Arbeitgeber zahlen oft doppelt für bAV

    Das Landesarbeitsgerichts (LAG) München hat entschieden, dass die Verrechnung
    der Abschlusskosten in den ersten Jahren – insbesondere durch Zillmerung – in
    der betrieblichen Altersversorgung (bAV) mit Entgeltumwandlung unzulässig ist.

    In der Begründung seines Urteils
    hat das LAG München festgehalten,
    dass nun auch solche
    Vereinbarungen nichtig sind, die vorsehen,
    dass die Abschlusskosten in der bAV
    in den ersten Jahren verrechnet werden
    können – selbst wenn der Arbeitnehmer
    vorher über die Abschlusskostenverrechung
    ausdrücklich aufgeklärt wurde. In
    seinen Gründen geht das LAG darüber
    hinaus davon aus, dass auch andere Formen
    der Abschlusskostenverrechung –
    zum Beispiel über die ersten fünf Jahre –
    aufgrund ihre zillmerähnlichen Wirkung
    ebenso unzulässig sind.
    Der vom LAG München entschiedene
    Fall: Eine Arbeitnehmerin hatte 35 Monate
    auf einen Teil ihres Gehaltes verzichtet.
    178 Euro monatlich flossen über eine
    überbetriebliche Versorgungskasse in eine
    Lebensversicherung.
    Als die Mitarbeiterin beim Arbeitgeber
    ausschied, hatte sie insgesamt 6.230 Euro
    an Gehalt in eine betriebliche Altersversorgung
    (bAV) umgewandelt, wovon aber
    lediglich noch 639 Euro als Versicherungs(
    rück-)kaufswert vorhanden
    waren. Die Mitarbeiterin musste also feststellen,
    dass ihr rund 90 Prozent des umgewandelten
    Gehalts fehlten. Letztlich
    handelt es sich hier um einen absolut typischen
    Fall, der in der Versicherungsbranche
    als normal angesehen wird.

    Aufklärung durch den Arbeitgeber
    unerheblichr

    In dem geschilderten Fall war zwischen
    den Parteien strittig, ob eine hinreichende
    Aufklärung der Arbeitnehmerin darüber,
    dass es bei Vertragsbeendigung in den ersten
    Jahren zu erheblichen Verlusten kommen
    kann, erfolgt war. Die Vorinstanz
    hatte eine solche in angreifbarer Weise
    angenommen. Jedenfalls sei die Mitarbeiterin
    in Versicherungsfragen „nicht völlig
    unerfahren“, da sie bereits vorher Lebensversicherungen
    gekündigt habe. Mit ihr
    hatte der Versicherungsmakler ausführlich
    gesprochen. Unklar blieb jedoch, ob
    der Mitarbeiterin, wie vom Arbeitgeber
    behauptet, auch Unterlagen übergeben
    worden waren, aus welchen der geringe
    Rückkaufswert in Höhe von 639 Euro bei
    Kündigung im dritten laufenden Jahr der
    Höhe nach erkennbar war. Der Arbeitgeber
    meinte – noch rechtsirrig –, dass die
    Mitarbeiterin sich allenfalls an die Versicherung
    wenden könne.
    Letzlich ließ das Landesarbeitsgericht
    die Frage der Aufklärung der Arbeitnehmerin
    über die Folgen einer vorzeitigen
    Vertragsbeendigung dahinstehen, da die
    Zillmerung im Rahmen der Entgeltumwandlung
    grundsätzlich unzulässig sei.

    Fehlerhafte Formulare und Schulungen:
    Arbeitgeber darf „doppelt zahlen“

    Bereits das Arbeitsgericht Stuttgart (Urteil
    vom 17. Januar 2005, Az. 19 Ca 3152/04)
    hatte einen Arbeitgeber zum Schadensersatz
    verurteilt. Auch dieser Arbeitgeber
    musste seinen ausgeschiedenen ehemaligen
    Personalleiter, also einem Fachmann
    im eigenen Hause, wegen der Zillmerungsfolgen
    entschädigen. Dies nach
    Meinung des Arbeitsgerichts schon alleine
    aus dem Grunde, weil der Mitarbeiter
    nicht richtig aufgeklärt wurde.
    Zahlreiche Versicherer und andere Träger
    betrieblicher Versorgungswerke gingen
    daraufhin davon aus, dass es ausreichend
    sei, den Arbeitnehmer über die „Zillmerung“
    aufzuklären. Mehr noch: Das Urteil
    wurde oft fälschlich so interpretiert, dass
    es die Zulässigkeit der Zillmerung nach
    Aufklärung geradezu bestätige.
    Zillmerung bedeutet, dass „Versicherungs-
    und Abschlusskosten, sämtliche
    Vertriebs- und Akquisitionskosten“ mit
    den ersten umgewandelten Lohnraten bezahlt
    werden. Erst danach baut sich ein
    „Deckungskapital für die Altersversorgung“
    auf. Im vorliegenden Fall wäre in
    den ersten 20 Jahren nicht einmal die
    Summe der bezahlten Beiträge als Rückkaufswert
    vorhanden gewesen – mal ganz
    abgesehen von der Verzinsung.
    Seit Jahren ist aus der Fachpresse bekannt,
    dass der Arbeitgeber auch dann
    weiter haftet, also bei Entgeltumwandlung
    „doppelt zahlen“ darf, selbst wenn
    der Mitarbeiter aufgeklärt wurde. Denn
    den Arbeitgeber trifft eine verschuldensunabhängige
    Treuepflicht gegenüber seinen
    Mitarbeitern.

    LAG: Arbeitgeber haftet für Zillmerung

    Das Landesarbeitsgericht München verurteilte
    nun in seiner Entscheidung vom
    15. März 2007 (Az. 4 Sa 1152106) den
    Arbeitgeber, die nach der Gehaltsumwandlung
    fehlenden rund 90 Prozent des
    Gehaltes abermals – diesmal an die betroffene
    Mitarbeiterin und nicht an den
    Träger der betrieblichen Versorgung – zu
    bezahlen. Juristisch wurde diese Entgeltumwandlung
    als rechtsunwirksam erkannt.
    Das Gericht stützte sein Urteil auf
    vier rechtliche Gründe – bereits einer hätte
    indes ausgereicht.

    Verstoß gegen das gesetzliche Gebot
    der Wertgleichheit

    Nach Paragraf 1 II Nr.3 BetrAVG muss der
    Arbeitgeber gesetzlich zwingend dafür sorgen,
    dass der Arbeitnehmer eine zu jedem
    Zeitpunkt „wertgleiche Anwartschaft“ erhält.
    Insbesondere gezillmerte Versicherungsverträge
    genügen diesem Erfordernis
    nicht. Kalkulierte Kosten für das Todesfallrisiko
    fallen hierbei regelmäßig nicht ins
    Gewicht. Mögliche höhere Kosten für Berufsunfähigkeitsrisiko
    fielen im konkreten
    Fall nicht an. Damit verstößt die Entgeltumwandlung
    gegen das gesetzliche Gebot
    der Wertgleichheit, und ist damit nichtig
    (Paragraf 134 BGB).
    Davon betroffen sind übrigens alle
    Durchführungswege der betrieblichen
    Altersversorgung: Das LAG-Urteil stellt
    klar, dass der Arbeitgeber als Vertragspartner
    seines Mitarbeiters nicht etwa nur die
    „schlichte Weiterleitung“ des erdienten
    anteiligen Lohnes im Rahmen der Entgeltumwandlung
    „als Bote“ schuldet.
    Betroffen sind also Direktversicherung,
    Pensionskassen, Pensionsfonds, sowie
    Unterstützungskassen. Bei einzelnen Anbietern
    beziehungsweise Durchführungswegen
    gibt es offenbar ausschließlich
    gezillmerte Verträge.

    Verstoß gegen das Verbot unangemessener
    Benachteiligung

    Die Entgeltumwandlung mit Zillmerung
    – und ähnlichen Methoden der Abschlusskostenverrechnung
    in den ersten
    Jahren – benachteiligt laut Paragraf 307
    I S.1, II Nr.1 BGB Arbeitnehmer unangemessen
    und ist mit wesentlichen Grundgedanken
    der gesetzlichen Regelung nicht
    vereinbar. Dies folgt der ständigen Rechtsprechung
    des Bundesarbeitsgerichts über
    „entgegen Treu und Glauben unangemessene
    Benachteiligung“ (Paragraf 307
    I S.1 BGB), da missbräuchlich eigene Interessen
    des Arbeitgebers auf Kosten der
    Mitarbeiter berührt sind.
    Der Arbeitgeber haftet laut Paragraf
    1 II Nr.3 BetrAVG gesetzlich für die Erfüllung
    der Entgeltumwandlung. Den
    Arbeitgeber trifft die verschuldensunabhängige
    Ausfallhaftung, vor allem wenn
    durch die Abschlusskostenverrechnung
    das Deckungskapital „essenziell gemindert“
    ist. Auch diese Benachteiligung des
    Arbeitnehmers führt zur Unwirksamkeit
    der Entgeltumwandlung.

    Verstoß gegen die Portabilität

    Portabilität bedeutet nach Paragraf 4 BetrAVG,
    dass der Arbeitnehmer seine betriebliche
    Altersversorgung vom bisherigen
    zum neuen Arbeitgeber mitnehmen
    kann. Der Gesetzgeber hat klargestellt,
    dass Arbeitnehmer den „aktuellen übertragungswert“
    ihrer betrieblichen Altersversorgung
    beim Arbeitgeberwechsel
    „mitnehmen“ können. Eine Portabilität
    ist jedoch faktisch nicht möglich, wenn
    der (Rückkaufs-)Wert durch die Zillmerung
    gegen Null tendiert. Bei jedem neuen
    Arbeitgeber müsste die betroffene Mitarbeiterin
    „praktisch bei Null anfangen“.
    Für den Arbeitgeber bedeutet dies spiegelb
    bildlich, dass die Vermittlung derartiger
    betrieblicher Altersversorgungsverträge
    gegen die ständige Rechtsprechung des
    Bundesgerichtshofes zur „anleger- und
    objektgerechten Beratung“ verstößt:
    Denn im Schnitt sind Arbeitnehmer 4,9
    Jahre in einem Betrieb – Vertragswerke
    mit 30 bis über 40 Jahren Laufzeit und
    entsprechend hohen Provisionen/Abschlusskosten
    sind für die Arbeitgeber ungeeignet.

    Verstoß gegen Grundsätze des BGH
    und des Verfassungsgerichts

    Sowohl das Bundesverfassungsgericht
    (Urteile vom 26. Juli 2005 und 15. Februar
    2006) als auch der Bundesgerichtshof
    (BGH, Urteile vom 12. Oktober 2005)
    haben entschieden, dass die Zillmerung
    gegen das Vertragsziel einer Vermögensbildung
    verstößt. Damit kann es nicht vereinbart
    werden, wenn der Rückkaufswert
    bei Vertragsauflösung in den ersten Jahren
    unverhältnismäßig gering ist oder sogar
    gegen Null tendiert. Dies gilt erst recht bei
    Entgeltumwandlungsverträgen.
    Das Urteil hat Rechtsanwalt Thomas
    Keppel von der Kanzlei Dr. Johannes Fiala
    erstritten. Die Urteilsgründe stehen im
    Einklang mit obergerichtlicher Rechtsprechung
    und herrschender Meinung in der
    Fachliteratur. Das LAG hat nur für den im
    Prozess voll unterlegenen Arbeitgeber den
    Rechtsbehelf der Revision zum Bundesarbeitsgericht
    zugelassen.

    Fast alle Entgeltumwandlungsvereinbarungen
    betroffen und unwirksam

    Das LAG München führt in seinen Urteilsgründen
    aus, dass neben der Zillmerung
    auch andere Arten der Abschlusskostenverrechnung
    – zum Beispiel über die ersten
    fünf Jahre – aus den gleichen Gründen unwirksam
    sind. Damit sind über 90 Prozent
    der Entgeltumwandlungen als nichtig anzusehen
    – die Arbeitnehmer können danach
    von ihren Arbeitgebern – auch
    früheren – die Rückabwicklung verlangen.
    Die meisten Arbeitnehmer wissen infolge
    der Intransparenz vieler Entgeltumwandlungen
    nicht, auf welche Weise die
    Abschlusskosten und ob weitere Aufwendungen
    zum Beispiel für Risikoschutz verrechnet
    wurden. Im Zweifel wird der Fachanwalt
    daher die Verträge zunächst versicherungsmathematisch
    begutachten lassen.
    Insgesamt werden die möglichen Rückforderungen
    zuzüglich Zinsen und nachzuzahlenden
    Sozialversicherungsbeiträgen
    auf heute bereits rund 65 Milliarden Euro
    geschätzt – ein Haftungspotenzial, das sich
    auch künftig rasch erhöhen wird.

    Handlungsoption für Vermittler: in die
    Offensive gehen

    Die schlechteste Idee für betroffene Vermittler
    solcher Entgeltumwandlungsprodukte
    ist, abzuwarten, bis der Arbeitgeber
    sie in Regress nimmt. Dazu muss der Arbeitgeber
    nicht erst seinerseits eine Klage
    seiner Arbeitnehmer abwarten und riskieren,
    dass der Vermittler inzwischen selbst
    insolvent ist, der Arbeitgeber dann womöglich
    durch die Lohnnachzahlungen
    sowie nachzuzahlende Lohnsteuer und
    Sozialversicherungsbeiträge in der Folge
    auch. Der Arbeitgeber kann sich ein Zuwarten
    bei von ihm festgestellter Unwirksamkeit
    der Entgeltumwandlung nicht
    leisten, da er sich sonst auch noch wegen
    Steuerhinterziehung und Nichtabführung
    von Sozialversicherungsbeiträgen strafbar
    macht – er wird deshalb am besten zum
    Mittel der Selbstanzeige greifen.
    Dem Vermittler ist daher anzuraten,
    in die Offensive zu gehen. Mithilfe von
    Rechtsanwalt, Steuerberater und versicherungsmathematischem
    Sachverständigen
    sind die verkauften Modelle auf ihre Unwirksamkeit
    und Fehlbeträge zu prüfen.
    Auf Aussagen der Produktgeber – zum Beispiel:
    „Es wird ja gar nicht gezillmert!” –
    darf er sich nicht verlassen. Dann sollte
    der Vermittler auf die Produktgeber zugehen,
    damit diese sich für die betreffenden
    Verträge zur Zahlung von Schadenersatz
    oder zur Rückabwicklung verpflichten.
    Derzeit ist die Chance noch groß, dass
    Produktgeber allein aus wirtschaftlichen
    Gründen – ohne Anerkennung eines
    Rechtsanspruchs – leisten und keinen
    Rechtsstreit mit der Gefahr weiterer Urteile
    riskieren. Später ist dann zum Beispiel
    die eine oder andere Unterstützungskasse
    vielleicht selbst insolvent und der Vermittler
    zahlt alleine.
    Mit diesem Rückhalt kann dann mit
    Arbeitgebern ein Konzept erarbeitet werden,
    um die Verträge zu sanieren. Möglicherweise
    kann der Vermittler so zumindest
    der Insolvenz entgehen, womöglich
    auch einen Teil der für seine Arbeit erhaltenen
    Provision beziehungsweise Courtage
    behalten und günstigstenfalls sogar
    zusammen mit seinem Kunden eine zukunftsweisende
    bAV gestalten. An der Honorarvermittlung
    von abschlusskostenfreien
    Verträgen wird dabei letztlich kein
    Weg vorbeiführen.

    (versicherungsmagazin 6/2007, 46)

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    Arbeitgeber zahlen oft doppelt für bAV

    Über den Autor

    Dr. Johannes Fiala PhD, MBA, MM

    Dr. Johannes Fiala ist seit mehr als 25 Jahren als Jurist und Rechts­anwalt mit eigener Kanzlei in München tätig. Er beschäftigt sich unter anderem intensiv mit den Themen Immobilien­wirtschaft, Finanz­recht sowie Steuer- und Versicherungs­recht. Die zahl­reichen Stationen seines beruf­lichen Werde­gangs ermöglichen es ihm, für seine Mandanten ganz­heitlich beratend und im Streit­fall juristisch tätig zu werden.
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