Haftungsfalle betriebliche Altersvorsorge

Arbeitgeber sparen im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung (bAV) nicht die vom Vermittler versprochenen 20 Prozent Sozialversicherung: Sie haben eine Lohnkostenverdoppelung.

Was aktuelle Haftungsurteil des Landesarbeitsgerichts München (LAG): Eine Mitarbeiterin hatte 35 Monate lang auf einen Teil ihres Gehaltes verzichtet: 178 Euro monatlich flossen über eine überbetriebliche Versorgungskasse in eine Lebensversicherung. Als die Mitarbeiterin bei dem Arbeitgeber ausschied, hatte sie 6230 Euro an Gehalt in eine betriebliche Altersversorgung (bAV) umgewandelt – doch davon waren lediglich noch 639 Euro als Versicherungs-(rückkaufs)wert vorhanden. Es fehlten also rund 90 Prozent des umgewandelten Gehalts. Ein durchaus typischer Fall, der in der Versicherungsbranche und bei anderen Trägern betrieblicher Versorgungswerke als normal betrachtet wird.

Aufklärung durch den Arbeitgeber unerheblich

In dem von dem Landesarbeitsgericht München entschiedenen Fall war zwischen den Parteien strittig, ob eine hinreichende Aufklärung der Arbeitnehmerin darüber erfolgt war, dass es bei Vertragsbeendigung in den ersten Jahren zu erheblichen Verlusten kommen kann. Die Vorinstanz hatte eine solche in angreifbarer Weise angenommen. Jedenfalls war die Mitarbeiterin in Versicherungsfragen „nicht völlig unerfahren“, da sie bereits vorher Lebensversicherungen gekündigt hatte. Mit ihr hatte der Versicherungsmakler ausführlich gesprochen, unklar blieb jedoch, ob der Mitarbeiterin, wie von dem Arbeitgeber behauptet, auch Unterlagen übergeben worden waren, aus welchen der geringe Rückkaufswert von 639 Euro bei Kündigung im dritten laufenden Jahr der Höhe nach erkennbar war. Der Arbeitgeber meinte noch rechtsirrig, dass die Mitarbeiterin sich allenfalls an die Versicherung wenden könne. Letztlich ließ das Landesarbeitsgericht die Frage der Aufklärung der Arbeitnehmerin über die Folgen einer vorzeitigen Vertragsbeendigung dahinstehen, da die Zillmerung (eine Methode, die Vertragsabschlusskosten zu verrechen) im Rahmen der Entgeltumwandlung grundsätzlich unzulässig sei. DIE ZILLMERUNG Zillmerung bedeutet, dass „Versicherungs- und Abschlusskosten, sämtliche Vertriebs- und Akquisitionskosten“ mit den ersten umgewandelten Lohnraten bezahlt werden. Erst danach baut sich ein „Deckungskapital für die Altersversorgung“ auf. Im vorliegenden Fall wäre in den ersten zwanzig Jahren nicht einmal die Summe der bezahlten Beiträge als Rückkaufswert vorhanden gewesen – mal ganz abgesehen von der Verzinsung. Seit Jahren ist aus der Fachpresse bekannt, dass der Arbeitgeber auch dann weiter haftet, also bei Entgeltumwandlung „doppelt zahlen“ muss, wenn der Mitarbeiter aufgeklärt wurde. Denn den Arbeitgeber trifft eine verschuldensunabhängige Treuepflicht gegenüber seinen Mitarbeitern.

 

Die Urteilsbegründung

Das Landesarbeitsgericht (Urteil vom 15.03.2007, Az. 4 Sa 1152106) verurteilte den Arbeitgeber, die nach der Gehaltsumwandlung fehlenden rund 90 Prozent des Gehaltes abermals – diesmal an den Mitarbeiter und nicht an den Träger der betrieblichen Versorgung – zu bezahlen. Die Entgeltumwandlung wurde als rechtsunwirksam erkannt. Den Arbeitgeber trifft aber nicht nur diese Nachzahlung, sondern auch die alleinige Haftung für bisher nicht abgeführte Sozialversicherung nebst Verspätungzuschlag (0,5 Prozent p. M.) sowie die Anwalts- und Gerichtskosten. Die meisten Arbeitnehmer wissen infolge der Intransparenz vieler Entgeltumwandlungen nicht, auf welche Weise die Abschlusskosten und ob weitere Aufwendungen, beispielsweise für Risikoschutz, verrechnet wurden. Im Zweifel wird der Arbeitgeber daher die Verträge zunächst versicherungsmathematisch begutachten lassen (vgl. www.pkv-gutachter.de). Es gibt wenige betriebliche Versorgungswerke, bei welchen nach drei Jahren tatsächlich rund 100 Prozent der einbezahlten Beiträge für die Altersversorgung vorhanden sind – andere hingegen bieten wie im Fall des LAG München zehn oder auch null Prozent. Insgesamt werden die möglichen Rückforderungen zuzüglich Zinsen und nachzuzahlenden Sozialversicherungsbeiträgen auf heute schon rund 65 Milliarden Euro geschätzt – ein Haftungspotenzial, das sich künftig rasch erhöhen wird.

 

Haftung bei Trägern betrieblicher Versorgungswerke

Die Dramatik der neuen Entscheidung liegt zunächst einmal darin, dass vermutlich weit über 90 Prozent aller Entgeltumwandlungen betroffen sind. Hinzu kommt, dass das Gericht feststellte, dass die Urteilsgründe für jeden der fünf Durchführungswege betrieblicher Altersversorgung gelten (Direktversicherung, Unterstützungskasse, Pensionsfonds, Pensionszusage, Pensionskasse). In seinem Urteil vom 15.03.2007 entschied das Landesarbeitsgericht (LAG) München, dass gezillmerte Tarife im Rahmen der arbeitnehmerfinanzierten betrieblichen Altersversorgung unzulässig und entsprechende Entgeltumwandlungsvereinbarungen unwirksam sind. Das LAG begründete seine Entscheidung zum einen mit in dem im Betriebsrentengesetz (BetrAVG) enthaltenen Gebot der Wertgleichheit (§ 1, Abs. 2, Nr. 3 BetrAVG). Die Zillmerung bei Entgeltumwandlung stelle ferner einen Verstoß gegen das Verbot unangemessener Benachteiligung (§ 307 BGB) sowie den Grundgedanken der Portabilität (§ 4 BetrAVG) dar. Gezillmerte Tarife bei der arbeitnehmerfinanzierten bAV stehen zudem nicht im Einklang mit den Grundsätzen der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshof (BGH) und des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), wonach die Abschlusskosten verhältnismäßig sein müssen und die Zielsetzung einer Vermögensbildung nicht vereiteln dürfen. Damit werden viele Arbeitgeber zur Rückabwicklung schreiten wollen: Den Schaden berechnet ihnen ein versicherungsmathematischer Sachverständiger – früher oder später werden auch die betroffenen Vermittler mit Regressforderungen konfrontiert sein. Nur ein geringer Teil der Träger betrieblicher Altersversorgung wird zahlreiche Rückabwicklungen wirtschaftlich überleben – damit beginnt ein Wettlauf um den Ersatz der Schäden.

 

Vertrauensverlust bei den Arbeitgebern

Der eigentliche Skandal kann jedoch darin gesehen werden, dass Träger betrieblicher Altersversorgung ihre Vermittler wohl oft nur mit Halbwahrheiten ausstatten – damit die Vermittlung der faktisch unrentablen Verträge gut funktioniert. Das Statistische Bundesamt hat veröffentlicht, dass ein Mitarbeiter durchschnittlich keine fünf Jahre im gleichen Betrieb angestellt ist. Damit sind die üblicherweise vermittelten Verträge mit Laufzeiten von zwanzig oder vierzig Jahren schlicht ungeeignet. Der Arbeitgeber wird beim Regress das Versicherungsaufsichtsgesetz und die – althergebrachten Grundsätze „anleger- und objektgerechter“ Beratung zur Untermauerung der eklatanten Fehlberatung durch die Vermittler anführen.

Dr. Johannes Fiala, RA, De-la-Paz-Straße 37, 80639 München Tel. 089/17 90 90-0, Fax 089/17 90 90-53, www.fiala.de

mit freundlicher Genehmigung von

www.finestfinance.com (veröffentlicht in finest.finance! 3/2007, 120)

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Über den Autor

Dr. Johannes Fiala Dr. Johannes Fiala
PhD, MBA, MM

Dr. Johannes Fiala ist seit mehr als 25 Jahren als Jurist und Rechts­anwalt mit eigener Kanzlei in München tätig. Er beschäftigt sich unter anderem intensiv mit den Themen Immobilien­wirtschaft, Finanz­recht sowie Steuer- und Versicherungs­recht. Die zahl­reichen Stationen seines beruf­lichen Werde­gangs ermöglichen es ihm, für seine Mandanten ganz­heitlich beratend und im Streit­fall juristisch tätig zu werden.
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