Landesarbeitsgericht München: Zillmerung bei Entgeltumwandlung unzulässig

Haftungspotential in Milliardenhöhe für Arbeitgeber, da sie bei betrieblicher Altersversorgung oft „doppelt zahlen“ dürfen!*
*von Dr. Johannes Fiala, Rechtsanwalt (München), Mediator (Univ.), MBA Finanzdienstleistungen (Univ.Wales), MM (Univ.), geprüfter Finanz- und Anlageberater (A.F.A.), Lehrbeauftragter für Bürgerliches Recht und Versicherungsrecht (Univ. of Cooperative Education), Bankkaufmann (www.fiala.de), Dipl.-Math. Peter A. Schramm, Aktuar DAV, Sachverständiger für Versicherungsmathematik, öffentlich bestellt und vereidigt von der IHK Frankfurt am Main für Versicherungsmathematik in der privaten Krankenversicherung (www.pkv-gutachter.de) und Dipl.-Jur. Univ. Thomas Keppel, Rechtsanwalt (Kanzlei Dr. Johannes Fiala)
Das Landesarbeitsgericht München stellt in seinem Urteil vom März 2007 klar, dass die Abschlusskostenverrechnung in den ersten Beitragsjahren – insbesondere durch Zillmerung – bei der betrieblichen Altersversorgung im Wege der Entgeltumwandlung unzulässig ist. Entsprechende Vereinbarungen sind daher unwirksam. Ob eine Aufklärung der Mitarbeiter hierüber erfolgte, ist insofern irrelevant. Selbst eine Abschlusskostenverrechung über z. B. die ersten fünf Jahre ist laut des Münchner Gerichts unwirksam. Gehaltsumwandlung
Eine Arbeitnehmerin hatte unter Verzicht auf einen Teil des ihr zustehenden Lohnes knapp drei Jahre lang über ihren Arbeitgeber Beiträge an eine überbetriebliche Unterstützungskasse einzahlen lassen. 178 Euro flossen in eine zur Rückdeckung abgeschlossene Lebensversicherung. Als das Arbeitsverhältnis dann vorzeitig endete, waren so insgesamt 6.230 Euro in eine betriebliche Altersversorgung (bAV) umgewandelt worden. Der Rückkaufwert der Versicherung betrug jedoch nur 639 Euro. Fast 90 % des umgewandelten Geldes waren also insbesondere mit Abschlusskosten verrechnet worden. Unter Versicherern gilt dies als üblich.
Aufklärung über Zillmerung irrelevant
In dem von dem Landesarbeitsgericht München entschiedenen Fall war unklar, ob die Arbeitnehmerin ausreichend auf die Möglichkeit erheblicher Verluste bei einem vorzeitigen Vertragsende hingewiesen worden war. Das erstinstanzliche Gericht hatte dies in angreifbarer Weise unterstellt. Jedenfalls hatte die Mitarbeiterin schon zuvor Lebensversicherungen gekündigt und dabei Verluste hinnehmen müssen. Es fand ein eingehendes Gespräch mit einer Versicherungsmaklerin statt, offen blieb jedoch, ob der Arbeitnehmerin Unterlagen ausgehändigt wurden, die die anfangs geringen Rückkaufswerte enthielten. Im Prozess vertrat der Arbeitgeber noch rechtsirrig die Ansicht, seine ehemalige Mitarbeiterin könne sich mit ihrer Forderung allenfalls an die Unterstützungskasse oder den Versicherer halten. Das Landesarbeitsgericht ging auf die Frage einer hinreichenden Aufklärung über die Folgen der Zillmerung gar nicht ein, weil diese bei der bAV mit Entgeltumwandlung generell unzulässig sei.
Fehlerhafte Schulungen und Verträge: Arbeitgeber muss „doppelt zahlen“
In einer Entscheidung vom 17.01.2005 hatte bereits das Arbeitsgericht Stuttgart (Az. 19 Ca 3152/04) einen Arbeitgeber im Zusammenhang mit gezillmerten Tarifen zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt, obwohl es sich bei dem Kläger um einen ehemaligen Personalleiter und somit Fachmann handelte. Haftungsgrund war die unterlassene Aufklärung des ausgeschiedenen Mitarbeiters über die Folgen der Zillmerung. Viele Produktgeber im Bereich der bAV gingen deshalb davon aus, die Aufklärung des Arbeitnehmers über die „Zillmerung“ schließe eine Haftung aus. Einige schlossen aus dem Stuttgarter Urteil sogar fälschlich, dass hiermit die Zulässigkeit der Zillmerung bei Entgeltumwandlung feststehe. Unter Zillmerung versteht man, dass sämtliche Abschluss-, Vertriebs- und Akquisitionskosten mit den ersten Beiträgen verrechnet werden. Das Deckungskapital für die Altersversorgung wird erst in der Folge aufgebaut. In dem vom Münchner Gericht entschiedenen Fall wäre erst nach 20 Jahren die Summe der bezahlten Beiträge als Rückkaufswert vorhanden gewesen – ohne Berücksichtigung von Zinsen und Zinseszins. Obwohl der Fachpresse schon seit Jahren zu entnehmen ist, dass Arbeitgeber aufgrund ihrer verschuldensunabhängigen arbeitsvertraglichen Treuepflicht auch dann einstehen und somit bei Entgeltumwandlung „doppelt zahlen“ müssen, wenn der Mitarbeiter aufgeklärt wurde.
Arbeitgeber muss Lohn noch mal bezahlen
Das Landesarbeitsgericht (LAG) München (Urteil vom 15.03.2007, Az. 4 Sa 1152106) verurteilte den Arbeitgeber, die aufgrund der Zillmerung fehlenden rund 90 % des Gehaltes noch einmal – nun direkt an die Mitarbeiterin und nicht an die Unterstützungskasse – zu bezahlen. Die Entgeltumwandlungsvereinbarung wurde als rechtsunwirksam erachtet.
Vier Argumente für die Unzulässigkeit der Zillmerung bei Entgeltumwandlung
Das LAG begründete sein Urteil unter vier Gesichtspunkten, obwohl ein Grund genügt hätte.
1. Verstoß gegen das gesetzliche Gebot der Wertgleichheit
Nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 des Betriebsrentengesetzes (BetrAVG) hat der Arbeitgeber zwingend dafür Sorge zu tragen, dass der Arbeitnehmer jederzeit (auch während der Beitragszahlungsphase) Anspruch auf eine „wertgleiche Anwartschaft“ hat. Insbesondere durch gezillmerte Tarife wird dieses gesetzliche Erfordernis nicht eingehalten. Für das Todesfallrisiko veranschlagte Kosten sind hierbei regelmäßig vernachlässigenswert (mögliche höhere Kosten für das Invaliditätsrisiko waren im konkreten Fall nicht gegeben). Gezillmerte Tarife bei Entgeltumwandlung verstoßen folglich gegen das Wertgleichheitsgebot und ist damit gemäß § 134 BGB nichtig.
Auf den Durchführungsweg der bAV kommt es nicht an:
Das LAG München führt aus, ein Arbeitgeber schuldet als Vertragspartner seines Mitarbeiters bei der Entgeltumwandlung nicht lediglich die bloße Weiterleitung des erdienten anteiligen Gehaltes „als Bote“. Erfasst sind also sämtliche Durchführungswege: Direktversicherung, Pensionskassen, Pensionsfonds und Unterstützungskassen. Bei einigen Produktgebern bzw. Durchführungswegen gibt es scheinbar nur gezillmerte Verträge.
2. Verstoß gegen das Verbot unangemessener Benachteiligung
Eine Gehaltsumwandlung mit gezillmerten Tarifen stellt ebenso wie eine solche mit anderen zillmerähnlichen Abschlusskostenverrechnungsmethoden eine unangemessene Benachteiligung der Arbeitnehmer dar. Eine solche Vertragsgestaltung widerspricht den wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung und ist daher unwirksam, § 307 I S.1, II Nr.1 BGB. Dies steht im Einklang mit der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung über „entgegen Treu und Glauben unangemessene Benachteiligung“, § 307 I S.1 BGB, da der Arbeitgeber so missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seiner Mitarbeiter verfolgt. Der Arbeitgeber muss nach dem Betriebsrentengesetz für die Erfüllung der Entgeltumwandlung einstehen, § 1 II Nr.3 BetrAVG. Ihn trifft eine verschuldensunabhängige Ausfallhaftung, insbesondere sofern wegen der gewählten Verrechnung der Abschlusskosten zu einer essentiellen Minderung des Deckungskapitals kommt. Auch aus diesem Grund ist eine Entgeltumwandlung mit gezillmerten Tarifen unwirksam.
3. Verstoß gegen die Portabilität (§ 4 BetrAVG)
Portabilität bedeutet, dass der Arbeitnehmer von seinem alten Arbeitgeber verlangen kann, dass dieser ihm seine bAV „mitgibt“ und von seinem neuem Arbeitgeber, dass dieser sie in eine wertgleiche Anwartschaft umwandelt. § 4 BetrAVG bestimmt, dass bei einem Arbeitgeberwechsel der „aktuelle übertragungswert“ der betrieblichen Altersversorgung „mitgenommen“ werden kann. Der Gedanke der Portabilität wird durch die Zillmerung jedoch konterkariert, da der (Rückkaufs)Wert hierbei in den ersten Jahren stets gegen Null tendiert. Bei einem neuen Arbeitsverhältnis müssten Mitarbeiter insoweit wieder „praktisch bei Null anfangen“. Für Arbeitgeber andererseits hat dies zur Konsequenz, dass eine Vermittlung von solcherlei Verträgen im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung ein Verstoß gegen die gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung zur pflichtgemäßen „anleger- und objektgerechten Beratung“ ist: Da Arbeitnehmer durchschnittlich nur knappe fünf Jahre in einem Betrieb beschäftigt sind, sind Verträge mit bis zu mehr als 40 Jahren Laufzeit und folglich sehr hohen Provisionen bzw. Abschlusskosten ungeeignet.
4. Verstoß gegen Grundsätze der neueren Rechtsprechung von Bundesgerichtshof und Verfassungsgericht
Der Bundesgerichtshof (Urteile vom 12.10.2005) entschied, bestätigt vom Bundesverfassungsgericht (Entscheidungen vom 26.07.2005 und 15.02.2006), dass die bei Vertragsbeendigung in den ersten Jahren infolge Zillmerung extrem hohen Abschlusskosten gegen die mit einer Lebensversicherung verbundenen Zielsetzung der Vermögensbildung nicht vereinbar sind. Dieser Gedanke muss so erst recht bei Entgeltumwandlungsvereinbarungen gelten. Das Urteil des LAG München wurde von RA Dipl.-Jur. Univ. Thomas Keppel, Kanzlei Dr. Johannes Fiala, MBA, erstritten. Die Entscheidungsgründe orientieren sich an der obergerichtlichen Rechtsprechung und der herrschenden Meinung in der Fachliteratur. Die Revision zum BAG wurde von dem Münchner Gericht nur für den vollunterlegenen Arbeitgeber zugelassen.
Nahezu sämtliche Entgeltumwandlungsvereinbarungen sind betroffen
Da laut LAG München neben der Zillmerung auch andere Methoden der Abschlusskostenverrechnung – etwa über die ersten fünf Jahre – aufgrund derselben Erwägungen unzulässig sind, sind mehr als 90 % aller Gehaltsumwandlungsvereinbarungen für nichtig zu erachten. Arbeitnehmer können danach von ihren Arbeitgebern – auch ehemaligen – die Rückabwicklung der Verträge fordern. Die überwiegende Mehrzahl der Arbeitnehmer weiß aufgrund der Intransparenz vieler Entgeltumwandlungsvereinbarungen nicht, wie Abschlusskosten und eventuell weitere Aufwendungen z. B. für Risikoschutz verrechnet werden. Ein mit der Sache befasster Rechtsanwalt oder Steuerberater wird die Verträge deshalb im Zweifel zunächst durch einen Versicherungsmathematiker begutachten lassen. Es ist schon heute mit möglichen Rückforderungen zuzüglich Zinsen sowie nachzuzahlender Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt rund 65 Mrd. Euro zu rechnen. Das Haftungspotential wird sich jedoch künftig weiter erhöhen.
Handlungsmöglichkeiten für Vermittler
Betroffene Vermittler solcher Entgeltumwandlungsprodukte sollten nicht abwarten, bis ein Arbeitgeber sie wegen eigener Verbindlichkeiten gegenüber seinen Mitarbeitern in Anspruch nimmt. Betroffene Arbeitgeber müssen dabei nicht erst Klagen ihrer Arbeitnehmer abwarten und unter Umständen in Kauf nehmen, dass der Vermittler inzwischen einen Insolvenzantrag stellt (Arbeitgeber selbst womöglich in der Folge wegen der Lohnnachzahlungen, dafür nachzuzahlender Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträgen auch). Arbeitgeber sollten bei festgestellter Unwirksamkeit der Gehaltsumwandlungsvereinbarung nicht zuwarten, weil sonst auch noch eine Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung und Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen droht – gegebenenfalls empfiehlt sich eine Selbstanzeige. Vermittler sollten deshalb frühzeitig selbst aktiv werden. Unter Einschaltung von Rechtsanwalt, Steuerberater und versicherungsmathematischem Sachverständigen ist eine Prüfung der angebotenen Modelle auf ihre Unwirksamkeit und Fehlbeträge vorzunehmen. Aussagen von Produktgebern – etwa es würde ja gar nicht gezillmert – sind dabei kritisch zu sehen. Der Vermittler sollte sich seinerseits an die Produktgeber wenden, damit diese sich in Bezug auf betroffene Verträge zu Schadenersatzzahlung oder Rückabwicklung verpflichten. Noch besteht die Chance, dass ein Produktgeber allein aus wirtschaftlichen Gründen ohne Anerkennung eines Rechtsanspruchs zur Leitung bereit ist, weil er keinen Rechtsstreit mit der Gefahr weiterer Urteile riskieren will. Später wird aber wahrscheinlich z. B. so manche Unterstützungskasse vielleicht selbst insolvent und alleine der Vermittler muss dann zahlen. Mit dieser Absicherung kann mit Arbeitgebern dann das weitere Vorgehen festgelegt werden, um die bestehenden Entgeltumwandlungsvereinbarungen zu sanieren. Eventuell können Vermittler auf diese Weise wenigstens die Insolvenz verhindern, unter Umständen die erhaltenen Provisionen/Courtagen zumindest zum Teil behalten und im besten Falle sogar gemeinsam mit ihren Kunden eine zukunftsfähige bAV konzipieren. Um eine reine Honorarvermittlung von abschlusskostenfreien Verträgen wird man hierbei aber letztlich nicht umhinkommen.
(exerten.de (15.05.2007)
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Über den Autor

Dr. Johannes Fiala Dr. Johannes Fiala
PhD, MBA, MM

Dr. Johannes Fiala ist seit mehr als 25 Jahren als Jurist und Rechts­anwalt mit eigener Kanzlei in München tätig. Er beschäftigt sich unter anderem intensiv mit den Themen Immobilien­wirtschaft, Finanz­recht sowie Steuer- und Versicherungs­recht. Die zahl­reichen Stationen seines beruf­lichen Werde­gangs ermöglichen es ihm, für seine Mandanten ganz­heitlich beratend und im Streit­fall juristisch tätig zu werden.
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