Wie das Vertrauen in die bAV zerstört werden kann

Bilanzfälschung und Bilanzverschleierung sind nach § 331 Nr. Handelsgesetzbuch (HGB) strafbar. Berühmte Beispiele solcher Manipulationen wären etwa die Konzerne Olympus und Enron, oder aus jüngerer Zeit wohl P&R. Die „Heubeck Richttafeln RT 2018 G“ (vom 20.07.2018) waren angeblich fehlerhaft erstellt und später zurückgezogen worden – dies in Verantwortung nur eines privaten Beratungsunternehmens.

Damit bestand das Risiko, dass Unternehmen in Deutschland ihre Pensionsverpflichtungen in Bilanzen nach § 6a Einkommensteuergesetz (EStG) wie auch nach HGB zunächst unzutreffend zu hoch ansetzten. Eine vollständige qualifizierte Überprüfung durch eine neutrale nicht durch Interessenkonflikte belastete Stelle, wie die Deutsche Aktuarvereinigung oder BaFin, wird es wohl auch für eine erwartete Nachbesserung kaum geben.

 

Rund 10 Prozent zu hohe Lebenserwartung

Der Hersteller dieser „Richttafeln“ – ein Privatunternehmen – räumte am 25.09.2018 „inkonsistente Datengrundlagen“ als Fehlerursache ein. Die verbesserte Version mit nach unten korrigierten Lebenserwartungen hat am Ende der Bundesfinanzminister (BMF) am 19.10.2018 als anwendbares Verfahren zur Abbildung der Pensionsrückstellungen „anerkannt“.

Für Kunden der Lebensversicherung (LV) bedeutet eine überhöhte Lebenserwartung zu hohe Prämien beziehungsweise zu geringe Renten bei der Kalkulation.

 

Warum entscheidet ein Privatunternehmen über aktuarielle Sterbetafeln?

Zur Vermeidung von Interessenkonflikten müsste die Deutsche Aktuarvereinigung (DAV) als anerkannte qualifizierte Berufsvereinigung der Versicherungsmathematiker solche Tafeln ausarbeiten; wie es beispielsweise in England und weltweit erfolgt, und auch in Deutschland, wenn es um Wahrscheinlichkeiten von Invalidität, Sterblichkeit und Lebenserwartung inklusive für Pensionskassen und Entgeltumwandlung in Lebensversicherungen geht, mit Ausnahme eben der fraglichen „Richttafeln“.

Schließlich werden unter dem Dach der DAV sonst auch biometrische Berechnungsgrundlagen in qualitativ hochwertig besetzten Arbeitsgruppen erarbeitet, was bereits eine intensive Prüfung sicherstellt. Sodann aber werden diese Ausarbeitungen noch durch die entsprechende Fachgruppe geprüft, bevor die Ergebnisse mit allen Statistiken und Herleitungen auch noch für alle Mitglieder zur Diskussion gestellt werden. Deren Rückmeldungen werden dann sorgfältig erwogen und fließen in die Endfassung ein, bevor diese vom Vorstand der DAV verabschiedet wird.

Es ist offensichtlich, dass ein solches Verfahren für die Erstellung biometrischer Berechnungsgrundlagen eine weit bessere Qualität und Akzeptanz sicherstellen kann, als wenn nur irgendein Privatunternehmen diese erstellt.

Warum die DAV sich bei der Politik wie etwa beim Finanzministerium nicht Gehör verschafft, damit sie statt eines Privatunternehmens als die richtige Institution anerkannt wird, die Sterbetafeln und übrige Berechnungsgrundlagen für alle Bereiche der bAV erstellt, ist nicht nachvollziehbar. Der Einfluss der Privatwirtschaft wird ja nicht unangemessen bis in den Vorstand der DAV gehen, mehr als vielleicht nur ein klein wenig.

 

Verdacht fehlender Eignung oder fehlenden Risikomanagements?

Die Standesregeln der DAV gebieten: „Aktuare üben ihre Tätigkeit fachkundig, redlich und sorgfältig aus“. Die §§ 91 f. Aktiengesetz (AktG) gebieten ein Risikomanagement zu betreiben, damit derartige Fehler vermieden werden – was auch eine Tätigkeit ohne Interessenkollisionen beinhaltet.

Dies gilt auch für Arbeitgeber mit oft hohen Pensionsrückstellungen bis zu mehreren Milliarden Euro – diese können sich nicht schlicht ohne Prüfung darauf berufen, dass sie die „Richttafeln“ als vorgeschrieben halten. Denn dies ist keinesfalls der Fall – vielmehr handelt es sich nur um eines von potentiell anderen auch geeigneten Verfahren, die ebenso gut oder beim betreffenden Arbeitgeber sogar besser verwendbar sind.

 

Fragliche Eignung von Richttafeln?

Der Wissenschaftler Harald Jaeger („Kritik der Richttafeln III“) schrieb zur Modellierung:

„Anhand der Daten des Verbandes der Rentenversicherungsträger werden eigene rohe Häufigkeiten abgeleitet. Daran lässt sich erkennen, dass die Sterblichkeit der Invaliden und die Invalidisierungswahrscheinlichkeiten von Heubeck so “projiziert” wurden, damit das Modell der Richttafeln angewendet werden kann; das Modell wurde also nicht an die Daten, sondern die Daten an das Modell angepasst.“

 

Überschuldung und Insolvenz durch Fehlkalkulationen?

Der BMF prüft die Richttafeln irgendwie, denn zu hohe Pensionsrückstellungen vermindern die Steuereinnahmen. Müssen Unternehmen auch Handelsbilanzen erstellen, kann der Ansatz zu hoher Pensionsrückstellungen noch rascher zur scheinbaren Überschuldung und vermeintlicher Insolvenzantragspflicht führen und bereits vorher die Bonität beeinträchtigen. Wenn Wirtschaftsprüfer und Aktuare die Fehler in Richttafeln erkennen, folgt daraus eine Pflicht zur späteren Bilanzberichtigung – der Zusatzaufwand ist wegen gesetzlicher strafbewehrter Fristen unvermeidbar, und schädigt betroffene Unternehmen.

Vorstände müssen sich zudem fragen lassen, warum sie ungeprüft die „Richttafeln“ verwenden, wenn diese zwar nicht „falsch“ sind, aber bei genauerem Hinsehen auch günstigere Tafeln und Methoden noch als versicherungsmathematisch anerkannt gelten können, selbst wenn sie dazu erst noch zu ermitteln wären.

 

Privatwirtschaftliches Monopol innerhalb der DAV?

Es gibt also auch die Möglichkeit, für Einzelne, auch seitens Wettbewerbern im Übrigen, unabhängig nach Fehlern zu suchen und Kritik zu üben, und eigene Tafeln zu entwickeln. Die DAV selbst kommentiert die Richttafeln offiziell selbst in keiner Weise. Indes kann befürchtet werden, dass die mehrere hundert Mitglieder des Instituts der Versicherungsmathematischen Sachverständigen (IVS), eines Zweigvereins innerhalb der DAV, die in der bAV tätig sind, womöglich sogar standesrechtlich belangt werden, wenn sie die Heubeck-Richttafeln in Frage stellen oder andere verwenden.

 

Grundsätzlich kommt jedes anerkannte versicherungsmathematische Verfahren in Frage

Wenn das BMF eine Richttafel der Heubeck AG gemäß § 6a III 3 EStG anerkennt, so sind Richttafeln anderer Anbieter damit nicht ausgeschlossen, und könnten ebenfalls generell vom BMF anerkannt werden. Jedes Unternehmen könnte als sicherstem Weg dazu sogar vorab eine verbindliche Auskunft beantragen, § 89 II AO. Im Einzelfall kann die Frage, ob eine anerkannte versicherungsmathematische Methode verwendet wurde, später auch noch mit dem Finanzamt oder über das Finanzgericht geklärt werden.

Ein auf anerkannten versicherungsmathematischen Methoden beruhendes Verfahren muss indes kein irgendwie geartetes Anerkennungsverfahren durchlaufen, auch nicht beim BMF. Letztlich liegt es in der Verantwortung des einzelnen qualifizierten Aktuars – auch gerne eines Steuerberaters oder Rechtsanwalts/Arbeitsrechtlers mit ausreichend mathematisch-statistischen Grundkenntnissen – dass er sich im Rahmen anzuerkennender Methoden bewegt und sich später objektiv nichts anderes ergibt. Wenn er will, kann er sich auch Aktuar nennen, denn die Bezeichnung ist nicht geschützt.

 

Keine Pflicht zur Vorlage von Pensionsgutachten – aber Aufklärungspflicht des StB/WP

Der Steuerberater (StB) und Wirtschaftsprüfer (WP) hat als Deklarationsberater seine Unternehmer-Mandanten über alternative Gestaltungen aufzuklären, beispielsweise dass gesetzlich kein „Pensionsgutachten“ zur Anerkennung des (Steuer-)Bilanzansatzes erforderlich ist – als Hinweispflicht (vgl. OLG Köln, Urteil vom 12.04.2017, Az. 16 U 94/15). Der Ansatz sogenannter Fortführungswerte kommt jedoch nicht mehr in Frage, wenn ein Insolvenzgrund besteht (BGH, Urteil vom 26.01.2017, Az. IX ZR 285/14). Zentral ist bei der Deklaration, ob die „Heubeck-Werte“ nicht höher als unbedingt erforderlich sind, etwa durch Einrechnung eines in keiner Weise bereits gewissen „Trends“ steigender Lebenserwartung?

Schließlich wird bei der steuerlichen Bewertung von Leibrenten auch kein Trend zu längerer Lebenserwartung für künftige Jahrzehnte eingerechnet, so wenig wie bei den Alterungsrückstellungen der Privaten Krankenversicherung, oder sogar noch bei den Richttafeln von Heubeck vor 2005, und trotzdem sind es anerkannte versicherungsmathematische Verfahren.

 

Bilanzgestaltung durch alternativen Ansatz der Höhe von Pensionsrückstellungen

Für viele Arbeitgeber ergeben sich seit mehr als 10 Jahren, durch den „Übergang zu Generationentafeln mit einem hochgerechneten Trend zu längeren Lebenserwartungen“ höhere Rückstellungen – bis hin zu unnötiger Überhöhung. In der privaten Krankenversicherung (PKV) wird ein „Trend“ erst dann angesetzt, wenn er in der Realität eingetreten ist – so hat auch der BGH das Verlangen eines Klägers nach Einrechnung eines solchen Trends als nicht vereinbart zurückgewiesen (BGH, Urteil vom 22.09.2004, Az. IV ZR 97/03) – auch mit dem Hinweis, dass ja dann von Beginn an dafür höhere Prämien verlangt werden müssten.

Ohne „Trend“ rechnet auch der BMF bei lebenslangen Nutzungen nach § 14 Bewertungsgesetz (BMF-Schreiben vom 04.11.2016, Az. IV C 7 – S 3104/09/10001).

Niedrigere Rückstellungen für Pensionsverpflichtungen lassen sich aus der jeweils aktuellen Sterbetafel des Statistischen Bundesamtes ableiten, indem diese auf die besonderen Verhältnisse der Arbeitnehmer angepasst werden. Niedrigere Rückstellungen für Pensionsverpflichtungen nur in der (Handels-) Bilanz verbessern die Bonität und vermeiden potentiell unnötig verfrühte Sanierungen oder Insolvenzen.

 

von Dr. Johannes Fiala und Dipl.-Math. Peter A. Schramm

mit freundlicher Genehmigung von

www.experten.de (veröffentlicht am 11.12.2018)

Link: https://www.experten.de/2018/12/11/wie-das-vertrauen-in-die-bav-zerstoert-werden-kann/

und

www.moebelspediteuer.de (Veröffentlicht in Ausgabe 2/2019, Seite 36 + 37 unter der Überschrift: Betriebliche Altersvorsorge – wann Arbeitgeber haften)

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Über den Autor

Dr. Johannes Fiala Dr. Johannes Fiala
PhD, MBA, MM

Dr. Johannes Fiala ist seit mehr als 25 Jahren als Jurist und Rechts­anwalt mit eigener Kanzlei in München tätig. Er beschäftigt sich unter anderem intensiv mit den Themen Immobilien­wirtschaft, Finanz­recht sowie Steuer- und Versicherungs­recht. Die zahl­reichen Stationen seines beruf­lichen Werde­gangs ermöglichen es ihm, für seine Mandanten ganz­heitlich beratend und im Streit­fall juristisch tätig zu werden.
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