Varianten sittenwidriger Versicherungsverträge

Auch von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) beaufsichtigte Versicherungsprodukte können wegen Sittenwidrigkeit nichtig sein. Dies gilt dann auch für den dahingehenden Vertrag mit Beratern und Vermittlern. Der Anleger hat daher dann auch keinen Anspruch darauf, vor Falschberatung geschützt zu werden: Eine Enthaftung ganz ohne Vermögensschadenhaftpflicht (VSH).

 

Sittenwidrig sind Kapitalanlagen, deren Rendite vom Tod von Mitmenschen abhängt

Es reicht, wenn einer von mehreren Fonds einer fondsgebundenen Lebensversicherung (FLV) sittenwidrig ist, damit der gesamte Vertrag darunter fällt, also im Zweifel insgesamt nichtig ist, § 139 BGB. Als sittenwidrig beurteilte das Landgericht Frankfurt/Main einen (US-)Fonds, der seine Rendite durch eine Wette auf frühe Sterblichkeit versicherter Personen beim Aufkauf gebrauchter Lebensversicherungen erwirtschaften wollte (Urteil vom 28.02.2013, Az. 2-10 O 265/12; 2/10 O 265/12) – das OLG sah es dann anders.

Wer sittenwidrige Produkte verkauft oder dazu berät, stellt sich mitsamt dem Beratenen außerhalb der geschützten Rechtsordnung und kann daher nicht wegen Falschberatung haftbar gemacht werden. Der Beratene, Versicherungsnehmer und Anleger kann damit auch keine Rückabwicklung durchsetzen. So kann auch der geneigte Steuerhinterzieher seinen Berater nicht in Haftung nehmen: Mancher Strafverteidiger lässt erst seinen Mandanten einen Vorsatz gestehen, um sodann privatrechtlich haftungsfrei erst recht bei Geldwäsche und Steuerhinterziehung behilflich zu sein.

Weitere unangenehme Folge: Der Versicherungsnehmer (VN) kann trotz Beitragszahlung keinen Leistungsanspruch durchsetzen – zumindest nicht legal unter Nutzung des staatlichen Gewaltenmonopols. Sein Geld kommt nie mehr zurück, § 817 S.2 BGB – außer mit Hilfe von Spezialisten „im Daumenbrechen“ und „Einbetonieren der Füße in Kübel mit anschließender Versenkung im Hafenbecken“. Das OLG Frankfurt/Main (Urteil vom 19.07.2012, Az. 3 U 24/12) kam zum gleichen Ergebnis einer Klageabweisung des Anlegers, schloss sich tendenziell den Sittenwidrigkeitsbedenken an, und wies die Klage wegen unschlüssigen Vortrages sowie Verjährung der Beraterhaftung ab.

 

Sittenwidrigkeit von Lebensversicherungsmantel mit Investment in griechische Staatsanleihen?

2007 waren die Schulden des südamerikanischen Ecuador als sittenwidrig eingestuft und teilweise erlassen worden. Seit 2010 bezeichnet man als Troika (EU-Kommission, EZB, IWF) eine Organisation, die vielleicht vollmachtlos oder ohne Legitimation mit EU-Staaten über Schulden verhandelt? In Griechenland beurteilte 2015 eine „Sonderkommission des griechischen Parlaments“ die eigenen Staatsschulden (angeblich zu 80 Prozent bei der Troika) wegen Verstoß gegen insbesondere Menschenrechte und Grundfreiheiten als sittenwidrig.

Empirische Forscher sehen einen Zusammenhang zwischen zunehmenden Selbstmorden und der Austeritäts-Politik (Steuererhöhungen, Lohn- und Rentenkürzung, staatliche Ausgabensenkungen): Hinzu kommen Privatisierungen über einen Treuhandfonds, unter Aufsicht einer informellen zwischenstaatlichen Eurogruppe. Damit könnten auch Wetten von Hedgefonds auf Staatspleiten vielleicht einst als sittenwidrig beurteilt werden?

 

Massenhafte Vermittlung nichtiger Versicherungsverträge zur Altersversorgung

Tote, deren Personalien von Grabsteinen abgeschrieben wurden, können keine Einwilligung nach § 159 II VVG a.F. erteilen, dass sie zur versicherten Person (VP) werden. Bei fingierten VP sind entsprechenden Versicherungsverträge nichtig. Denn die Verträge waren auf eine anfängliche, objektive und dauernde Unmöglichkeit gerichtet und infolgedessen nach § 306 BGB nichtig (BGH, Urteil vom 04.03.1999, Az. 5 StR 355/98).

Ein Versicherungsfall (durch Tod oder Erreichen des Rentenalters) war gar nicht mehr möglich gewesen. Die auf die Vermittlung nichtiger Versicherungsverträge gerichtete Maklerleistung war wirtschaftlich wertlos. Damit handelte es sich um einen Betrug am Versicherer, mit messbarem Vermögenschaden.

 

Sittenwidrigkeit der Managerhaftpflicht-Police (D&O-Versicherung)

In § 257 I Strafgesetzbuch (StGB) heißt es:

„Wer einem anderen, der eine rechtswidrige Tat begangen hat, in der Absicht Hilfe leistet, ihm die Vorteile der Tat zu sichern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“

Wenn nun derartige Policen im Einzelfall versprechen „Geldstrafen für künftige strafbare Handlungen zu erstatten“, liegt die Gesetzeswidrigkeit und Strafbarkeit des Versicherers, und seiner Vermittler auf der Hand. Delikat wird es, wenn Professoren psychische Beihilfe zur Umgehung leisten, indem argumentiert wird, dass bei Unternehmensstrafen im Kartellrecht der Versicherer doch dem Manager das Geld für die Vorteilssicherung in die Hand drücken darf, damit dieser dann dem Unternehmen die verhängte Strafe ersetzt: Nur ein Traum?

 

Policen-Aufkauf – mal sittenwidrig, mal nicht?

Betrügen kann man auch durch Unterlassen. Etwa wenn man Irrtümer der VN ausnutzt. Wie zum Beispiel, dass der VR bei 140.000 Euro vorhandenem Rückkaufswert nur die 100.000 angibt, die in Höhe der eingezahlten Beiträge sofort zurückgezahlt werden, nicht aber den Teil, der in eine beitragsfreie Rente umgewandelt wird und in zwei Jahren zu weiteren 45.000 Euro Auszahlung führen würde. Dann zahlt der Aufkäufer vielleicht 115.000 Euro. Außerdem gibt es ja vom Rückkaufswert auch noch Stornoabzüge – dann ist ein Kaufpreis, der nur um den halben Stornoabzug unter dem RKW liegt, immer noch vielleicht scheinbar vorteilhaft.

Es gibt – außer den obigen – auch Fälle, wo weniger als der bei Kündigung ausgezahlte Bruttobetrag vom Aufkäufer gezahlt wird, weil der VN sich den Abzug der Kapitalertragsteuer spart. Dieses Modell funktioniert besonders gut, wenn der Aufkäufer im Ausland sitzt, beispielsweise in der Schweiz. Es erinnert ziemlich stark an die sportliche Gestaltung bei sogenannten Cum-Ex-Geschäften. Vermittler und Anleger gehen dann „nicht zum Fürsten“ zur eigenen Rechtssicherheit über eine verbindliche Auskunft des Finanzamtes – damit könnte ja alles in Frage gestellt werden. Lieber hofft man, dass einem der Vorwurf allzu kreativer Gestaltung nebst drohendem Freiheitsentzug erspart bleibt.

Die deutschen Aufkäufer von Lebensversicherungen behalten zum Beispiel keine Todesfall-Leistung, sondern sichern zu, dass diese nach Abzug angemessener Zinsen auf die Investition der VN erhält – vielleicht um dem Vorwurf einer Sittenwidrigkeit vorzubeugen? Sittenwidrig könnte es sein, darauf zu wetten, dass Griechenland oder irgendein Unternehmen zahlungsunfähig wird – also auch alles, wo entsprechende zum Beispiel Lehman-Papiere beigemischt waren. Waffenhandel, Spekulation mit Nahrungsmittelpreisen, auch wenn nur beigemischt, ebenfalls.

 

Sittenwidrigkeit als Exit-Chance für Vermittler?

Vermittler, die in Haftung genommen werden, oder Anbieter, die für Schäden aufkommen sollen, könnten auf die Idee kommen, vermehrt zu argumentieren, dass das Vorhaben des Kunden, der Vertrag samt Beratungsvertrag für den Kunden bewusst sittenwidrig war und sich der Kunde damit außerhalb unserer Rechtsordnung gestellt und keinen Anspruch mehr auf Schutz vor Folgen einer Falschberatung hat. Damit wäre der Berater aus der Haftung, beispielsweise wenn seine Haftpflichtversicherung gerade solche Geschäfte gar nicht erst versichert hat; selbst legale. Gerichte müssten es sowieso selbst prüfen – es bedarf also nicht der Berufung einer Partei darauf.

 

Wenn sittenwidrige Geschäfte finanziert werden

Der preiswerteste Weg zu einem Bordell zu kommen war früher – mit echter Zuhälterei, der Kauf auf Raten, nebst Übereignung des Bordells nach Bezahlung der ersten Rate. Dann bleibt alles wo es ist, 817 S.2 BGB. Der Verkäufer bekommt eine erste Rate zur Motivation für die Übereignung, mehr nicht. Heute ist dies ein Standardfall der Ausbildung, beim Handel mit Kokain. Ähnlich der Fall, dass eine Immobilie an ein Bordell verpachtet wird.

Die Rechtsprechung tat sich anfänglich schwer damit, ob denn jetzt der Pächter nichts mehr zahlen muss – und (eigentlich) auch die Immobilie als (sittenwidriger) Pächter auf immer und ewig behalten darf, § 817 S.2 BGB: Die Juristen lösten dieses Rätsel über „Treu und Glauben“ im Einzelfall; sie sind halt zu allem fähig. Häufiger bekommen Versicherungskunden vom Strukturvertrieb ein Vertragsbündel – beispielsweise beim Verkauf von Steuerberater- oder Arztpraxis nebst Finanzierung über einen Versicherer. Wenn dann die Mandanten/Patienten gar keine ausreichende Schweigepflichtentbindung erteilt hatten, kann das Gesamtgeschäft nichtig sein (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2010 – VIII ZR 53/09).

 

Verbot und Nichtigkeit bei Sanktionen durch die EU-Regierung

Die EU kann Rechtsverordnungen erlassen, welche dann sofort gelten, wie jene mit der Nummer 36/2012 vom 18.01.2012: Diese betraf Syrien – eine andere ähnliche betraf den Iran. Entsprechende Versicherungsverträge waren daher nichtig. Anders sah es das Landgericht Hamburg (Urteil vom 03.12.2014, Az. 401 HKO 7/14) wo sich der Transportschadenversicherer damit herausreden wollte, es gäbe da gewisse Sanktionen von Seiten der USA. Das LG sprach dem Kläger die Versicherungssumme zu, denn wenn ausländische Staaten etwaige Sanktionen verhängen, hat dies nichts mit Embargos der EU zu tun:

„Ausländische Verbotsnormen sind keine Verbotsgesetze im Sinne von § 134 BGB.“

 

Betrug durch Versicherungsgeschäfte mit Al Qaida & Co. – noch ohne Schadensfall?

Angehende in Deutschland studierende Akademiker mit libyscher Abstammung (BVerfG, Beschluss vom 07.12.2011, Az. 2 BvR 2500/09, 2 BvR 1857/10) – es gibt solche Geschäftsleute auch im Gewande russischer Zeitgenossen mit angeblich jüdischer Abstammung – wollten über den Abschluss von Lebensversicherung frisches Geld beschaffen. Sei es zur Terrorfinanzierung, oder zur Bezahlung der gerade gekauften Villa am Wörthsee. Der Plan ist dann, durch geringere Versicherungssummen eine Risikoprüfung am lebenden Objekt zu vermeiden – etwa an einem Einwanderer der sicher abgeschoben werden wird.

Sodann solle diese Person dann im Ausland „offiziell“ versterben, was durch Urkunden mit gelogenem Inhalt nachgewiesen werden soll. Das Bundesverfassungsgericht hat vor dem Sterbefall keinen Schaden gesehen, und die vorausgehende Verurteilung des BGH aufgehoben. Ob der Abschluss des Versicherungsvertrages bereits ein Betrug oder vielleicht noch gar kein versuchter Betrug war, ist in der Fachliteratur umstritten: Denn es gab in diesem Fall weder einen fingierten Toten, noch eine Schadensmeldung gegenüber dem Versicherer.

 

Lösegeldversicherung als Verstoß gegen „ordre public“?

Es gibt im Inland eine Rechtsordnung, und diese besitzt immanente Werte und Prinzipien, was man dann mit dem „ordre public“ bezeichnet. Nichtig sind demnach Verträge mit ausländischen Versicherern zur Abgabenhinterziehung (bereits als Begleitziel) oder auch solche die bewirken sollen, dass die Ehefrau nach der Scheidung zu wenig Unterhalt und Zugewinn bekommt, oder beispielsweise dass ein Pflichtteilsberechtigter rechtswidrig leer ausgeht. Solche Probleme können Versicherer über ihre Produkte nicht lösen – gute Mathematiker, Anwälte und Stiftungstreuhänder durchaus.

Bis zu einem Rundschreiben (3/1998 (VA) vom 21.07.1998, Az. IV 2-41521-1/98) der BaFin galten Lösegeldversicherungen als Verstoß gegen den ordre public; § 138 I BGB, Art. 6 EGBGB. Grund dafür war, dass man meinte durch solche Versicherungen den erpresserischen Menschenraub zu fördern. Einige Steuerberater sind nach Besuchen bei der dortigen Mafia, aus der Elfenbeinküste oder Nigeria nur zufällig mit dem Leben davon gekommen, wie aus dem Auswärtigen Amt zu hören war.

 

BaFin treibt Versicherer in die Illegalität

Auf solche Rechtsmeinungen der BaFin darf sich kein Vermittler verlassen: Es könnte sich um bedauerlichen Rechtsirrtum gehandelt haben, wenn Staatsanwalt und Richter es anders beurteilen. Mehr als einmal haben Gerichte bis zum BGH das Verhalten von Versicherern, das ihnen die BaFin selbst auferlegt hat, als illegal beurteilt. Ein Versicherer hatte auf „Empfehlung“ der BaFin eine angeblich unwirksame Klausel mit Treuhänderzustimmung geändert – das Treuhänderverfahren beurteilte der BGH sodann selbst als unwirksam.

Dem beim OLG Frankfurt später von Kunden erhobenen Vorwurf, die (unwirksam geänderte) Klausel sei unwirksam entgegnete der Versicherer, er habe sie nur auf starken Druck der BaFin beim Treuhänder als unwirksam dargestellt – in Wirklichkeit hielte er sie indes schon immer für wirksam. Die Sorge der BaFin um die Stabilität der Versicherer und den Schutz des Kollektivs aller Versicherten vor einer Vielzahl einzelner eigensüchtiger Versicherter treibt manchmal seltsame Blüten, oft rechtlich unhaltbar. Dennoch gehört es zum Standard vor Gericht, wenn Versicherer sich darauf berufen, die Versicherungsaufsicht verlange ein bestimmtes Verhalten von ihnen, oder erlaube dies zumindest.

 

von Dr. Johannes Fiala und Dipl.-Math. Peter A. Schramm

 

mit freundlicher Genehmigung von

www.experten.de (veröffentlicht am 16.09.2016)

 

Link: https://www.experten.de/2016/09/16/varianten-sittenwidriger-versicherungsvertraege/

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Über den Autor

Dr. Johannes Fiala Dr. Johannes Fiala
PhD, MBA, MM

Dr. Johannes Fiala ist seit mehr als 25 Jahren als Jurist und Rechts­anwalt mit eigener Kanzlei in München tätig. Er beschäftigt sich unter anderem intensiv mit den Themen Immobilien­wirtschaft, Finanz­recht sowie Steuer- und Versicherungs­recht. Die zahl­reichen Stationen seines beruf­lichen Werde­gangs ermöglichen es ihm, für seine Mandanten ganz­heitlich beratend und im Streit­fall juristisch tätig zu werden.
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