Spielräume in den Vertragsbedingungen der Versicherer

Beratungsfallen in Berufs- und Erwerbsunfähigkeits-, Grundfähigkeits und Dread-Disease-Versicherungen – Teil II

 

Viele Arbeitsunfähige haben keine versicherte Krankheit

Kein Versicherer wird eine Berufsunfähigkeitsrente zahlen wollen, nur weil der Versicherte arbeitsunlustig ist. Dennoch meinen manche Versicherte, sie könnten mit irgendwelchen, dem Arzt geschilderten, von diesem gar nicht objektiv überprüfbaren Symptomen eine Leistung erreichen, nur weil sie sich subjektiv nicht mehr leistungsfähig fühlen. Um dem einen Riegel vorzuschieben, schränken die Versicherer den Begriff der versicherten Krankheit vielfältig ein – z. B. mit verwendeten Formulierungen wie „allgemein medizinisch anerkannte Krankheit“ oder der ausdrücklichen Forderung nach „Objektivierbarkeit der gesundheitlichen Beeinträchtigung“. Nachweisbare organische Veränderungen liegen aber oft gar nicht vor. Dazu haben viele Leiden gar nicht den Status einer anerkannten Krankheit erreicht und sind auch nicht wirklich objektivierbar, weil sie nämlich lediglich auf unüberprüfbaren, subjektiven Symptomschilderungen – wie z. B. Schmerzzuständen – aufsetzen, die einer Krankheit noch nicht zugeordnet werden können. Sie fallen dann z. B. unter Begriffe wie „Syndrom“ – womit ausgedrückt wird, dass es gerade keine anerkannte Krankheit ist.

 

Urlaub durch Krankschreibung

Subjektiv ist der Versicherte mit „Burn-Out-Syndrom“ völlig arbeitsunfähig, versichert dafür ist er indes mit etwas Glück nicht. Machten Arbeitnehmer manchmal noch gute Erfahrungen durch die Anleitung von „Krankfeierbroschüren“, genügt selten eine Verlegenheitsdiagnose, wie etwa die Vegetative Dystonie, wenn es um Leistungen der Versicherer bei (angeblicher) Berufsunfähigkeit geht. Manche Versicherer beauftragen nötigenfalls auch Detektive zur Klärung der Sachlage. So landet wohl jeder dritte Leistungsfall erst mal vor Gericht – bezahlt wird solange zumeist rein gar nichts.

 

Streitvermeidung durch Obliegenheit im Leistungsfall

Entweder bereits bedingungsgemäß oder über eine Obliegenheit beim Leistungsantrag kann der Versicherer ein ärztliches Zeugnis
über die angebliche Krankheit verlangen. Das hat den großen Vorteil, dass der Versicherte die Aussichtslosigkeit seines Leistungsbegehrens bereits selbst erkennen kann, wenn sein eigener Arzt die bedingungsgemäße Schwelle hinsichtlich der Diagnose schon nicht überschreiten möchte. Dass dann der Versicherer selbst auch nicht in eine langwierige Leistungsprüfung eintreten muss, hilft dann wenigstens dem Versicherten insoweit, als er sich einen längeren Streit mit dem Versicherer ersparen kann. Indes ist eine Haftungsklage gegen den Makler vorprogrammiert, wenn dieser auch einen Tarif hätte vermitteln können, nach dem die Leistung einfacher zu erhalten wäre.

 

Dread-Disease: trügerische Hoffnung auf klare Leistungsdefinition

Dagegen wird als Vorteil der Dread-Disease-Versicherung hervorgehoben, dass diese ganz klare Definitionen zu den versicherten Krankheiten umfasst. Dass dies viele Streitfälle vermeiden kann, ist schon deshalb klar, weil z. B. die besonders häufig zur Berufsunfähigkeit – aber auch zum Streit – führenden psychischen Krankheiten meist komplett ausgeschlossen sind. Doch bei genauem Hinsehen zerrinnen auch die zunächst als klar und eindeutig angesehenen Definitionen der sonst versicherten Krankheiten zwischen den Fingern, und zwar umso mehr, je differenzierter sie sind und umso genauer man hinsieht. Es handelt sich um einen Effekt der Heisenbergschen Unschärferelation für Versicherungsbedingungen.

 

Klare Leistungsdefinitionen in Dread-Disease sind tendenziell stark einschränkend

Dass eine Beschränkung auf „Operativer Eingriff an der thorakalen oder abdominalen Aorta aufgrund einer lebensgefährlichen Gefäßerkrankung. Ausgeschlossen sind das Einbringen von minimalinvasiven Stents und Eingriffe an den Seitenästen der Aorta.“ schon eine starke Einschränkung bedeutet, dürfte sogar jedem medizinischen Laien klar sein. Es sollen eben wirklich nur die allerschwersten Fälle versichert sein, sozusagen die Leichen auf Abruf.

 

Oder doch nur scheinbar klar

Was dagegen ein „Anspruch auf Leistungen wegen Bypass-OP / Angioplastie an den Herzkranzgefäßen“ sein soll, ist bei genauerem Hinsehen völlig unklar. Der medizinische Laie wird sich aus dem Internet schlau machen wollen und kommt dann u. a. auf Wikipedia, medizinische Lexika, Seiten von Herzkliniken. Wer spaßeshalber einmal herausfinden will, ob denn die ableitenden Venen auch zu den Herzkranzgefäßen gehören (wie die Uniklinik Heidelberg u. a. meint), wird dazu unterschiedliche Angaben finden. Bei Anfrage bei einem Versicherer mag es darauf ankommen, ob man das erste oder zweite Mal fragt. Beim ersten Mal sind dann womöglich die Herzvenen keine Herzkranzgefäße, beim zweiten Mal – konfrontiert mit den im Internet geisternden Meinungen dazu – verweigert der Versicherer jede Stellungnahme. Man kann dann allenfalls vage hoffen, dass er sich im Leistungsfall zumindest auf die eine oder andere Seite schlägt und die Klärung nicht einfach dem BGH überlässt.

 

Streit ist vorprogrammiert

Während der Versicherer sich eher für eine ihm günstige Auslegung seiner Vertragsklauseln entscheiden wird, legen Gerichte diese selbstverständlich im Zweifel zu Lasten des Verwenders aus. Versicherer lassen es aber nicht selten auf eine Klage ankommen, auch weil ein Gericht ja viel besser und in letzter Instanz verbindlich beurteilen kann, was der Versicherer mit seinen Bedingungen gemeint haben muss. Ob dann auch der Makler in die Haftung genommen wird, kommt natürlich auch darauf an, welche Aussagen er bei der Vermittlung gemacht hat. Problematisch, wenn er seinerzeit nur irrtümlich meinte, etwas zu wissen. Auf eine unverbindliche „Wissenserklärung“ des Versicherers, was dieser mit seiner Klausel meint, darf er sich keinesfalls verlassen. Typischerweise finden sich Auskünfte von Versicherern zur Präzisierung von Klauseln weder in der Police noch in einem Side-Letter abgebildet. Damit kann der Versicherer später sagen, dass dies gerade kein Vertragsbestandteil geworden sei, oder eine unverbindliche (und leider falsche) Wissenserklärung ohne Bindungswillen.

 

Plagiate ohne Nachdenken

Handeln Versicherer ab und an nach der Devise „Warum soll ich darüber nachdenken, was ich meine, wenn ich lese, was ich schreibe?“ Im besten Fall hat ein medizinischer Laie mit allenfalls Halbwissen im Rahmen seiner schwachen Ausdrucksmöglichkeiten in den Versicherungsbedingungen versucht, seine diffusen und zum Teil daneben liegenden Vorstellungen zum Ausdruck zu bringen. Das Ergebnis ist dann eine rein zufällige Glückssache, deren Auslegung man dem Geschick des späteren Leistungssachbearbeiters und im Streitfall den Gerichten überlässt. Es ist natürlich aussichtslos zu erwarten, dass der Urheber solcher Bedingungen noch sagen könnte, was gemeint sein soll. Der Makler tut gut daran, jede Hoffnung fahren zu lassen, dass er letzte Gewissheit über die Bedeutung von Versicherungsbedingungen erlangen könne. In der Praxis ist es dagegen noch schlimmer: Der Versicherer hat die Klausel einfach ohne tieferes Nachdenken von einem anderen Versicherer abgeschrieben, der es auch nicht besser wusste, weil der Ghostwriter beim Versicherer nur Marketingexperte war. Mit etwas zusätzlichem Glück hat er dann auch noch eine in ihrer Bedeutung ohnehin nicht verstandene Klausel abgeändert, ohne genau zu wissen, was er damit nun anrichtet.

 

Maklerhaftung für Bedingungsauswahl

Wer als Makler behauptet, er wisse, was in den Versicherungsbedingungen gemeint ist, begibt sich auf ein haftungsträchtiges Glatteis. Versicherungsbedingungen sollten als ein äußerst mangelhafter Anhaltspunkt dafür gesehen werden, was der Versicherer mutmaßlich etwa gemeint haben könnte, und – ggf. davon abweichend – wie er dann auch leisten wird. Haftungssichere Beratung zu leisten, ist damit selbstverständlich problematisch. Der Maklerberuf ist durchaus nicht ungefährlich – denn es kann durchaus vorkommen, dass man von Kunden, Produktpartnern und Schulungsleitern auch mit Unwahrheiten konfrontiert wird und somit auf Zeichen der Unfähigkeit stößt. Nicht selten hat es sich gezeigt, dass ehemalige Kriminalkommissare in diesem Beruf besonders erfolgreich waren.

 

von Dr. Johannes Fiala und Dipl.-Math. Peter A. Schramm

 

mit freundlicher Genehmigung von

www.experten.de (veröffentlicht im Experten Report 3/2011, Seiten 42-43)

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Über den Autor

Dr. Johannes Fiala Dr. Johannes Fiala
PhD, MBA, MM

Dr. Johannes Fiala ist seit mehr als 25 Jahren als Jurist und Rechts­anwalt mit eigener Kanzlei in München tätig. Er beschäftigt sich unter anderem intensiv mit den Themen Immobilien­wirtschaft, Finanz­recht sowie Steuer- und Versicherungs­recht. Die zahl­reichen Stationen seines beruf­lichen Werde­gangs ermöglichen es ihm, für seine Mandanten ganz­heitlich beratend und im Streit­fall juristisch tätig zu werden.
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