Basiswissen über die Vermögensschaden – Haftpflichtversicherung des StB/WP

Die Deckungslücke der „wissentlichen Pflichtverletzung“

 

Schätzungsweise jeder fünfte (1) Haftungsfall endet mit der Feststellung, dass der Steuerberater/ Wirtschaftsprüfer (StB/ WP) für den einschlägigen Schaden gar keinen oder einen der Höhe nach unzureichenden Versicherungsschutz in der Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung (VSH) besitzt.

Deutsche Versicherer bieten die gesetzliche Mindestdeckung regelmäßig nur mit einer gravierenden Deckungslücke an, nämlich dem Ausschluss der wissentlichen Pflichtverletzung. Dabei steht nicht die gesetzliche Zulässigkeit(2) in Frage. Vielmehr wird den meisten Ehrenberuflern als Versicherungsnehmern (VN) die Wirkungsweise und Bedeutung erst im Schadensfalle bewusst – nicht selten liefert der Berufsträger dem Versicherer noch die „Munition“, um eine Deckung komplett zu versagen.

 

Übliche Klausel in den Versicherungsbedingungen

Typischerweise lautet die einschlägige Klausel:

„Der Versicherungsschutz bezieht sich nicht auf Haftpflichtansprüche“ (5)wegen Schadenstiftung durch wissentliches Abweichen von Gesetz, Vorschrift, Anweisung oder Bedingung des Machtgebers (Berechtigten) oder durch sonstige wissentliche Pflichtverletzung.

Dieser Risikoausschluss (3) legt es dem StB/WP nahe, entsprechend den jahrelangen Empfehlungen des DStV ein Qualitätsmanagement mit Zertifizierung nach DIN-EN-ISO 9001:2000 zu betreiben. Damit kann das Risiko dieser Deckungslücke faktisch gemindert werden. Daneben bietet es sich an, zumindest jenen Versicherungsschutz, der über die gesetzliche Mindestversicherung hinausgeht, bei ausländischen Gesellschaften zu beschaffen. Die Möglichkeiten des Binnenmarktes und das Kartellverfahren gegen die Versicherungsstelle Wiesbaden rücken ausländische Anbieter ebenfalls in den Focus.

 

Vorsatz in Abgrenzung zum wissentlichen Pflichtverstoß

Nach der gesetzlichen Regel der § 152 VVG a.F., § 81 I VVG haftet kein Versicherer für (z.B. bedingten) Vorsatz. Wobei sich der Vorsatz dogmatisch auch auf den schädigenden Erfolg beziehen muss. Bei der „wissentlichen Pflichtverletzung“ gibt es zwei Voraussetzungen:

a) die positive Kenntnis der versicherten Person (VP) von der Pflichtverletzung (also dem Abweichen von z.B. gesetzlichen Normen, Auftrag oder Weisung des Mandanten) und

b) das Bewusstsein, pflichtwidrig zu handeln. Es kommt dabei nicht auf die schädigende Handlung an oder das pflichtwidrige Unterlassen, sondern als Anknüpfungspunkt allein auf die konkrete Pflichtverletzung(5).

Der Versicherungsnehmer kann sich also z. B. nicht damit entschuldigen, dass ihm die Pflicht zwar „eigentlich“ bekannt war, aber ein Schaden ausgeschlossen oder sehr unwahrscheinlich erschien. Der Bundesgerichtshof(6) (BGH) beschreibt die wissentliche Pflichtverletzung als subjektiven Risikoausschluss, der in zweifacher Hinsicht von der dispositiven Vorschrift des § 152 VVG (a.F., heute § 81 VVG) abweicht:

„Zum einen stellt § AVB zugunsten des Versicherungsnehmers nur auf näher beschriebene Verstöße gegen konkrete Berufspflichten ab und lässt insoweit nicht bedingten Vorsatz genügen, sondern fordert direkten Vorsatz. Zum anderen muss der Versicherungsnehmer nicht den schädigenden Erfolg als möglich vorhergesehen und billigend in Kauf genommen haben“(7).

 

Positive Kenntnis von der Pflichtverletzung

Es genügt die subjektive Kenntnis der verletzten Pflicht(en), also ein  „Wissen „ ohne ein  „Wollen „: Dies kann der Versicherer (VR) leichter beweisen als einen Vorsatz. Entscheidend ist im Schadensfalle die Prüfung, ob ein Irrtum über tatsächliche Umstände und/oder ein Rechtsirrtum hinsichtlich der verletzten Pflicht vorlag – denn nur die Unwissenheit aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls beseitigt das Bewusstsein (8). Es muss im Grundsatz dem Versicherer gelingen, nachzuweisen, dass der VN einerseits „Pflichtbewusstsein“ und andererseits „Pflichtverletzungsbewusstsein“ hatte9. „Je gravierender eine Pflichtverletzung ist, desto schwieriger wird es also – nachvollziehbar darzulegen, dass ihm die Pflicht nicht bewusst war.“ (10)

 

Darlegungs- und Beweispflichten

Trotz der Beweislast beim VR (11), und trotz der fehlenden Möglichkeit eines Anscheinsbeweises (12) kann es auf entscheidende Kleinigkeiten in den Akten des Berufsträgers ankommen: Bereits unbeantwortete „Sachstandsanfragen“ eines Mandanten könnten Anlass für eine materielle Prüfung der Sach- und Rechtslage gegeben haben. Beim Beweis des „Wissens“ um den Pflichtverstoß, also einer „inneren Tatsache“, wird der VR sich auf Hilfstatsachen als Indizien stützen. Art und Schwere des Pflichtverstoßes, allgemein bekannte Vorschriften und ungeschriebene Regeln können zum Vorwurf der Verletzung von „jedermann“ bekannten Kernpflichten („Primitivwissen“(13)) führen.

Hierzu gehört insbesondere die ständige Rechtsprechung des BGH, auf die Gefahren unbestimmter Rechtsbegriffe hinzuweisen und die Einholung einer verbindlichen Auskunft dem Mandanten zu empfehlen (14).

 

Beispiele wissentlicher Pflichtverletzungen

Dass der StB/WP recht häufig im „unversicherten Bereich“ arbeitet, zeigen verschiedene Urteile. Der Deckungsausschluss wegen des Wissens „um die Unvereinbarkeit mit einer sachgerechten Berufsausübung“ (15) kommt vor allem beim Dauermandat durch unterlassene Hinweise im Rahmen einer Rundumbetreuung zum Tragen: „Ein objektiver Verstoß gegen fundamentale Grundregeln der beruflichen Tätigkeit lässt auf wissentliches Handeln schließen“ (16).

 

Arbeitsüberlastung

Ein Steuerberater übernimmt die Erstellung eines Jahresabschlusses trotz Arbeitsüberlastung. Diese Erklärung des Beraters kostet ihn im Schadensfalle seine VSH-Deckung (17). „Was menschlich als Erklärung verständlich sein mag, kann versicherungsrechtlich tödlich sein.“ Beim „Stahl-Strecken-Händler- Fall“ platzt ein Scheck, nachdem der Jahresabschluss nicht rechtzeitig zur Untermauerung der Kreditwürdigkeit bei der Hausbank vorlag – den zweistelligen Millionenschaden hat die betroffene Kanzlei aus Norddeutschland nicht überlebt.

 

Fehlende Mitarbeiterüberwachung

In die gleiche Richtung tendieren Praxen, die die Entwürfe der Mitarbeiter nicht kontrollieren – insbesondere in „Zweigstellen“ ohne Berufsträger vor Ort. Prekär wird die Situation auch, wenn ehemalige Mitarbeiter fehlende Arbeitsanweisungen im Kanzleimanagement beim VR in der Schadensbearbeitung aktenkundig machen.

 

Vermögensverwalter ohne Liquiditätsplanung

Nicht nur Insolvenzverwalter müssen einen Liquiditätsplan erstellen, um dem Vorwurf einer wissentlichen Pflichtverletzung zu entgehen (19). Das OLG Karlsruhe argumentiert kurzerhand: „In derartigen Fällen lässt der objektive Verstoß gegen eine fundamentale Grundregel der beruflichen Tätigkeit der versicherten Person auf ein wissentliches Handeln schließen (OLG Köln, RuS 1997, 496)“, was auch bei dem Plan der Überführung in eine Auffanggesellschaft zu gelten hat. ähnliche Konstellationen bieten auch vereinbare Tätigkeiten als Nachlassverwalter, Testamentsvollstrecker, Betreuer, Vormund und Pfleger. Auf diesem Felde erwarten den Berufsträger aber auch noch ganz andere Deckungslücken.

 

Kapitalfreigabe durch Treuhänder ohne Banksicherheiten

Ein Steuerberater fungierte als Treuhänder für Kapitalanleger. Dabei war er von den vertraglichen Bedingungen abgewichen – wohl auf Bitte des Auftraggebers, die er als „Wechsel der Anlagestrategie“ für in Ordnung befunden hatte (20). Damit war dem Betroffenen klar, „dass die [neue] Sicherheit nicht der vertraglich vereinbarten entsprach.

„Er wusste jedenfalls genau, dass er nach dem Vertrag mit den Anlegern auf Grund einer solchen Sicherheit keine Freigabe der Anlagegelder erklären durfte.„ Wenn er gleichwohl die Anlagebeträge frei gegeben hat, „hat er sich bewusst über seine Treuhandpflichten hinweggesetzt.“ Die eigentliche Delikatesse des Falls liegt jedoch darin, dass der StB sich als Zeuge „um Kopf und Kragen geredet“ hatte – das OLG Köln bestätigte dem VR die Leistungsfreiheit wegen wissentlichen Pflichtverstoßes. Menschlich verständlich, wenn der Versicherungsnehmer dem VR eine „Entschuldigung“ für seinen Pflichtverstoß geben will. Doch nur wenn er den Pflichtverstoß aus unerklärlichen Gründen nicht bemerkt hat, gibt er dem VR keine leichte Handhabe, den Versicherungsschutz zu verweigern – da ja der VR den wissentlichen Pflichtverstoß beweisen muss.

 

Kapitalanlageberatung mit verheimlichter Provisionsaussicht

In dieser nicht ganz untypischen Konstellation (21), war dem Mandanten eine Provisionsaussicht verheimlicht worden – später verlangt der Mandant Schadensersatz. Der BGH (22) gab der Vorinstanz auf (Zurückverweisung), die Kausalität näher zu prüfen, denn es war noch nicht festgestellt worden, ob bei Offenbarung des Provisionsversprechens die Beteiligung des Mandanten an der fraglichen Kapitalanlage unterblieben wäre. Entscheidend ist mithin die Frage, ob der Mandant der Empfehlung bei Kenntnis der ausbedungenen Provision nicht bereit gewesen wäre, zu folgen:

Nur dann wäre der Steuerberater einerseits – auch ohne Beratungsfehler oder unabhängig von ihnen – allein wegen der verheimlichten Provisionsannahme dem Mandanten für einen Verlust der Anlage ersatzpflichtig (23) und andererseits der Tatbestand des Risikoausschlusses des wissentlichen Pflichtverstoßes erfüllt.

 

Auszahlung von Fremdgeld über Anderkonto ohne qualifizierte Prüfung

Eine Selbstverständlichkeit, möchte man meinen, ist die vorherige Prüfung durch einen Ehrenberufler (hier: Notar), ob die Auszahlungsvoraussetzungen vorliegen, bevor über Fremdgeld verfügt wird. Wird nicht einmal eine erfahrene Fachangestellte mit der vorherigen Aktenprüfung beauftragt, handelt es sich um einen wissentlichen Pflichtverstoß (24).

Das Gericht stellt dabei noch fest, dass es sich um einen erfahrenen Notar handelte und: „Die höchstpersönliche Verpflichtung zur Überprüfung der Auszahlungsvoraussetzungen gehört zum Pflichtstoff der Notarausbildung“. Anders läge der Fall nur dann, wenn eine versehentliche Auszahlung von Fremdgeldern auf einem Rechtsirrtum beruht (25).

 

Schaden oft nicht beweisbar

Unabhängig von der Frage des Verschuldens lohnt sich zunächst die genauere Prüfung, ob überhaupt ein Schaden eingetreten ist. Berechnungen und Begründungen zur angeblichen Schadenhöhe erweisen sich bei genauem Hinsehen oft als falsch oder gar abenteuerlich, weil sie grundlegenden finanzmathematischen Methoden widersprechen.

Eine Schadenermittlung wird regelmäßig anhand eines Vermögensvergleichs vorgenommen werden müssen – nicht selten hat sich bei genauer Berechnung das Vermögen des „Geschädigten“ aber sogar trotz Verschuldens des Steuerberaters vermehrt. Kann der „Geschädigte“ den Schaden aber nicht plausibel darlegen und beweisen, so erübrigt sich jede weitere Diskussion über ein Verschulden. Es ist zum Beispiel nicht automatisch so, dass die Zahlung von Steuern immer ein Schaden ist und eine „steuersparende“ Anlage stets das Vermögen erhöht.

 

1 Ehlers, Harald, Notwendige Haftungsprävention für Steuerberater, in: DStR 2008, 578 ff.
2 Vgl. §§ 42 BOStB i.V.m. 53a I Nr.1 DVStB, 4 I Nr.1 WPBHV.
3 OLG Hamm, Urteil vom 22.9.1995 (Az. 20 U 38/95), in: VersR 1996, S. 1006.
4 Vgl. BGH, Urteil vom 17.12.1986 (Az. IV a ZR 166/85), VersR 1987, 174; vom 26.9.1990 (Az. IV ZR 147/89), VersR 1991, 176; vom 20.6.2001 (Az. IV ZR 101/00), VersR 2001, 1103.
5 OLG Karlsruhe, Urteil vom 20.2.2003 (Az. 12 U 202/02), ZfS 2003, 247.
6 BGH Urteil vom 20.6.2001 (Az. IV ZR 101/00).
7 BGH Urteil vom 17.12.1986 (Az. IVa ZR 166/95), in: VersR 1987, 174.
8 OLG Saarbrücken, Urteil vom 8.5.1991 (Az. 5 U 69/90), VersR 1992, 994.
9 Lange, Oliver, a.a.O.
10 Lange, Oliver, a.a.O.
11 BGH, Urteil vom 26.9.1990, in: VersR 1991, 176.
12 BGH, Urteil vom 5.3.1986 (Az. IV a ZR 179/84), in: VersR 1986, 647.
13 OLG Saarbrücken, Urteil vom 8.5.1991 (Az. 5 U 68/90) in: VersR 1992, 994.
14 BGH Urteil vom 15.11.2007 (Az. IX ZR 34/04).  15 Ehlers, Harald, Notwendige Haftungsprävention für Steuerberater, in: DStR 2008, 578 ff.
16 Rehfeldt, Torsten, Vermögensschaden- Haftpflichtversicherung – Auswirkungen einer wissentlichen Pflichtverletzung, in: AssCompact 10/2007, S. 174 f.
17 OLG Düsseldorf, Urteil vom 30.10.1979 (Az. 4 U 82/79), in: VersR 1981, 621.
18 Brieske, Rembert, Die Berufshaftpflichtversicherung, in: AnwBl. 5/1995, S. 225 ff.
19 OLG Karlsruhe, Urteil vom 4.2.2005 (Az. 72 U 227/04), in GI 3/2006, S. 91 ff.
20 OLG Köln, Urteil vom 14.5.2002, a.a.O.
21 Gerlach, Heinz, 20 % der Steuerberater kassieren Provisionen, in: www.DirekterAnlegerschutz.de
22 BGH, Urteil vom 26.9.1990 (Az. IV ZR 147/89), in: NJW-RR 1991, 145 ff.
23 BGH NJW-RR 1987, 1381 = LM § 675 BGB Nr. 127 = VersR 1987, 1095.
24 OLG Hamm, Urteil vom 22.9.1995 (Az. 20 U 30/95), in: VersR 1996, S. 1006; OLG München, Urteil vom 14.12.1999 (Az. 25 U 2854/99), in: GI 8/2001, S. 201 ff.
25 BGH, Urteil vom 5.8.1986 (Az. IVa ZR 179/84), in: VersR 1986, 647 ff.

von Dr. Johannes Fiala und Dipl.-Math. Peter A. Schramm

mit freundlicher Genehmigung von

www.lswb.de (veröffentlicht in LSWB info 5/2008)

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Über den Autor

Dr. Johannes Fiala Dr. Johannes Fiala
PhD, MBA, MM

Dr. Johannes Fiala ist seit mehr als 25 Jahren als Jurist und Rechts­anwalt mit eigener Kanzlei in München tätig. Er beschäftigt sich unter anderem intensiv mit den Themen Immobilien­wirtschaft, Finanz­recht sowie Steuer- und Versicherungs­recht. Die zahl­reichen Stationen seines beruf­lichen Werde­gangs ermöglichen es ihm, für seine Mandanten ganz­heitlich beratend und im Streit­fall juristisch tätig zu werden.
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