Wie weit reicht die zeitliche Leistungspflicht der Krankentagegeldversicherung?

*von Dr. Johannes Fiala, Rechtsanwalt (München), Mediator (Univ.), MBA Financial Services (Univ.Wales), MM (Univ.), geprüfter Finanz- und Anlageberater (A.F.A.), EG-Experte (C.I.F.E.), Lehrbeauftragter für Bürgerliches Recht (Univ. of Cooperative Education), Bankkaufmann (www.fiala.de)
„Es gibt bekanntes Wissen. Das sind Sachen, von denen wir wissen, dass wir sie wissen. Es gibt bekanntes Unwissen. Das bedeutet, es gibt Sachen, von denen wir wissen, dass wir sie nicht wissen. Aber es gibt auch unbekanntes Nichtwissen. Das sind Sachen, von denen wir nicht wissen, das wir sie nicht wissen.“ (Donald Rumsfeld)
Beratungsrisiken bei der Absicherung gegen Verlust der Arbeitskraft:
Für den Versicherungsmakler gehört die Beratung und Vermittlung von Versicherungen für den Ausfall der Arbeitskraft zu den besonders haftungsträchtigen Aufgaben. Das Angebot einer Absicherung nach Versicherungssparten, und nicht nach Produkten, schützt den Vermittler vor der Haftung wegen einer Lücke im Angebot und unterlassener Beratung. Denn hier droht dem Vermittler eine Haftung, so dass er „die nicht versicherte Rente“ dem Kunden später als Schadensersatz selbst bezahlen müsste.
Jeder dritte Berunfsunfähigkeitsfall vor Gericht?
In diesen Bereich gehört auch der Fall, dass beispielsweise die Berufsunfähigkeits( BU)-Versicherung (noch) nicht leistet – jedoch die Krankentagegeldversicherung nicht (mehr) bezahlt. Gerade wenn zwei Versicherer betroffen sind, ist das Risiko einer faktischen Versorgungslücke erheblich. Es handelt sich gleichsam um ein „Totalverlust- und Klägerisiko“ des Versicherungsnehmers (VN). Die Möglichkeit eine Rechtsschutzversicherung (bei einer anderen Gesellschaft!) mit zu verkaufen, beseitigt diese Risiken nicht vollständig.
Keine Leistungspflicht der Krankentagegeldversicherung bei BU-Zahlung:
Es kann aber auch der umgekehrte Fall eintreten. Die Krankentagegeld(KT)-Versicherung leistet bereits, und später treten die BU-Leistungen eines weiteren Versicherers hinzu. Für diesen Fall hat das OLG Karlruhe (Az. 12 U 89/06) durch Urteil vom 06.07.2006 dem KT-Versicherer einen vertraglichen Rückforderungsanspruch nach § 15 I a Musterbedingungen (MB/KT 94) zugesprochen. Eine Entreicherungseinrede nach § 818 III BGB durch den VN ist nach der BGHRechtsprechung ausgeschlossen. Denn der vertragliche Rückforderungsanspruch nach § 11 MB/KT verdrängt das Recht der ungerechtfertigten Bereicherung komplett, §§ 812 ff. BGB. Damit soll eine „Mehrfachabsicherung“ (über KT und BU) durch den zusätzlichen Bezug von „Leistungen aus einem Versicherungsverhältnis privater oder sozialrechtlicher Natur“ unterbunden werden: Entscheidend ist nicht das Vorliegen einer BU, sondern der schlichte Bezug einer BU-Rente, wenn auch nur „zeitlich befristet“ oder „als Kulanz“ des BU-Versicherers bzw. „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“.
Risiken in der Schadensabwicklung:
Der Versicherungsmakler darf Schadensfälle abwickeln, also wie ein Rechtsanwalt den VN nur aussergerichtlich gegenüber dem Versicherer vertreten. Dabei gibt es allerdings zahlreiche Fallstricke, und es können auch Fehler in der Beratung bei Abschluß der Versicherung zu Tage treten.
Mit dem Rentenbezug endet der Anspruch auf KT-Zahlung:
– Auf das Vorliegen einer BU oder Erwerbsminderung mit einem bestimmten Prozentsatz kommt es nicht an. – Die schlichte Zahlung einer BU-Leistung, auch als Kulanz oder zeitlich befristete BU-Leistung, reicht aus den KT-Anspruch entfallen zu lassen. Dies gilt auch dann, wenn es sich nur um einen „fingierten“ BU-Fall handelt. – Unerheblich ist die Höhe der BU-Leistung. Liegt diese unterhalb der KTZahlung, kann dies auch einen Beratungsfehler des Vermittlers offenbaren. Typisch ist, dass der Vermittler übersehen hat, dass auch solche Versicherungsleistungen zu versteuern sind. – Wird die Rente aus privatem Vertrag oder durch den Sozialversicherer, wie in der Praxis üblich, oft erst nach Monaten rückwirkend bewilligt, so endet die Leistungspflicht (spätestens drei Monate nach Rentebewilligung) des KT-Versicherers ebenfalls. Allein derartige Verzögerungen mit daraus folgenden Einkommenslücken des VN, bedeuten einen typischen Beratungsfehler, welcher sich auch in mancher Finanzplanung wiederfindet.
Rechtswidrige MB/KT: Daher kein automatisches KT-Vertragsende:
Kommt es zum BU-Leistungsfall hat sich das Eintrittsalter und das Risiko in der Person des VN verändert. Es würde ihn unangemessen benachteiligen, wenn der KT-Versicherungsvertrag damit automatisch enden würde, wie der Bundesgerichtshof (BGH) in zwei Urteilen bereits 1992 festgestellt hat, § 307 I, II Nr.2 BGB. Einzige Ausnahmen sind ein KT-Vertragsende durch Bezug von Altersrente oder etwa durch die Vollendung der vertraglichen Altersgrenze (z.B. 65. Geburtstag). Genauso, wie ein vorheriger BU-Fall nur als „vorübergehend“ zu betrachten ist, wird auch der Fall eines Wegzugs ins Ausland nicht zum automatischen KT-Vertragsende führen. Im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung wird also der KT-Versicherer (im BU-Fall) von der Leistungspflicht (nur vorübergehend) frei, §§ 133, 157 BGB. Eine (endgültige) Vertragsbeendigung würde dem sozialen Schutzzweck der KT-Versicherung zuwider laufen.
Schulungshaftung von Vertrieben / Versicherern: Beratungslücke bei Wegzug ins Ausland
Wer seinen Ruhestand beispielsweise in Brasilien verbringen möchte, wird feststellen, dass „seine“ gesetzliche Krankenversicherung (GKV) ihn schlicht abmeldet, sobald kein Wohnsitz mehr im Inland besteht. Besteht ein Wohnsitz im Inland, so unterfällt das weltweite Einkommen „des Auswanderers“ dauerhaft dem deutschen Steuerrecht, §§ 8 AO, 1 EStG. ähnlich ergeht es zahlreichen VN in der privaten Krankenversicherung (PKV), denn nur wenige Tarife gestatten eine dauerhafte Aufgabe des Wohnsitzes im Inland. Damit entfällt dann regelmäßig („vorübergehend“) nicht nur der Anspruch auf KT-Leistungen, sondern auch auf die anderen vertraglich mit dem Versicherer vereinbarten Ansprüche. Auch hier kann ein nicht unbedeutender Haftungsfall für den Makler schlummern. Soweit Schulungen zu den MB/KT hier lückenhaft – also unrichtig – waren, wird der Vermittler im Haftungsfall versuchen, den schulenden Versicherer oder Vertrieb in Regress zu nehmen.
Haftungsfalle durch Option einer Anwartschaftsversicherung:
Die Möglichkeit einer Anwartschaftsversicherung bietet dem VN die Option, für sich selbst im Falle erneuter Arbeitsunfähigkeit weitere KT-Leistungen zu erhalten. Die Umwandlung in einen vorübergehend ruhenden Vertrag, hat den Vorteil, dass das ursprüngliche Eintrittsalter in dem Tarif erhalten bleibt und keine abermalige Gesundheitsprüfung stattfindet. Der Haken dabei ist, dass der KT-Vertrag „automatisch“ enden kann, wenn der VN nicht binnen – in der Regel – zweier Monate sein Wahlrecht einer Anwartschaftsversicherung ausübt. Denn diese Option im KT-Tarif bedeutet nach der BGH-Rechtsprechung aus 1992 einen angemessenen (ausreichend den VN schützenden) Interessenausgleich. Wird die BU erst später (rückwirkend) festgestellt, kann diese Frist verstrichen sein! Wird eine BU später als nicht bestehend erkannt, hat der VN seine KT-Leistungen verloren, wenn er sein Wahlrecht einer Anwartschaftsversicherung bereits ausgeübt hat!
Entweder Prozeßrisiko oder Einsatz von Rechtsbedingungen:
Das Prozeßrisiko des VN liegt darin, dass er dann erst einmal vor Gericht durchsetzen müsste, dass die Befristung des Wahlrechts einer Anwartschaftsversicherung, ebenfalls eine „unangemessene Benachteiligung“ wäre. Das Gericht müsste dann beispielsweise den Fristlauf durch ergänzende Vertragsauslegung erst dann beginnen lassen, wenn der VN eine sichere Kenntnis darüber hat, ob ein BU-Fall vorliegt. Der VN kann jedoch auch den Antrag auf eine Umwandlung der KT-Versicherung in eine Anwartschaftsversicherung mit einer Rechtsbedingung verknüpfen, § 158 BGB: Geeignet wäre etwa die Bedingung, dass der Antrag für den Fall vorliegender BU gestellt wird. Die gleiche Problematik stellt sich für den Fall, dass der BU-Fall später wieder wegfällt. Dies kann zum Wiederaufleben der vertraglichen KT-Leistungsansprüche führen. Sicherer wäre in jedem Falle eine Anzeige beim Versicherer, verbunden mit einer Antragsstellung auf KT-Leistungen, denn während der Anwartschaftsphase besteht Leistungsfreiheit des Versicherers. Auch hier kann der Einsatz von Rechtsbedingungen dem VN weiterhelfen. Ob das Risiko „einer aus Unkenntnis bzw. ohne Verschulden des VN unterlassenen Anzeige“ der VN zu tragen hat, ist obergerichtlich noch zu entscheiden.
Vermittlerstrategie zur Enthaftung:
Wie sagte einmal ein Vertriebsleiter so schön „Versicherungen sind Produkte, für Menschen die es nötig haben – sich aber in der Regel nicht umfassend genug leisten können“. Es kann aus der Sicht des Vermittlers sinnvoll sein, dem Kunden nicht nur KT und BU, sondern auch Betriebsunterbrechung bzw. –abwicklungsversicherung, sowie Dread-Desease und Unfallversicherungsschutz vorzustellen und anzubieten. Der Kunde muss dann (nach nachweisbarer Aufklärung!) entscheiden, was er sich leisten kann und will. Um Lücken in der eigenen Beratung oder Dokumentation zu finden, genügt meist ein Blick in die Akte: Dies kann Anlaß genug sein „das Geld aufzuheben, welches auf der Strasse liegt“ – nur ein wenig bücken muß man sich halt, und sei es um nach der Akte zu greifen, sowie im Anschluß daran zum Telefon für einen Termin mit dem Kunden. Schließlich wäre dies eine feine Alternative, anstatt hoffnungsvoll zu glauben, dass sich Dokumentationsund/ oder Beratungslücken sicher aussitzen lassen. Stand: 14.11.2006
(experten report 9 4/2007, 2)
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Über den Autor

Dr. Johannes Fiala Dr. Johannes Fiala
PhD, MBA, MM

Dr. Johannes Fiala ist seit mehr als 25 Jahren als Jurist und Rechts­anwalt mit eigener Kanzlei in München tätig. Er beschäftigt sich unter anderem intensiv mit den Themen Immobilien­wirtschaft, Finanz­recht sowie Steuer- und Versicherungs­recht. Die zahl­reichen Stationen seines beruf­lichen Werde­gangs ermöglichen es ihm, für seine Mandanten ganz­heitlich beratend und im Streit­fall juristisch tätig zu werden.
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