5 Prozent Gesamtverzinsung aus 1.000 Euro Einmalbeitrag eine Ablaufleistung von 1.577, 2.243 oder 4.341 Euro; die Beitragsrendite bezogen auf die eingezahlten 1.000 Euro ist dann 3,87, 4,12 oder 4,28 Prozent. Bei längerer Laufzeit fallen die anfänglichen Kosten immer weniger ins Gewicht. Wesentlich ungünstiger sieht aber folgendes fiktive Beispiel aus: Der Kunde zahlt einmalig nach 34 Jahren 1.000 Euro, dafür werden ihm aber jetzt schon 40 Euro Abschlusskosten in Rechnung gestellt, die mit Zins und Zinseszins in 34 Jahren vom dann zu zahlenden Beitrag ? neben mindestens 30 Euro Verwaltungskosten ? abgezogen werden. Dann wird der Rest mit voraussichtlich 4,5 Prozent verzinst. 40 Euro über 34 Jahre ergeben dann 179 Euro, plus 30 Euro Verwaltungskosten sind 209 Euro, verbleiben also von den 1.000 Euro der letzten gezahlten Jahresrate noch 791 Euro, die für ein Jahr mit 4,5 Prozent verzinst werden und somit bei Ablauf 827 Euro oder eine Minusrendite von 17,3 Prozent ergeben. Noch schlechter sieht das Ergebnis aus, wenn die Gesamtverzinsung sechs Prozent beträgt: Dann summieren sich die aufgezinsten Abschlusskosten der letzten Jahresbeitragsrate auf 290 Euro, die Minusrendite der letzten Rate beträgt 27,9 Prozent. Auch fondsgebundene Lebens- oder Rentenversicherungen sind von diesen Effekten nicht ausgenommen, die Auswirkungen können hier sogar noch stärker sein. Bei einer Fondsrendite von neun Prozent fehlen nämlich wegen der anfänglichen Abschlusskosten von 40 Euro nur der letzten Jahresrate bereits aufgezinste 749 Euro ? ihre Minusrendite beträgt dann sogar 75,9 Prozent. Auch wenn Fondspolicen formal gar nicht als gezillmert bezeichnet werden können, findet hier doch zu Vertragsbeginn meist ebenfalls eine der Zillmerung in der Wirkung entsprechende Abschlusskostenverrechnung statt.
Hohe Belastung der Beiträge mit Abschlusskosten
Die Wirkung solcher Verträge ist hier allerdings auf den ersten Blick nicht so transparent: Ein Vertrag (wieder vereinfacht ohne Todesfallleistung gerechnet) mit 35 Jahren Laufzeit und 1.000 Euro Jahresbeitrag ergibt ? bei gleichen Abschluss- und Verwaltungskosten und gleicher Gesamtverzinsung wie im Beispiel ? bei Ablauf 76.075 Euro, also mehr als das Doppelte der gezahlten Beiträge ? und doch nur 3,97 Prozent Beitragsrendite. Wird die Beitragszahlung aber von vornherein auf 34 Jahresraten beschränkt, errechnet sich die Ablaufleistung mit 75.248 Euro ? also nur 827 Euro weniger, obwohl 1.000 Euro Beitrag eingespart wurden. Und werden von vornherein nur 31 Jahresbeiträge gezahlt, vermindert sich die Ablaufleistung auf 72.485 Euro ? nur 3.590 Euro weniger als bei Beitragszahlung bis zum Ablauf. Die Zahlung der letzten vier Jahresbeiträge führt also zu einem Verlust von 410 Euro. Ursache für dieses vom Anleger sicher unerwartete Ergebnis ist die hohe Belastung der Beiträge mit Kosten, insbesondere Abschlusskosten. Dies führt zu Verminderung des verzinsbaren Deckungskapitals ? und der Rückkaufswerte ? und somit nicht nur zu geringeren garantierten Ablaufleistungen, sondern auch zu geringeren Zinsüberschüssen. Nachteilig ist dies insbesondere auch für die Kunden, die nachträglich ihren Vertrag beitragsfrei stellen oder zurückkaufen. Denn die aus der ? gar nicht gezahlten ? vollen Beitragssumme der gesamten Laufzeit errechneten Abschlusskosten sind schon in den ersten Jahren mit dem Beitrag verrechnet worden und führen ? nicht nur anfangs, sondern sogar durch Zinseszinseffekte verstärkt über die gesamte Laufzeit ? zu verminderten Rückkaufswerten. Dabei macht es keinen wesentlichen Unterschied, ob die Abschlusskosten einmalig durch Zillmerung oder über die ersten fünf Jahre verteilt mit den Beiträgen verrechnet werden.
Konkrete Angebote von Lebensversicherern zeigen die tatsächlichen Auswirkungen. Ein Anfang März 2006 erstelltes Angebot eines Lebensversicherers bietet für einen 30Jährigen bei 35 Jahren Laufzeit und 31 Jahren Beitragszahlungsdauer (1.000 Euro Jahresbeitrag) eine garantierte Ablaufleistung (Versicherungssumme) von 42.509 Euro, einschließlich derzeitig deklarierter laufender überschüsse 63.668 Euro. Bei vollen 35 Jahren Beitragszahlungsdauer (also 4.000 Euro Mehrbeitrag) erhöht sich die garantierte Ablaufleistung nur um 2.863 Euro auf 45.372 Euro, mit laufenden überschüssen um 3.312 Euro auf 66.980 Euro. Der Verlust aus den zusätzlich gezahlten vier Jahresbeiträgen beträgt also voraussichtlich 688 Euro ? stellt man auf die garantierte Ablaufleistung ab, sogar 1.137 Euro. Durch Schlussüberschüsse kann sich diese Relation zwar nochmals ändern. Doch können Schlussüberschüsse bis zuletzt zurückgefahren werden, sind also sehr ungewiss. Dazu kommt, dass gerade bei den Schlussüberschüssen auf Grund eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts künftig mit anderen Modalitäten der Zuteilung gerechnet werden muss. Der gleiche Anbieter gibt für einen 30- Jährigen bei einer fondsgebundenen Rentenversicherung ? ebenfalls 35 Jahre Laufzeit und 1.000 Euro Jahresbeitrag ? eine Kapitalabfindung von 107.100 Euro für sechs Prozent Fondsentwicklung und 206.667 Euro für neun Prozent Fondsentwicklung an. Wird die Beitragszahlungsdauer um ein Jahr abgekürzt, so ergibt sich eine Kapitalabfindung von 106.544 beziehungsweise 206.791 Euro. Der letzte Jahresbeitrag führt also im ersten Fall zu einer Minusrendite von 44,4 Prozent, im zweiten Fall gar 112,4 Prozent, also weniger Leistung trotz mehr Beitrag.
Wie sich das vorzeitige Storno auswirkt
Verzichtet der Kunde bei neun Prozent erwarteter Fondsentwicklung auf die Beitragszahlung für die letzten fünf Jahre, so prognostiziert der Anbieter auch schon 206.313 Euro Kapitalabfindung. Das heißt, die 5.000 Euro Beitrag der letzten fünf Jahre ergeben am Ende gerade nur eine Mehrleistung von 354 Euro, die restlichen 4.646 Euro werden wegen der Kosten aufgebraucht (siehe Tabelle Seite 28). Lebensversicherer messen ihren Erfolg im Neugeschäft an der vermittelten Beitragssumme. Ein Vertrag über 100 Euro Monatsbeitrag und 30 Jahre Beitragszahlung ist damit doppelt so viel wert wie ein Vertrag mit 100 Euro Monatsbeitrag und 15 Jahren Bei- tragszahlung. Verträge mit langen Beitragszahlungsdauern sind auch von daher für den Versicherer interessant, selbst wenn der größte Teil frühzeitig gekündigt wird. Wie sich das vorzeitige Storno auf die Rückkaufswerte bei unterschiedlicher Beitragszahlungsdauer auswirkt, wird an einem Beispiel deutlich. In der Tabelle auf Seite 32 sind zwei Verträge mit 35 Jahren Beitragszahlungsdauer versus 20 Jahren gegenübergestellt. Kostensätze und Zillmerung sind wie oben festgelegt, die Gesamtverzinsung beträgt hier fünf Prozent; andere als Zinsüberschüsse werden nicht angesetzt. Die Zinsüberschüsse des Vertrages mit voller Beitragszahlungsdauer überschreiten hier erst am Ende des 30. Jahres die des abgekürzten Vertrages. Das Deckungskapital des abgekürzten Vertrages ist bis zum Ende des 21. Jahres stets höher als das des durchgehend mit Beiträgen bedienten. Doch auch bis zum Ende des 30. Jahres ist das Deckungskapital nur knapp 10.000 Euro niedriger, sodass sich die weitere Beitragszahlung bis dahin nicht gelohnt hätte. Am Ende bringt der Vertrag mit durchgehender Beitragszahlung 18.338 Euro mehr, das sind 3.338 Euro über dem gezahlten Mehrbeitrag. Die Rendite dieser Mehrleistung bezogen auf die zusätzlichen 15 Beitragsraten beträgt nur 2,47 Prozent, die Gesamtrendite (Beitragsrendite) 4,35 Prozent über die gesamte Laufzeit. Die Gesamtrendite des Vertrages mit abgekürzter Beitragszahlungsdauer liegt dagegen höher ? bei 4,54 Prozent.
Zusatzeffekt Stornoabzug
Bei den Rückkaufswerten kommen die Effekte aus den Stornoabzügen hinzu. Diese bemessen sich beispielsweise nach einem Prozentsatz des Deckungskapitals zum Stornotermin zuzüglich eines Prozentsatzes der noch bis zum Vertragsablauf ausstehenden planmäßigen Beiträge. Im Beispiel in der Tabelle auf Seite 32 wurde für beides jeweils als nicht unüblich ein Prozent angesetzt. Dies führt zu einer sehr viel geringeren Auswirkung der Stornoabzüge im Vertrag mit abgekürzter Beitragszahlung. Dadurch ergeben sich bis zu zirka 1.600 Euro höhere Rückkaufswerte. Unter Berücksichtigung der weiteren Beitragszahlung ist der Vertrag mit abgekürzter Beitragszahlung bis zum Ende des 30. Jahres bei Kündigung günstiger bezogen auf den Absolutüberschuss, bezogen auf die Rendite aber auch danach. Wer eine Kapitallebens- oder Rentenversicherung abschließt, sollte sich also neben einem Angebot mit laufender Beitragszahlung bis zum Vertragsablauf auch Angebote mit abgekürzter Beitragszahlungsdauer einholen. Dazu muss er (in einer Beispielrechnung) den getrennten Ausweis der garantierten Ablaufleistung beziehungsweise Kapitalabfindung sowie der laufenden und Schlussüberschüsse verlangen ? entsprechend auch für die prognostizierten Ablaufleistungen und Kapitalabfindungen bei fondsgebundenen Versicherungen. Die Schlussüberschüsse sollten jedoch vorsichtshalber bei der Beurteilung unberücksichtigt bleiben. Erst recht aber wirken sich die genannten Effekte aus, wenn ein Vertrag vorzeitig gekündigt und zurückgekauft oder beitragsfrei gestellt wird. Die Abschlusskosten sind dann bereits verrechnet und vermindern den Rückkaufswert oder die beitragsfreie Versicherungsleistung. Die Deutsche Aktuarvereinigung hat ermittelt, dass bei langlaufenden Verträgen rund drei Viertel vorzeitig gekündigt oder beitragsfrei gestellt werden (siehe Grafik auf Seite 31).
Transparenz und Maklerhaftung
Für den Vermittler stellt sich die Frage der Haftung wegen Falschberatung. Hier ist die Bond-Entscheidung des Bundesgerichtshofes entscheidend ? anleger- und objektgerecht hat die Beratung zu sein: Das angebotene Produkt muss also zum Kunden und seinen Anlagezielen passen. Damit hat auch eine Aufklärung über die Risiken verbunden zu sein ? entsprechend dem Wissensstand des Kunden. Ein Problem dabei: Die Sicherheit einer Kapitalanlage ist üblicherweise mit einem Verzicht auf Erträge deutlich oberhalb der üblichen Kapitalmarktverzinsung verbunden. Die ?Zillmerung? führt jedoch, für die meisten Kunden zunächst nicht durchschaubar, zu einer Art von Totalverlustrisiko ? und solch ein Risiko ist seit Jahrzehnten aufklärungspflichtig. Die Haftung im Zusammenhang mit Abschlusskosten kann auch durch die Hintertür daherkommen: Immobilien zum Beispiel werden oft durch eine Kombination aus Festkredit und Abschluss einer KLV zur Tilgung am Ende der Laufzeit finanziert. Grundlage dafür sind dann Musterberechnungen mit oft tendenziell optimistischer (wenn nicht unrealistischer) Ablaufrendite ? die geplanten überschüsse sind dann geringer ausgefallen, und die Abschlusskosten hatten stärkeren Einfluss auf die Wertentwicklung der KLV als ursprünglich geplant. Für die Finanzierungslücke, nicht jedoch auf Rückabwicklung, haftet dann insbesondere der Vermittler des Modells.
Johannes Fiala, Rechtsanwalt, Kanzlei Fiala, Freiesleben & Weber, München,
Dipl.-Math. Peter A. Schramm, Aktuar DAV und Sachverständiger für Versicherungsmathematik, Diethardt
Mit freundlicher Genehmigung vonhttp://www.versicherungsmagazin.de>www. versicherungsmagazin.de

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Über den Autor

Dr. Johannes Fiala Dr. Johannes Fiala
PhD, MBA, MM

Dr. Johannes Fiala ist seit mehr als 25 Jahren als Jurist und Rechts­anwalt mit eigener Kanzlei in München tätig. Er beschäftigt sich unter anderem intensiv mit den Themen Immobilien­wirtschaft, Finanz­recht sowie Steuer- und Versicherungs­recht. Die zahl­reichen Stationen seines beruf­lichen Werde­gangs ermöglichen es ihm, für seine Mandanten ganz­heitlich beratend und im Streit­fall juristisch tätig zu werden.
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