Unisex – und was noch?

Die Versicherer trommeln zum Geschäft am Jahresende und werben mit vorgezogenen Unisexlösungen. Vermittler drückt aber teilweise ganz woanders der Schuh. Vor allem im Tagesgeschäft und bei der Vergütung klemmt es mächtig. portfolio international legt dar, wie die größten Klippen im Vertriebsalltag umschifft werden können.
Kurz vor Weihnachten ändert sich eine mehr als 100-jährige Praxis der Versicherer: Selbst eindeutig nachweisbare biologische Unterschiede dürfen künftig nicht mehr bei der Kalkulation der Verträge berücksichtigt werden. Getrennte Tarife für Männer und Frauen gehören bald der Vergangenheit an. Versicherer haben längst errechnet, wie sich Unisex auf die Beiträge auswirkt. Der Jahresendspurt für die Versicherungsbranche hat schon vor Wochen begonnen. Makler und andere Vermittler stehen vor aufwendigen Beratungsaufgaben. Klar scheint nur: Bestehende Verträge werden nicht angetastet. Unter den Bestandsschutz fallen auch Verträge mit integrierter Dynamik, durch die Beiträge und Leistungsumfang regelmäßig steigen, sowie Nachversicherungsgarantien bei Risikolebensversicherungen. Außerdem betrifft die neue Unisexwelt die betriebliche Altersvorsorge noch nicht komplett: Lediglich bei Direktversicherungen wird es nur noch Unisextarife geben.
Unisex birgt Überraschungen
Aus staatlich verordneten Einheitstarifen versuchen die Versicherer jetzt, das Beste zu machen. Dabei sind auch ungewollte Überraschungen möglich. „Eine neue Produktlandschaft“ erwartet Dr. Christoph Helmich, PKV-Vorstand des Versicherungsverbundes Continentale. Die Spanne reicht von leichten Umstellungen ohne den Zwang zur völligen Tarifänderung über wegfallende Tarife bis hin zu gänzlich neuen Tarifen mit völlig neuen Preisen und auch Leistungen. Helmich schließt für die Continentale „aktuarielle Übungen aus“ und will Vorsicht bei der Kalkulation walten lassen. Die Folge: Generell werden die neu zu kalkulierenden Sicherheiten den Beitrag in Richtung des bislang teureren Geschlechts treiben. „Was bisher im Mix 100 Prozent bedeutete, weil ein Geschlecht nur 80 und das andere 120 Prozent kostete, dürfte sich mit Unisex in Richtung 115 Prozent bewegen“, schätzt Helmich für die private Krankenversicherung (PKV). Er wollte auf dem PKV-Forum der Continentale bewusst nicht dem Schlussverkauf das Wort reden, jedoch steht fest: „Für Männer sind Bisex-Tarife vor allem in der PKV-Vollversicherung und auch in der Pflegezusatzversicherung viel günstiger.“ Andere Anbieter haben ihr Marketing längst auf Offensive für den Schlussverkauf geschaltet. „Männer, wollt ihr wirklich die Gleichberechtigung?“, fragen etwa die Bayerischen Beamtenversicherungen auf ihrer Internetseite und raten zum schnellen Abschluss von Berufsunfähigkeits- (BU-), Renten- und Krankenzusatzversicherungen für Männer. Ein anderer Lebensversicherer verspricht: „2012 macht die Stuttgarter alle Männer zu Helden“ und rechnet derzeit fünf Prozent Beitragsvorteil bei einer Privatrente gegenüber dem Unisextarif aus. Der Volkswohl-Bund gibt Vermittlern ein Rechentool an die Hand, das zum Beispiel auf baldigen Abschluss einer Unfallversicherung für Frauen in risikoreichen Berufen abstellt, da die Beiträge künftig in der Gefahrengruppe B deutlich steigen werden. Dabei sind die ausgeworfenen Zahlen allenfalls modellhaft und vorläufig. Und beim Bedarf dürften die meisten Frauen mit einer BU-Absicherung besser bedient sein. Dennoch: Für Frauen gibt es jetzt Handlungsbedarf – falls Absicherungslücken bestehen – vor allem in der Risikolebens-, Auto- und Unfallversicherung.
Zahlreiche Tücken bei Renten
Viele Anbieter haben Übergangslösungen. Der Volkswohl-Bund etwa offeriert eine automatische Günstigerprüfung von BU- und Rentenversicherungen, die jetzt abgeschlossen werden. Sie werden später auf höhere Unisexleistungen umgestellt. Die Gothaer hat eine Wechseloption für neu geschlossene Verträge bei der Lebensver- sicherung eingerichtet. Das Analysehaus Franke und Bornberg hat unter anderem den Renten von Alte Leipziger, Continentale, Debeka, Europa, Hanse Merkur, Interrisk, My Life, Swiss Life, Volkswohl-Bund sowie WWK bescheinigt, „unisexsicher“ zu sein. Aber auch dort sind Kunden nicht in jedem Tarif davor gefeit, bei späteren Vertragsänderungen auf die Rechnungsgrundlagen des Unisextarifs umgestellt zu werden und damit den jetzigen Preisvorteil zu verlieren. Von 747 Männertarifen würde bei 81 Prozent die Ausübung der Beitrags- beziehungsweise Leistungsdynamik zur Umstellung auf den ungünstigeren Unisextarif führen. Für außerplanmäßige Zuzahlungen sehen 69 Prozent der Policen eine Unisexkalkulation vor. „Nur rund sechs Prozent der Rentenpolicen halten alle Vertragsvorteile über die gesamte Laufzeit durch“, kritisiert Michael Franke, der Geschäftsführer des Analysehauses (siehe auch Grafik auf der folgenden Seite).
Die vorzeitigen Unisexangebote werden häufig mit Beitragsgarantien für 2013 gekoppelt. Dabei handelt es sich jedoch oft nicht um generelle Garantien, kritisiert der Marktbeobachter KVpro.de. Vielmehr beziehen sich die versprochenen stabilen Beiträge meist nur auf bestimmte Tarife oder Tarifkombinationen, oder sie werden nur unter bestimmten Voraussetzungen gewährt. Solche „Schaufenster-Garantien" können Makler in Teufels Küche bringen. Denn wenn der Kunde ab 2013 Versicherungssummen aufstockt oder andere Konditionen in Altverträgen nachjustiert, werden die Vertragsanpassungen oft wie Neuverträge behandelt und würden damit unter die Unisexregelung fallen. Ausweg bei Abschlüssen bis 20. Dezember 2012: Es wird ein „Unisexretter“ – besser „Retter des Bisextarifs“ – eingebaut. Die Continentale Leben hat ihn als Erste auf den Markt gebracht: In die AVB wurde ein Verweis aufgenommen, dass künftige Änderungen
könnten. Das liege unter anderem an den verlängerten Haftungszeiten für stornierte Verträge in Verbindung mit dem voraussichtlich proportional geringer werdenden zukünftigen Geschäft, das die Storni von 2012 ausgleichen muss. Um diesem Risiko zu begegnen, sieht Koch jetzt die Chance, ein ratierliches Vergütungssystem zu etablieren, um das bestehende System zu ergänzen und so Verkaufsspitzen zu glätten und den Verdienst in umsatzschwächere Zeiten zu übertragen. Somit wären auch das Stornorisiko und das daraus resultierende Insolvenzrisiko für Vermittlerbetriebe kleiner, da die Vergütungen teilweise zeitlich verzögert ausgezahlt würden. Leider wird diese Option von den Versicherern nur sehr zögerlich angeboten, obwohl sie davon auch profitieren. „Mit der Continentale haben wird diese Vereinbarung als Ausnahme vereinbart, aber solche Ausnahmen sind nicht die Regel“, ergänzt Koch. Andere freie Vermittler müssen sich mit zusätzlichen regulatorischen Hürden herumschlagen. Wer neben Versicherungen auch im unverändert geltenden Grundvertrag erfolgen. Kunden landen so nicht unbeabsichtigt in der Unisexwelt. Die Idee wurde inzwischen von anderen Anbietern kopiert. Einige Vermittler erkennen neben den großen Chancen im Jahresendgeschäft insbesondere auf den Feldern Biometrie, geförderte Altersvorsorge und geförderte Pflege auch erhebliche Risiken. Alexander Koch sieht im Unisex-Schlussverkauf einen Vorwegnahmeeffekt für die nächsten Jahre, der ähnlich wie 2005 nach dem Auslaufen der Steuerfreiheit von Lebensversicherungen 2013 zu erheblichen Einbrüchen führen wird. Der Geschäftsführer und Vertriebsleiter des Maklerverbundes Ufkb GmbH glaubt, dass Vermittler bei gleichbleibender Stornoquote aufgrund des Einmaleffektes 2012 in den nächsten Jahren ein Zahlungsproblem bekommen
Investmentfonds, geschlossene Fonds sowie sonstige Vermögensanlagen, wie Wertpapiere, beraten und Angebote vermitteln will, braucht ab 2013 eine Erlaubnis und muss seine Sachkunde nachweisen (Paragraf 34f GewO). Lediglich „alte Hasen“, die seit 2006 ununterbrochen als Anlagevermittler oder -berater tätig waren, müssen nicht auf die Schulbank. Als Nachweis müssen die ununterbrochene Erlaubnis und die lückenlosen Prüfungsberichte nach Makler- und Bauträgerverordnung (MaBV) für jedes Jahr vorgelegt werden. Das schaffen 65 Prozent der Vermittler nicht, war vom AfW Bundesverband Finanzdienstleistung zu hören. Daher können von der Alte- Hasen-Regelung wohl nur rund 20 Prozent der 34c-Inhaber profitieren. Die haben bis zum 30. Juni 2013 Zeit zum Umtausch der Genehmigung gemäß Paragraf 34f, ohne erneut ihre Zuverlässigkeit und geordnete Vermögensverhältnisse nachzuweisen.
Die Details bereiten vielen Beratern Kopfzerbrechen. Beispiel: Gilt im Zweifel eine GmbH als „alter Hase“ oder immer deren Geschäftsleitung? „Eine GmbH kann keine Berufserfahrung sammeln, daher färbt die Regelung auf die Geschäftsführung ab“, erklärt der geschäftsführende AfW- Vorstand Norman Wirth. Selbstständige Investmentberater, die nicht nach MaBV tätig sind, fragen nach anderen Nachweismöglichkeiten als den lückenlosen Prüfungsberichten. „Die gibt es nicht“, bedauert Wirth. Auch reine Investmentfondsberater müssten Prüfberichte vorlegen. Wer in schwierigen Jahren wie 2008 oder 2009 kein Anlagegeschäft vermitteln wollte und deswegen eine Negativerklärung gegenüber dem Gewerbeamt abgegeben hat, hat Pech. „Auch wer zwischenzeitlich nicht vermittelt hat, sondern zum Beispiel nur mit der Vermittlung auf seiner Homepage, dem Firmenschaufenster oder auf dem Briefpapier geworben hat, war zur Abgabe eines Prüfberichts durch einen Wirtschaftsprüfer verpflichtet“, so Wirth. „Ein Steuerberater genügt dazu von Gesetzes wegen nicht.“ Neue Regeln kommen auch bei Riester- Renten. Der Entwurf für das Altersvorsorge-Verbesserungsgesetz sieht vor, Angebote für Riester-Renten durch einheitliche Produktinformationsblätter für Versicherer, Banken und Fondsgesellschaften ab 2013 besser vergleichbar zu machen. Zudem sollen die Gesamtkosten nach der Reduction-in-Yield-Methode ausgewiesen werden, Kosten für einen späteren Wechsel des Riester-Anbieters auf maximal 150 Euro gedeckelt und die Kosten für eine Kündigung konkret ausgewiesen werden. Die Abschluss- und Vertriebskosten beim neuen Anbieter werden ebenfalls gedeckelt. Basis der Berechnung ist das mitgebrachte geförderte Kapital. Die darauf fälligen Abschluss- und Vertriebskosten sollen sich gegenüber geltendem Recht halbieren. So lohnt sich die Umdeckung von Riester-Verträgen wegen der Vergütung nicht mehr.
Provisionen weiterhin erlaubt
Apropos Vergütung: Hier gibt es nach wie vor Ungereimtheiten, die Maklern das Leben schwermachen. Zunächst drohte monatelang ein generelles Verbot von Provisionen. Anfang Juli wurde dies im Entwurf der Richtlinie IMD-2 (Insurance Mediation Directive) zwar abgeschwächt, doch sollten alle Versicherungsvertreter ab 2014 automatisch mitteilen müssen, für wen genau sie arbeiten und was für ein Honorar oder für eine Provision sie für den Vertragsabschluss erhalten. Unabhängig davon, ob es sich um eine Maklercourtage oder eine Gebühr handelt, soll der Vermittler den präzisen Betrag nennen. Makler sollten zudem eine ausreichend große Zahl von verfügbaren Versicherungsprodukten bewertet haben. Das mag für die EU neu sein, für Deutschland ist es bereits seit Mai 2007 Realität: Die vom Kunden zu zahlenden Vertriebs- und Verwaltungskosten müssen bei Lebens- und Krankenversicherungen schon jetzt in den Produktinformationsblättern ausgewiesen werden. Aber davon erhält der Vermittler bei weitem nicht alles; das meiste dient den Versicherern zur Kostendeckung und als Gewinnmarge. Ende September hat der Wirtschaftsausschuss des Europäischen Parlaments bei der Neugestaltung der „Markets in Financial Instruments Directive“ (Mifid II) beschlossen, dass die Zahlung von Provisionen auch in Zukunft zulässig sein soll. Gleichzeitig gibt es starke Bestrebungen, das Tagesgeschäft für Makler zu erschweren. So könnte es zu neuen Transparenzvorschriften (Offenlegung der Vermittlervergütungen), dem vollständigen Vergütungsverbot für Versicherungen mit Anlagecharakter (zum Beispiel Fondspolicen) und zur Vorschrift kommen, dass eine unabhängige Beratung nur dann anerkannt wird, wenn sie gegen Honorar des Kunden erfolgt. Erschwerend kommt aller
Voraussicht nach die endgültige Abschaffung des Provisionsabgabeverbots hinzu. Unter diesen Vorzeichen überlegen viele Makler schon jetzt, künftig stärker auf Nettotarife zu setzen, die von einigen Versicherern bereits angeboten werden. Doch die Trennung von kostenloser Vermittlung und honorarpflichtiger Beratung ist nicht ohne rechtliche Risiken. Dafür sorgt ein anderer Gesetzentwurf zur Änderung des VVG beim Widerrufsrecht. Danach soll der Kunde an einen dem Versicherungsvertrag „hinzugefügten Vertrag“ nicht mehr gebunden sein, wenn er den Versicherungsvertrag wirksam widerruft. Die Regelung unterscheidet nicht nach Vertriebswegen, so dass jegliche separate Kostenvereinbarungen wackeln würden. Bei nicht ordnungsgemäßer Belehrung des Kunden über das Widerrufsrecht kann der Kunde sein Widerrufsrecht unter bestimmten Voraussetzungen unbegrenzt ausüben. „Somit könnte eine separate Kostenvereinbarung auch noch sehr viel später als innerhalb von 14 Tagen nach Vertragsschluss entfallen“, warnt Rechtsanwalt Oliver Korn. „Wer Versicherungen mit einer solchen Vereinbarung vertreibt, könnte also sehr schnell seinen Anspruch auf Erstattung seiner Vertriebskosten ersatzlos verlieren, wenn die Regelung Gesetz wird“, sagt der Experte der Kanzlei GPC Law Rechtsanwaltsgesellschaft. Das letzte parlamentarische Wort ist aber noch nicht gesprochen.
Merkwürdige Tricks von Direktversicherern
Ebenfalls um die Vergütung geht es bei den Offerten mancher Direktversicherer an Makler. Die Hannoversche Lebensversicherung etwa zahlt als Direktversicherer keine Vergütungen an Makler. Dennoch wirbt sie bei Abschluss von Risikolebensversicherungen mit Bonusvergütungen: Es gebe „zusätzlich zur Basisvergütung eine Vergütung in Höhe von zehn Promille des Courtagesatzes“. Makler sollten sich darauf nicht einlassen, denn das Produkt wird auch weiterhin vergütungsfrei, also ohne Courtagezahlung angeboten. Der Vermittler darf lediglich eine Kostenpauschale in Rechnung stellen, die seinen Aufwand halbwegs deckt. Höhe: 20 Promille der Nettobeitragssumme, also rund 50 Euro. Damit mutiert der Makler zum Tippgeber, leben kann er davon nicht. Sehr großzügig „bekommen Vertriebspartner Kundenschutz“.
Das Thema Zillmerung sorgt auch immer wieder für Unruhe. Zuletzt hatte der Bundesgerichtshof im Sommer Bestimmungen in den AVB für die Lebensversicherung für unwirksam erklärt, die vorsehen, dass die Abschlusskosten im Wege des sogenannten Zillmerverfahrens mit den ersten Beiträgen verrechnet werden, weil damit die Kunden benachteiligt würden (Az.: IV ZR 201/10). Das Urteil betrifft formal nur Verträge mit Klauseln, die die Deutsche Ring Lebensversicherung zwischen 2001 bis 2007 verwendet hat. Doch auch andere Versicherer arbeiten mit solchen oder ähnlichen AVB. Die Klauseln der Generali hat der BGH inzwischen auch kassiert (Az.: IV ZR 210/10). Ähnliches blüht in gesonderten Verfahren auch Ergo, Iduna und Allianz. Rein sachlich ergibt sich nur ein künftiges Verbot des üblichen Zillmerverfahrens in seiner reinen Form zur Deckung der Abschlusskosten in den ersten zwei bis drei Vertragsjahren. „Weiches Zillmern“, also gleichmäßige Verteilung der Abschlusskosten auf die ersten fünf Vertragsjahre, wie beispielsweise bei der Riester-Rente, bleibt erlaubt (nach Paragraf 169 Absatz 3 Satz 1 VVG). Einige Anwälte übertragen das BGH-Urteil auch auf die betriebliche Altersvorsorge. „Für die bAV ist im Zweifel das Bundesarbeitsgericht zuständig“, merkt Rechtsanwalt Johannes Fiala aus München an. Falls aber nach einem Jobwechsel ein Abschlag für noch nicht getilgte Abschlusskosten einbehalten wird, bringt das vor allem den Arbeitgeber in Haftungszwänge: Im Zweifel muss er die Leistung aufstocken. „Somit drohen weiterhin Haftungsrisiken bei bAV-Altverträgen“, meint Fiala.
Spannende Urteile zum Vertrieb
Insgesamt hat sich die Vertriebsstimmung in den letzten drei Quartalen um satte zwölf Prozentpunkte verschlechtert. Schuld daran sind vor allem die Eurokrise und die damit verbundene Zurückhaltung der Endkunden, aber auch politische Regularien und Mehrbelastung durch Bürokratie. Mehrere gute Nachrichten für den freien Vertrieb kommen in jüngster Zeit von Gerichten. In Karlsruhe entschied der BGH im Sommer, dass ein Versicherer dem Vermittler innerhalb von zwei Wochen eine Stornogefahrmitteilung übersenden muss, wenn er eindeutige Anzeichen hat, dass eine Police kurz vor der Kündigung durch den Kunden steht. Ausnahme: Der Versicherer will ausschließlich eigene Maßnahmen zur Stornoabwehr ergreifen (Az.: VII ZR 130/11). Zum Streit war es gekommen, als ein Vertreter nach Auslaufen seines Mehrfach-Agenturvertrages über 121.000 Euro Provisionsvorschüsse zurückzahlen sollte, weil zahlreiche Policen nach Beendigung des Agenturvertrages von Kunden storniert worden waren. Der Versicherer hatte den Vermittler nicht über die notleidenden Verträge informiert, sondern den Bestandsnachfolger, und das erst Wochen nach den ersten Kündigungsanzeichen. Ähnliche Probleme haben auch Makler. Die bloße Versendung einer Stornogefahrmitteilung an den Nachfolger des ausgeschiedenen Vermittlers ist keine ausreichende Maßnahme der Stornogefahrabwehr, so der BGH. Auch muss es schnell gehen: Der Versicherer darf mit der Stornogefahrmitteilung „in der Regel nicht mehr als zwei Wochen abwarten“. Bestandswechsel erweisen sich auch in anderer Hinsicht als tückisch. Typische Klage eines Maklers: Man habe als Angestellter bei einem früheren Arbeitgeber massenhaft Fondspolicen für einen Hamburger Versicherer abgeschlossen. Für die Betreuung gab es je nach Fonds im Schnitt 0,4 Prozent auf das Fondsguthaben. Nach dem Wechsel des Maklers in die Selbstständigkeit wurden die Verträge zwar auf die neue Vermittlernummer bei dem Versicherer übertragen, doch keine Betreuungsvergütung mehr gezahlt. Kein Einzelfall: Auch Harald Thummet aus dem fränkischen Heroldsberg sollte wieder einmal leer ausgehen, obwohl seine Thummet Versicherungsmakler GmbH von einem Kunden ein Maklermandat besaß und dessen PKV-Vertrag in seinen Kundenbestand übertragen wollte. Trotz gültiger Courtagevereinbarung weigerte sich die Central Krankenversicherung, die Police bestandspflegecourtagepflichtig auf den Makler zu übertragen.
Urteil gegen Central berührt Grundfrage der Betreuungscourtage
Der Streit endete vor Gericht, wo sich die Central jedoch nicht verteidigte. Im Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 16. August 2012 wurde daraufhin festgestellt, dass der Versicherer verpflichtet ist, nach Ablauf eines Kalenderjahres gegenüber dem Makler Bestandspflegecourtage abzurechnen, „solange der Makler die Betreuung des Vertrages ausführt“. Das Urteil ist rechtskräftig (Az.: 22 C 5558/12). Leider konterte die Central dem Makler kurz darauf mit der fristgemäßen Kündigung der Courtagezusage – nach zehn Jahren Zusammenarbeit. Das passt zu der „Strategie“, dass die Deutsche Vermögensberatung (DVAG) bereits zum Jahreswechsel 90 Prozent der Vertriebskraft der Central übernommen hat. Makler sind offenbar nur noch in reduziertem Umfang erwünscht. Aber: Falls ein Versicherer im Zuge eines Streits über eine Bestandsübertragung die Courtagezusage widerruft, so gilt dies nur für die Zukunft. Auf bestehende Verträge und Vergütungen hat der Widerruf keine Auswirkung. Es besteht zudem weiter Korrespondenzpflicht, wenn der Kunde das Maklermandat aufrechterhält.
Mitunter wollen Versicherer die Übertragung von Bestandsverträgen auf Makler auch ganz verhindern. HDI-Gerling etwa hatte Anträge auf Bestandsübertragungen zurückgewiesen, wenn die erstmals vorgelegte Maklervollmacht älter als zwei Jahre war. Als der Fall vor das Amtsgericht Köln kam, erkannte der Versicherer plötzlich den Anspruch des Maklers an und übertrug den Vertrag in dessen Bestand. So wurde das Verfahren durch Anerkenntnisbeschluss vom 1. August 2012 (Az.: 144 C 83/12) ohne Urteil für erledigt erklärt. „Eine Vollmacht erlischt nicht nach zwei Jahren, sondern nur durch Widerruf des Vollmachtgebers“, stellt Wilfried Simon klar, Vorstand der Interessengemeinschaft Deutscher Versicherungsmakler (IGVM). Der Verband hatte dem Makler das Prozesskostenrisiko abgenommen. Simon geht in seiner Kritik aber weiter: „Es ist treuwidrig, wenn Versicherer das Entgelt für die Bestandspflege selbst behalten oder an Vermittler – zumeist den hauseigenen Außendienst – zahlen, die nichts mehr dafür tun.“
Die Diskussion in Maklerforen zeigt: Das sind keine Einzelfälle. Im Online-Forum der Deutsche-Versicherungsboerse.de werden ähnliche Beispiele genannt. Ein „Fairsicherungs“-Laden beklagt etwa, dass die Landeskrankenhilfe (LKH) dem Betreuungswunsch des Maklers zwar entsprochen habe, nicht jedoch der Übertragung bezüglich der Bestandscourtage. Begründung: Der Vertrag wurde von der LKH vermittelt; demnach bestünde eine dauerhafte Verpflichtung des Versicherers zur Betreuung des Kunden. Ein anderer Makler bestätigte, dass Allianz und Ergo im Personengeschäft genauso vorgehen. Auch LVM, Aachen-Münchener und Barmenia werden genannt. Andere berichten über Ärger in diesem Punkt mit Signal-Iduna, Union Kranken, Württembergische und Münchener Verein. portfolio international bat daher die Allianz um eine Stellungnahme, die mit Rücksicht auf die starke Ausschließlichkeitsorganisation abgelehnt wurde. Dort gilt im Kranken- und Lebenbereich nach wie vor: Die Vertreter bekommen Betreuungsgeld aufgrund ihrer Agenturverträge, auch wenn Policen dem Bestand verloren gehen. Ein übernehmender Makler geht dagegen leer aus, weil er keinen Anspruch hat. Innerhalb der Allianz gibt es zwar heftige Diskussionen mit Blick auf eine Änderung zumindest im Lebenbereich. Doch von solchen Überlegungen haben Makler derzeit nichts Handfestes zu erwarten.
Dies ist bedauerlich für solche Makler wie Alexander Kirschweng aus Trier, dessen Seves GmbH sich im Maklervertrag zur Mitwirkung bei Verwaltung, Erfüllung des Versicherungsvertrages und Unterstützung im Schadensfall verpflichtet. Aufgrund fehlender Betreuungsvergütung zahlreicher Versicherer summiert sich seine Einbuße dadurch „pro Jahr auf eine deutlich fünfstellige Summe“. Kirschweng und viele seiner Kollegen erhoffen sich vom Versäumnisurteil gegen die Central eine Signalwirkung. Doch Vertriebsexperte Frank Baumann dämpft die Hoffnungen: „Ein genereller Anspruch auf Betreuungscourtage für Makler nach Vermittlerwechsel besteht nicht“, sagt der Fachanwalt für Versicherungsrecht im Interview (siehe gegenüberliegende Seite). Zwar gibt es unter Anwälten durchaus konträre Auffassungen, aber es fehlt an höchstrichterlicher Rechtsprechung. Wer vor Gericht zieht, kann
sich seines Erfolges also keineswegs sicher sein.
Detlef Pohl

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Über den Autor

Dr. Johannes Fiala Dr. Johannes Fiala
PhD, MBA, MM

Dr. Johannes Fiala ist seit mehr als 25 Jahren als Jurist und Rechts­anwalt mit eigener Kanzlei in München tätig. Er beschäftigt sich unter anderem intensiv mit den Themen Immobilien­wirtschaft, Finanz­recht sowie Steuer- und Versicherungs­recht. Die zahl­reichen Stationen seines beruf­lichen Werde­gangs ermöglichen es ihm, für seine Mandanten ganz­heitlich beratend und im Streit­fall juristisch tätig zu werden.
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