Eins zu null gegen die Zillmerung

Von Nikolaus Bora
Veröffentlicht am: 25. Juni 2007
Das Münchener Urteil erhitzt die Gemüter: Die Verbraucherschützer sprechen von einem „Durchbruch”, die Arbeitgeber wollen Rechtssicherheit und vor allem nicht haften, die Versicherer kommentieren zurückhaltend –und die aba will verhindern, dass die bAV in Misskredit gerät. Sicher ist nur: Das Spiel geht in die Verlängerung. Was wird aus der arbeitnehmerfinanzierten betrieblichen Altersversorgung? Sind Verträge mit gezillmerten Tarifen nichtig, wenn die Beiträge durch Entgeltumwandlung finanziert werden? Haften Arbeitgeber, wenn Arbeitnehmer bei vorzeitiger Kündigung nicht einmal die eingezahlten Beiträge zurückbekommen? Verstößt eine Zillmerung gegen den Anspruch auf Portabilität? Diese Fragen werden in der Branche heftig diskutiert, seit das Landesarbeitsgericht München durch ein Aufsehen erregendes Urteil vom 15. März dieses Jahres Entgeltumwandlungsverträge mit gezillmerten Tarifen für ungültig erklärt hat (Aktenzeichen: 4 Sa 1152/06).
Zillmerung verhindert wertgleiche Anwartschaft und verstößt gegen die Portabilität
Eine Zillmerung, so das Gericht, verhindere, dass – wie vorgeschrieben – aus dem umgewandelten Entgelt eine wertgleiche Anwartschaft auf Versorgungsleistungen wird. Außerdem verstoße sie gegen die Portabilität der Betriebsrentenansprüche. Bei diesem vom preußischen Mathematiker August Zillmer 1863 entwickelten Verfahren werden die ersten Prämien der Police für die Provision der Vertreter benutzt. Das Kundenkonto wird sofort mit höchstens vier Prozent der künftigen Prämien belastet. Das führt bei einem Vertrag der betrieblichen Altersversorgung, für den 30 Jahre monatlich 200 Euro umgewandelt werden sollen, zu einem Betrag von etwa 2.800 Euro, der dem Arbeitnehmer „versteckt“ in Rechnung gestellt und durch die ersten Raten beglichen wird. Erst danach erfolgt der Aufbau eines positiven Deckungskapitals. Wegen dieser Zillmerung ist der Rückkaufswert in den ersten Jahren gering.
Mitarbeiterin eines Autohauses klagt erfolgreich
Diese Erfahrung musste auch eine junge Mitarbeiterin eines Autohauses machen. Sie hatte mit ihrem Chef vereinbart, dass mit Wirkung vom März 2002 monatlich 178 Euro ihres Grundgehalts von 2.000 Euro zum Aufbau einer betrieblichen Altersversorgung an eine Unterstützungskasse gezahlt wurden. Die Kasse schloss eine Rückdeckungsversicherung ab. Nach einer Vertragsdauer von 38 Jahren sollte die junge Frau eine garantierte jährliche Rente in Höhe von 5.060 Euro erhalten. Bis Ende April 2005, als die junge Frau aus dem Betrieb ausschied, hatte sie 6.230 Euro ihres Gehalts umgewandelt. Weil Verträge mit Unterstützungskassen noch immer nicht übertragen werden können, empfahl ihr die Kasse, sich den Rückkaufswert der Versicherung in Höhe von 639 Euro auszahlen zu lassen, abzüglich einer Verwaltungsgebühr. Die junge Frau fühlte sich von ihrem Ex-Arbeitgeber übervorteilt. Sie warf ihm vor, er habe sich durch die Wahl eines gezillmerten Vertrags für eine falsche Vertragsform entschieden und verlangte von ihm den Differenzbetrag zwischen ihren eingezahlten Beiträgen und dem Rückkaufswert. Der Arbeitgeber lehnte ab. Sie klagte vor dem Arbeitsgericht – und verlor. In der zweiten Instanz erhielt sie Recht.
Höchst unterschiedliche Reaktionen
Die Reaktionen auf das Münchener Urteil, das über eine ähnliche Entscheidung des Arbeitsgerichts Stuttgart sowie Grundsatzurteile des Bundesgerichtshofs (BGH) und des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Zulässigkeit der Zillmerung hinausgeht, sind höchst unterschiedlich. Der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) sprach von einem „Durchbruch für Arbeitnehmer“. Dessen Chefin Edda Müller forderte die Große Koalition auf, bei Verträgen der betrieblichen Altersversorgung die Zillmerung gesetzlich zu verbieten, denn sie „passt nicht zu der immer wieder beschworenen Flexibilität am Arbeitsplatz“. Abschlusskosten müssten auf die gesamte Laufzeit verteilt werden. „Die Tatsache, dass einige Versorgungswerke seit Langem ohne gezillmerte Tarife auskommen, zeigt, dass eine Vorwegbelastung der ersten Beiträge mit Abschlusskosten entbehrlich ist.“ Der Unterschied zwischen Versorgungswerken und durch Entgeltumwandlung finanzierten Verträgen der betrieblichen Altersversorgung hat sich noch nicht bis zum vzbv herumgesprochen. Die Arbeitgeber wollen Rechtssicherheit und vor allem nicht haften. In einem Brief vom 9. Mai 2007 an mehrere Experten, unter anderem an die ehrenamtlichen Richter beim Bundesarbeitsgericht, schreibt die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände: „Auf Grund dieses Urteils sowie des Urteils des Arbeitsgerichts Stuttgart fehlt für den größten Teil der Entgeltumwandlungsvereinbarungen die notwendige Rechtssicherheit für die Arbeitgeber, was der betrieblichen Altersvorsorge insgesamt schadet. Aus diesem Grund haben wir uns anlässlich der geplanten VVG-Novelle bereits letztes Jahr an das Bundesjustizministerium mit der Bitte gewandt, im Betriebsrentengesetz einen klarstellenden Verweis auf die Regelung des VVG zur Verteilung der Abschlusskosten zu verankern.”
Auch für Versicherer akzeptable Lösung gesucht …
Im Entwurf zur VVG-Novelle ist vorgesehen, dass die Abschluss- und Vertriebskosten wie bei Riester-Produkten auf die ersten fünf Jahre verteilt werden können. Daran werde sich nichts ändern, verlautet aus den zuständigen Ministerien. Eine derartige Regelung ist auch für die Versicherer akzeptabel. Umsonst seien Verträge mit Entgeltumwandlung nicht zu haben, sagt Peter Schwark, Sprecher des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). „Der Gesetzgeber hat ein professionelles Altersvorsorgegeschäft im Blick gehabt, als er den Rechtsanspruch auf Entgeltumwandlung mit dem Auffangangebot der Direktversicherung verbunden hat. Nicht jeder Arbeitgeber kann sein eigenes Versorgungswerk einrichten, und er soll auch nicht mit den Kosten des Rechtsanspruchs belastet werden. Tatsächlich sind über 80 Prozent der Arbeitnehmer, die seit der Riester-Reform einen Gehaltsumwandlungsvertrag abgeschlossen haben, über die professionellen Vertriebe der Versicherer gewonnen worden. Mit dem übertragungsabkommen hat die Versicherungswirtschaft ihr Angebot für mobile Arbeitnehmer auf Pensionskassen ausgeweitet. So werden Arbeitnehmer nicht mehrfach mit Abschlusskosten belastet und durch Zillmerung folglich auch nicht benachteiligt.“ — Johannes Fiala, Rechtsanwalt In seiner bei Nomos erschienenen Dissertation „Betriebliche Altersversorgung im Spannungsfeld von Portabilität und Verfallbarkeit“ geht Schwark ausführlich auf das Thema Kosten ein, das hier nur gestreift werden kann. Fest steht, dass die Entgeltumwandlung zu einer verstärkten Individualisierung der betrieblichen Altersversorgung geführt hat, durch die die Kostenvorteile einer Gruppenversicherung weitgehend verloren gehen.
… diese kommentieren jedoch zurückhaltend
Generell wird das Münchener Urteil von der Versicherungswirtschaft sehr zurückhaltend kommentiert. Immer wieder heißt es, einen derartigen Fall regele man ohne ein Gerichtsverfahren. Darum sind viele Versicherungsmanager auch verärgert über ihre Nürnberger Kollegen, die sich erst dann mit dem GDV in Verbindung gesetzt haben, als das Urteil vorlag. Zu einer Stellungnahme sind die Nürnberger nicht bereit. In einer Presseerklärung vom 4. Mai teilt die Gesellschaft mit, sie werde „auch weiterhin ihre gesamte Produktpalette an bAV-Tarifen (gezillmerte und ungezillmerte Tarife) anbieten“ und die Arbeitnehmerin sei nicht unangemessen benachteiligt worden. Der Vorsitzende der aba – Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung, Boy-Jürgen Andresen, will verhindern, dass die betriebliche Altersversorgung in Misskredit gerät. Auf der aba-Jahrestagung in Stuttgart am 23. Mai sagte er: „Die ohne Zweifel gewichtige Problematik hat nur dort wirtschaftliche Relevanz, wo Arbeitnehmer im Wege der Entgeltumwandlung an der Finanzierung ihrer betrieblichen Altersversorgung beteiligt werden, dies im Wege eines Versicherungsproduktes geschieht, ein gezillmerter Tarif gewählt wird, der Arbeitnehmer sehr kurz nach Beginn der Entgeltumwandlung aus dem Betrieb ausscheidet und nicht die Möglichkeiten eines sogenannten übertragungsabkommens genutzt werden können.“ Es handele sich also um eine überschaubare Zahl von Fällen. Peter Schwark, GDV, Sprecher
Das Münchener Urteil: eines mit schwerwiegenden Folgen?
Das sieht der Münchener Rechtsanwalt Johannes Fiala, der die Klägerin vor dem LAG München vertreten hat, ganz anders. Seiner Meinung nach sind Verträge ohne „wertgleiche“ Entgeltumwandlung nichtig und müssen zumindest umgewandelt, wenn nicht sogar rückabgewickelt werden. Das sei ein teures Unterfangen. Gegenüber dpn rechnete er vor: „Wir haben das einmal gemeinsam mit einem versicherungsmathematischen Sachverständigen hochgeschätzt und sind zu einem Schadenspotenzial der Arbeitgeber für vergangene und gegenwärtige Verträge um die 65 Milliarden gekommen. Die Arbeitgeber belastet dabei besonders die Sozialversicherungspflicht des sogenannten Phantomlohns, also des fälligen Lohns, der an den Arbeitgeber nicht ausbezahlt sondern unwirksam in eine betriebliche Altersversorgung umgewandelt wurde. In diesem Fall muss der Arbeitgeber seine ersparten Sozialversicherungsabgaben und auch die des Arbeitnehmers bezahlen, denn er hat gesetzlich nur drei Monate Zeit, den Arbeitnehmeranteil zur Sozialversicherung vom Lohn des Mitarbeiters abzuziehen. Hinzu kommt noch eine Verzinsung von 0,5 Prozent pro Monat, die wegen der Verzögerung der Meldung und Abführung der Sozialversicherung fällig ist.”
Bundesarbeitsgericht entscheidet erneut – Versicherer positionieren sich bereits
Nun wird also das Bundesarbeitsgericht als Revisionsinstanz entscheiden müssen, über welchen Zeitraum die Kosten für Verträge mit Entgeltumwandlung verteilt werden dürfen. Die Versicherer werden auf zwei Punkte besonders hinweisen: Gezillmerte Verträge haben nach ihren Aussagen eine höhere Ablaufleistung als ungezillmerte, und bei ungezillmerten Verträgen tragen vertragstreue Kunden die Abschluss- und Einrichtungskosten derjenigen, die ihren Vertrag früh stornieren.
(dpn-online.de (25.06.2007))
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Über den Autor

Dr. Johannes Fiala Dr. Johannes Fiala
PhD, MBA, MM

Dr. Johannes Fiala ist seit mehr als 25 Jahren als Jurist und Rechts­anwalt mit eigener Kanzlei in München tätig. Er beschäftigt sich unter anderem intensiv mit den Themen Immobilien­wirtschaft, Finanz­recht sowie Steuer- und Versicherungs­recht. Die zahl­reichen Stationen seines beruf­lichen Werde­gangs ermöglichen es ihm, für seine Mandanten ganz­heitlich beratend und im Streit­fall juristisch tätig zu werden.
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